# taz.de -- Verliererinnen in der Arbeitswelt: Stress und erzwungene Teilzeit | |
> Die Arbeitnehmerkammer hat die erste repräsentative Befragung von Bremer | |
> ArbeitnehmerInnen vorgestellt: Alleinerziehenden geht es am schlechtesten | |
Bild: Wer gestresst ist, geht oft auch krank zur Arbeit | |
BREMEN taz| Erstmalig sind ArbeitnehmerInnen im Land Bremen repräsentativ | |
zu ihrer Arbeitssituation befragt worden. Über 2.000 Beschäftigte wurden | |
Anfang des Jahres interviewt. Aus der Studie „Koordinaten der Arbeit im | |
Land Bremen“ des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (infas) im | |
Auftrag der Arbeitnehmerkammer (AN) geht hervor: Bremer ArbeitnehmerInnen | |
leiden unter Stress, Überstunden und gesundheitlichen Belastungen. | |
„Prägnant und alarmierend“ nannte Regine Geraedts, AN-Referentin für | |
Arbeitsmarktpolitik, die Ergebnisse zum Thema Präsentismus – so nennt sich | |
das Phänomen, krank zur Arbeit zu gehen: Drei Viertel aller Befragten waren | |
innerhalb eines Jahres durchschnittlich elf Tage im Einsatz, obwohl sie | |
sich krank fühlten. Besonders ausgeprägt ist der Präsentismus im Bereich | |
Pflege, Einzelhandel, Verkehr und Lagerwirtschaft – und SpitzenreiterInnen | |
sind die Alleinerziehenden: „Mehr als 15 Tage im Jahr sind alleinerziehende | |
Beschäftigte trotz Krankheit arbeiten gegangen“, so Geraedts. | |
Bei mehr als der Hälfte der befragten ArbeitnehmerInnen klaffen | |
vertragliche und tatsächliche Arbeitszeit auseinander: Durchschnittlich | |
wird pro Woche drei Stunden länger gearbeitet als vertraglich vereinbart. | |
Besonders viele Überstunden fallen in den Bereichen Verkehr und Logistik, | |
im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie in Krankenhäusern an; hier werden | |
regelmäßig mehr als sechs Überstunden pro Woche geleistet. | |
18 Prozent aller Befragten würden deswegen gern einen Arbeitsvertrag über | |
mehr Stunden abschließen. Von den Teilzeitbeschäftigten wollen das sogar 32 | |
Prozent – hier ist der Wunsch nach einer Aufstockung besonders ausgeprägt | |
bei Reinigungskräften, im Lebensmittel- und Gastgewerbe sowie im | |
Einzelhandel. | |
Alleinerziehende wiederum wünschen sich überdurchschnittlich oft eine | |
höhere Wochenarbeitszeit, so das Ergebnis der Studie. „Hier hat Teilzeit | |
nicht mehr viel mit Familienfreundlichkeit zu tun“, sagte | |
AN-Geschäftsführerin Elke Heyduck. „Es handelt sich vielmehr um erzwungene | |
Teilzeit.“ | |
Auf der anderen Seite stehen mit einem Anteil von über 31 Prozent jene | |
ArbeitnehmerInnen, die ihre Stelle gern reduzieren würden. Eine besonders | |
große Minderung um mindestens fünf Wochenstunden wünschen sich Angestellte | |
in den Gesundheitsberufen: „Hier kann man teilweise durchaus von einer | |
Flucht in Teilzeit wegen der zu hohen Belastung sprechen“, sagte Heyduck. | |
In der Tat wünschen sich insgesamt vor allem jene ArbeitnehmerInnen weniger | |
vertraglich geregelte Wochenarbeitsstunden, die bei der Befragung auch | |
angegeben haben, dass sie davon ausgingen, ihre Tätigkeit nicht bis zum | |
regulären Rentenalter ausüben zu können. | |
Positiv hingegen beurteilten rund 90 Prozent der Befragten die | |
Kollegialität am Arbeitsplatz, zwei Drittel waren auch mit ihren | |
Vorgesetzten zufrieden, wenngleich sich nur 55 Prozent in ihren beruflichen | |
Entwicklungsmöglichkeiten gefördert fühlten. | |
„Die Auswertung“, sagte AN-Hauptgeschäftsführer Ingo Schierenbeck, „ist | |
eine wesentliche und fundierte Grundlage für politisches Handeln in | |
Bremen.“ Auch die Position der Arbeitnehmerkammer, die gesetzliche Rente zu | |
stärken, werde durch sie untermauert: „Denn eine Betriebsrente gibt es für | |
die meisten Bremer nicht: nur 36 Prozent verfügen über eine betriebliche | |
Altersversorgung.“ | |
16 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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