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# taz.de -- Snapchat und Journalismus: G20 mit Hasenohren
> Spiegel Online, Bild und Vice publizieren nun auch journalistische
> Inhalte auf Snapchat. So wollen sie endlich auch Jugendliche erreichen.
Bild: Frech und jung? Verschiedene Medien wollen auch seriöse Nachrichten auf …
Es klingt verlockend: Das Weltgeschehen, verpackt in kleine Häppchen, kommt
einmal täglich aufs Smartphone; visuell ansprechend und einfach zu
handhaben. Mit einer neuen Funktion will die Messenger-App Snapchat das
umsetzen – und sich vom einstigen Sexting-Tool zum medialen Vorreiter
entwickeln.
Discover heißt die neue Plattform, die Snapchat seit Kurzem Medienhäusern
anbietet. Einmal täglich kann dort eine Ausgabe veröffentlicht werden,
bestehend aus mehreren journalistischen Beiträgen. Wie private
Snapchat-Nachrichten haben auch sie nur eine kurze Überlebensdauer. Die
Beiträge sind 24 Stunden lang abrufbar.
2015 ging es los in den USA. Jetzt gibt es Snapchat-Discover auch in
Deutschland. Seit drei Monaten präsentieren sich vier deutsche
Medienpartner auf der Plattform: Bild, Vice, Sky Sport und Spiegel Online.
Geht so die Zukunft des Journalismus?
Die digitalen Anstrengungen scheinen gerechtfertigt angesichts der Krise,
in der die Printmedien stecken. Die Auflage der Bild-Zeitung hat sich in
den letzten zwanzig Jahren mehr als halbiert, von 4,5 Millionen auf etwa
1,6 Millionen. Auch die Auflage des Spiegels ist seitdem um 27 Prozent
gesunken, auf etwa 771.000. Jetzt sollen digitalen Angebote helfen, die
schwindende Reichweite wieder zu erhöhen. Die App hat nach eigenen Angaben
immerhin mehr als fünf Millionen tägliche Nutzer in Deutschland.
Der Discover-Kanal der Bild erreichte im Juni 2,6 Millionen Unique User.
Auch bei Spiegel Online zeigt man sich zufrieden nach den ersten Monaten:
„Wir lernen unglaublich viel“, sagt Chefredakteurin Barbara Hans, „wie wir
Geschichten visueller erzählen können, wie vertikale Videos funktionieren,
was eine junge Zielgruppe interessiert, die bislang nicht auf Spiegel
Online unterwegs war.“
## Animierte Storys
In der Tat: Nicht nur bei Vice, sondern auch bei Bild, Spiegel Online und
Sky Sport orientiert man sich auf Snapchat eindeutig an einer sehr jungen
Zielgruppe. Themen und Aufmachung der Beiträge erinnern an eine explodierte
Bravo.
Es hüpfen Überschriften und Bildchen durch die Gegend, viele
Großbuchstaben, Ausrufezeichen und Smileys. Einmal täglich stellt jeder der
deutschen Kooperationspartner einen Beitrag auf die Plattform, bestehend
aus aneinandergeklebten Storys. Da gibt es Top-Snaps, das sind animierte
Bilder und kurze Clips. Und Attachments, also ausführlichere angehängte
Artikel oder Videos.
„Unsere Nutzer lesen eigentlich alles gern, es muss nur gut für Snapchat
übersetzt sein“, sagt Adrian Weiß, Editor-in-Chief für das Snapchat-Team
der Vice. „Wir nennen das Infotainment – kleine Bites an Content, die man
auch gut sharen kann.“ Heißt auf Deutsch: Bei Snapchat geht es auch darum,
die Marke nach dem Schneeballprinzip bekannt zu machen. Also gilt es die
Nutzer zu motivieren, die Artikel zu teilen.
Die Bild nimmt dafür zum Beispiel die Hochzeit einer
Germany’s-next-Topmodel-Kandidatin zum Anlass: „OMG! Wie süß ist das denn?
Steffi und Marcus haben ein Partner-Tattoo. Welches Tattoo willst du dir
mit deiner BFF stechen lassen? Stich es und schick’s ihr weiter!“
„Wir orientieren uns thematisch und in der Tonalität an unserem
jugendlichen Publikum“, sagt Mark Heywinkel, Verantwortlicher für Snapchat
im Social-Media-Team der Bild. „Ein ‚Sie‘ werden Sie bei uns natürlich
nicht finden.“ Das jugendliche Publikum spiegelt sich auch in den
Klickzahlen wider: Laut einer Studie von ARD und ZDF ist mehr als die
Hälfte der Onlinenutzer zwischen 14 und 19 Jahren mindestens einmal pro
Woche auf Snapchat. Bei den Über-30-Jährigen sind es nicht einmal ein
Prozent.
## Abschottung von den Älteren
Für den Hamburger Medienwissenschaftler Stephan Weichert hat das zunächst
zu tun mit einer Abschottung von der älteren Generation. Während man auf
Facebook längst Mama und vielleicht sogar Opa begegnet, ist Snapchat (noch)
weitgehend erwachsenenfreie Zone.
Im Hype um die selbstzerstörenden Snaps sieht der Forscher außerdem eine
Reaktion auf die digitale Überlastung: „Da findet man Gefallen an einer
gewissen Unverbindlichkeit, Kurzlebigkeit“. Und: Schon lange kommen die
jungen Nutzer nicht mehr von selbst zu den Medien. Um sie zu erreichen,
müssen die Medien schon Kontakt aufnehmen zu ihnen – über Kanäle wie
Facebook und Snapchat.
Als seriöse Nachrichtenquelle präsentiert sich Snapchat-Discover jedoch
nicht wirklich. „Das, was Spiegel und Bild da machen, entspricht nicht dem
Niveau, das wir von anderen Produkten gewöhnt sind“, sagt Stephan Weichert.
Es gehe mehr um die Form als um den Inhalt. Am Morgen des G20-Gipfels zum
Beispiel macht keines der auf Discover vertretenen deutschen Medienhäuser
auf mit diesem Thema. Erst nach mehrfachem Weiterklicken, zum Beispiel
durch Kim Kardashians „Rache-Porno“ (Spiegel Online) und Nasenspray-Sucht
(Bild), kommt man zu Gipfel-Berichten.
Trotzdem: Snapchat-Discover als Gossip-Portal abzutun, wäre zu einfach. In
einer Erklärgrafik zur Ehe für alle weltweit zeigt Spiegel-Online, dass
sich in Snaps durchaus Informationen verarbeiten lassen. Ein gut gemachtes
Video beantwortet die wichtigsten Fragen zu G20 dann doch noch.
## Ganz ohne Smileys
Auch amerikanische Qualitätsmedien wie CNN machen vor, dass sich auf
Snapchat nachrichtliche Themen präsentieren lassen – unaufgeregt,
anschaulich, kompakt. Und ganz ohne Smileys.
Ob Snapchat als Medienplattform tatsächlich besteht, bleibt abzuwarten. Man
erreiche eine steigende Zahl an Nutzern, sagen die deutschen
Kooperationspartner. Konkrete Bilanzen rückt Snapchat nicht heraus. Der
zweite Quartalsbericht nach dem Börsengang von Snap (dem Betreiber der App
Snapchat), der letzte Woche erschien, enttäuschte Anleger und Analysten
jedoch. Umsatz und Nutzerzahlen stiegen zwar, blieben aber weit unter den
Prognosen.
Auch Medienwissenschaftler Stephan Weichert betrachtet das Ganze mit
Vorsicht. Er sieht besonders in der Foto-App Instagram einen starken
Konkurrenten: „Auf Dauer werden die junge Leute nicht zwei Kanäle
gleichzeitig bespielen.“
Doch egal wie sich die Zahlen entwickeln – die neuen Ansätze des
Snapchat-Hypes werden bleiben. Spielereien wie Gifs, Memes und
Bilderstrecken sind aus dem Onlinejournalismus längst nicht mehr
wegzudenken. Nun ist es an den Medienmachern, sie richtig einzusetzen.
19 Aug 2017
## AUTOREN
Kathrin Müller-Lancé
## TAGS
Vice
Snapchat
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