# taz.de -- Zwischenbericht im Fall Amri: Geschlampt und vertuscht | |
> Der Sonderermittler legt seinen Zwischenbericht im Fall Amri vor. Er | |
> bestätigt die Manipulationen im LKA Berlin, Drogendelikte wurden | |
> heruntergespielt. | |
Bild: Der Berliner Breitscheidplatz kurz nach dem Anschlag | |
BERLIN taz | Hätten Beamte im Berliner Landeskriminalamt (LKA) nicht | |
geschlampt, wäre Anis Amri vermutlich weiter überwacht, vielleicht sogar in | |
Untersuchungshaft genommen worden. Damit hätte der Anschlag auf dem | |
Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, der zwölf Menschen das Leben | |
kostete, womöglich verhindert werden können. Das ist ein Ergebnis des | |
Zwischenberichts, den der Berliner Sonderermittler Bruno Jost am Montag im | |
Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses vorgestellt hat. Was daraus | |
folgt, ist noch unklar. | |
Jost konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Aufklärung der | |
Aktenmanipulation im LKA, auf die er bereits im Mai gestoßen war – und die | |
er jetzt bestätigt sieht. Vieles spreche dafür, dass der verantwortliche | |
Kriminaloberkommissar L. eigene Versäumnisse verschleiern wollte. Zudem | |
habe er seit wenigen Tagen Hinweise darauf, dass ein weiterer Beamter an | |
den Manipulationen beteiligt sein könnte. Auch, so Jost weiter, habe der | |
Kommissariatsleiter als Fachaufsicht „ganz oder teilweise“ versagt. Darüber | |
hinaus aber gebe es „keine Hinweise auf flächendeckendes Fehlverhalten der | |
Polizei“. | |
Nach seinen Erkenntnissen stellt sich das Geschehen folgendermaßen dar: | |
Bereits im August hatte die Staatsanwaltschaft das LKA beauftragt, die | |
Ermittlungsergebnisse gegen Amri zusammenzutragen und der | |
Staatsanwaltschaft vorzulegen. Er war bereits als islamistischer Gefährder | |
eingestuft, stand in Verdacht, einen Anschlag verüben zu wollen und wurde | |
von der Berliner Polizei überwacht. Dahinter stand die Idee, weitere | |
Erkenntnisse über den Drogenhandel, mit dem Amri seinen Lebensunterhalt | |
bestritt, zusammenzutragen und ihn so möglicherweise in Untersuchungshaft | |
zu nehmen, bis eine Abschiebung möglich sei. | |
Eine Mitarbeiterin L.s erstellte einen zehnseitigen Bericht und fügte ihm | |
72 Protokolle aus der überwachten Telefonkommunikation Amris bei. Ihre | |
Einschätzung: Amri sei gemeinsam mit zwei Mittätern des gewerbs- und | |
bandenmäßigen Drogenhandels verdächtig. Das hätte für einen Haftbefehl | |
reichen können. Die Beamtin speicherte den Bericht ab – doch er wurde nicht | |
an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Auch als das polizeiinterne | |
Computersystem Poliks erst Kriminaloberkommissar L. und dann dessen | |
Vorgesetzten per Mail daran erinnerte, dass der Vorgang nicht abgeschlossen | |
sei, passierte nichts. | |
## Haftbefehl höchst unwahrscheinlich | |
Erst Mitte Januar – also bereits nachdem Amri den Lkw auf den | |
Weihnachtsmarkt gesteuert hatte und auf der Flucht von der italienischen | |
Polizei erschossen worden war – verfasste L. nach Josts Erkenntnissen einen | |
neuen Bericht und datierte diesen auf Anfang November zurück. In dem gerade | |
zwei Seiten langen Bericht kommen die beiden Mittäter nicht mehr vor, auch | |
seien das Tatgeschehen und die beigefügten Gesprächsprotokolle drastisch | |
reduziert worden, so Jost. | |
Die Rede war nun nicht mehr von gewerbs- und bandenmäßigem Drogenhandel, | |
sondern nur noch von Kleindealerei. Auf dieser Grundlage wäre ein | |
Haftbefehl gegen Amri höchst unwahrscheinlich gewesen. Es war vermutlich | |
genau dieser Eindruck, den der Kriminalhauptkommissar erwecken und so von | |
seinen Versäumnissen ablenken wollte. | |
Inzwischen ist Jost auch noch auf einen dritten Bericht gestoßen, der | |
inhaltlich irgendwo zwischen den beiden anderen liegt. Ob es weitere | |
Beteiligte an der Aktenmanipulation gibt, wird noch ermittelt. Ab Ende der | |
Woche soll ein Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus den Fall weiter | |
aufklären. | |
Bevor Jost seinen Bericht im Innenausschuss vorstellte, informierte Thomas | |
Beck, der zuständige Abteilungsleiter Terrorismus bei der | |
Bundesanwaltschaft, über den Stand der Ermittlungen. Danach hatte Amri | |
zunächst vor, aus Deutschland zum „Islamischen Staat“ nach Syrien | |
auszureisen. | |
„Ich möchte zu euch auswandern, sagt mir, was ich tun soll“, habe Amri | |
einem Kontaktmann beim IS mitgeteilt. An der Ausreise wurde er jedoch im | |
Juli von der Polizei gehindert. Erst danach sei die Idee entstanden, in | |
Deutschland einen Anschlag zu begehen. Dabei, so Beck, sei Amri von seinem | |
Mentor beim IS konkret angeleitet worden. | |
3 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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