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# taz.de -- Debatte Dieselskandal und Widerstand: Protestbündnis – aber subi…
> Die Demonstrationen gegen die Fahrzeugindustrie waren beim Autogipfel
> eher bescheiden. Wichtige Akteure fanden nicht zueinander.
Bild: Protest Anfang August vor dem Verkehrsministerium
Die öffentliche Berichterstattung über die [1][Proteste gegen die
Automobilindustrie und die autohörige Politik] der schwarz-roten Koalition
war eher bescheiden. Es waren circa 350 Menschen gekommen, und vor allem
der VCD, die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace, NABU und die Kampagne
„VW-Boykott“ hatten jeweils separate und kreative Aktionen und
Präsentationen vorbereitet.
Oppositionspolitiker aus dem Bundestag wurden nicht gesichtet. Sie hatten
Urlaub oder waren in ihren Wahlkreisen. Die Verbraucherverbände fehlten
ebenso wie der ADAC, der Engel der Autofahrer, der als Bestochener der
Autobranche auch wenig glaubwürdig hätte auftreten können. Von
Gewerkschaftlern keine Spur, Campact, Attac, BUND, AFC, Transparency und
Lobbycontrol blieben ungehört. Die Fernsehsender hatten zumeist mit einer
5-Sekunden-Einblendung die Abseilaktion von Greenpeace und die
Toten-Lichtprojektion im Blick.
In den Printmedien konzentrierten sich die meisten Zeitungen auf eine
sachliche Darstellung der Gipfelergebnisse mit flächendeckenden
Kommentaren, dass der Berg kreißte und nur eine Maus gebar. Die
Protestberichterstattung nahm circa ein Zehntel der Texte ein, die
Leitmedien wie SZ, FAZ, Tagesspiegel, Handelsblatt hatten die Proteste
überhaupt nicht auf dem Schirm.
Wenn Kanzlerin Angela Merkel noch vor der Wahl den mutmaßlich
stattfindenden und notwendigen zweiten Autogipfel einberuft, um mehr
vorzuweisen als der politisch kaum noch haltbare Alexander Dobrindt, dann
wird Merkel ein erweitertes Versprechen der Reduzierung von
Stickstoffoxiden verkünden und den Automobilchefs eine symbolische
Entschädigung der betroffenen Fahrer abverlangen.
## Unprofessionelle Orga
Der Protest war deshalb so schwach, weil die Protestler nicht einmal als
Akteure zusammensaßen, um gemeinsam den Protest vorzubereiten. Natürlich
arbeiten viele Gruppen und Organisationen gut zusammen, aber bei diesem
Protest reichte es noch nicht einmal zu einer Mikrofonanlage. So wurstelte
jeder vor sich hin.
Wer größere Protestveranstaltungen in Berlin kennt, kann die Organisation
vor dem Dobrindt-Ministerium nur als unprofessionell bezeichnen. Greenpeace
ist ein selbstbezogenes und wenig kooperationswilliges Kommandounternehmen.
Campact hat große Verdienste um die TTIP-Proteste, aber meidet bisher
zuspitzende Aktionsformen, und der BUND hat zwar fast eine halbe Million
Mitglieder, aber bisher keine größere Mobilisierung versucht. Und Attac
hat zu wenig fachlich ausgewiesenes Personal, um eine Mobilisierung zu
stemmen.
## Realistische Verbraucher
Wir wissen schon seit Monaten, wie die Bevölkerung und die VW-Fahrer über
den VW-Skandal denken. Aber alle Medien wollten bis zum Autogipfel auch
nichts davon wissen. Auch sonst sehr geschätzte und sich im VW-Misthaufen
auskennende Medienvertreter hatten Scheuklappen auf oder, etwas zugespitzt
formuliert: ein wenig die Hosen voll.
Wir wissen schon seit Juni und der VW-Konzern wusste weit vorher, dass die
VW-Fahrer stinksauer sind. VW hatte nämlich – so wissen wir von zwei
Whistleblowern – mehrere Umfragen bei seriösen Forschungsinstituten zum
potenziellen Imageschaden in Auftrag gegeben. Die seriös ermittelten
Befunde waren offenkundig so katastrophal, dass die VW-Verantwortlichen
sich sofort zur Aufbewahrung im Giftschrank entschlossen.
So wurde eine Gruppe von Professoren tätig, legte Geld zusammen und
beauftragte eine eigene Repräsentativbefragung zum VW-Skandal (Quotas,
Hamburg). Der Befund war eindeutig: Die Große Koalition und die
VW-Verantwortlichen bekamen mit 3,3 und 3,4 gleichermaßen schlechte
Schulnoten. Mit anderen Worten: Der Abgasskandal wurde dem Konzern und der
Politik als Nichtstun und aktives Beschweigen angelastet.
Die Befragung zeigte auch, wie realistisch Verbraucher sein können. Die
Geschädigten wollten nicht so maßlose Kompensationszahlungen wie in den
USA, man wäre schon mit symbolischen Entschädigungen von circa 3.000 Euro
zufrieden. Die VW-Verantwortlichen wussten das schon im Frühjahr 2016 und
taten nichts. Schlappe 7 Milliarden Euro würde VW das kosten, ja mei.
Aber die VW-Oberen und die Gewerkschaften hatten nicht einmal den Mut,
diesen empirisch ermittelten Vorschlag in den VW-Gremien zur Diskussion zu
stellen. Schließlich kam bei der Befragung heraus, dass 24 Prozent der
VW-Fahrer sich nicht mehr für den Kauf eines VWs entscheiden wollen – von
wegen unmündige Verbraucher. Die Käfer-, Golf- und Touran-Generation lässt
sich nicht so einfach betrügen. Als Grund für den heimlichen Boykott geben
sie prioritär an: VW-Abgasskandal.
## Zivilgesellschaft gefordert
Liebe Verantwortliche von VW, Daimler, Audi, Porsche, Fiat, Renault, BMW,
Bosch, liebe Gewerkschaftsvorstände und Betriebsräte: Die Hütte brennt,
bitte kommen Sie zum nächsten Autogipfel nicht mit einem Eimer Wasser.
Ein Treffen muss her, bei dem alle Verbraucherorganisationen,
Umweltgruppen, Akteure von Gesundheits-, Naturschutz- und
Menschenrechtsorganisationen sowie Wissenschaftler ein Bündnis mit
Forderungen entwickeln und sich Aktionen trauen, die den Herrschenden vor
der Wahl wehtun. Als vorläufiger Termin ist der 1. September 2017 in Berlin
vorgesehen.
Wenn die Spitzenkandidaten der Parteien – von Merkel über Schulz bis zu
Seehofer und Lindner – nichts Substanzielles oder überhaupt nichts zu
sagen haben, dann ist die Verstocktheit der Demokratie offenkundig.
Die Oppositionspolitiker von den Grünen und der Linken sind bisher nur mit
dem Versprechen starker Aufklärung verbunden. Aber sie haben die Menschen
für dieses Thema nicht sensibilisieren können.
Empören genügt nicht, die Zivilgesellschaft muss so lange für schmerzliche
Absatzeinbrüche der Autobranche sorgen, bis alle Skandalkarten auf dem
Tisch sind. Die Automanager kennen nur noch den „Tunnelblick“, Merkels
klammheimlicher Slogan „In schwierigen Zeiten in guten Händen“ wird beim
nächsten Autogipfel allenfalls zu Zentimeter-Erfolgen führen.
20 Aug 2017
## LINKS
[1] /Diesel-Gipfel-musste-verlegt-werden/!5438190
## AUTOREN
Peter Grottian
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