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# taz.de -- Flüchtlinge im Jemen: Wenn das Transitland Endstation ist
> Jährlich brechen rund 100.000 Menschen vom Horn von Afrika in Richtung
> Golfstaaten auf. Oft bleiben sie im Jemen stecken – mitten im
> Kriegsgebiet.
Bild: Gestrandet: somalische Flüchtlinge nach ihrer Ankunft an der jemenitisch…
Einen krasseren Kontrast zwischen Arm und Reich gibt es nirgends auf der
Welt. Im Norden: die Arabische Halbinsel mit den unermesslichen
Ölmilliarden und Glitzerpalästen Saudi-Arabiens und der Golfstaaten. Im
Süden: das Horn von Afrika mit dem unvorstellbaren Kriegselend in Somalia
und tiefster Armut in weiten Teilen Äthiopiens. Dazwischen: Jemen, wo sich
kriegsbedingt eine schwere humanitäre Katastrophe entwickelt – und wo
niemand Schmugglern Einhalt gebieten kann oder will.
Kein Wunder, dass jährlich rund 100.000 Menschen aus dem Horn von Afrika
über Jemen in die Arabische Halbinsel aufbrechen, auf der Suche nach einem
besseren Leben. Die Völker auf beiden Seiten des Landes sind ohnehin eng
miteinander verwandt und kulturell verbunden. Das Regional Mixed Migration
Secretariat (RMMS) des Dänischen Flüchtlingsrats, seit elf Jahren die
genaueste Beobachtungsstelle für Bevölkerungsbewegungen in dieser Region,
zählte im Jahr 2016 117.107 afrikanische Ankömmlinge in Jemen, 83 Prozent
davon aus Äthiopien und der Rest aus Somalia – ein Rekord. Zwischen 2007
und 2016 sind nach UN-Angaben über 750.000 Äthiopier und Somalier nach
Jemen gezogen. Viele haben die Weiterreise in die Golfstaaten gesucht, aber
mehrere Hunderttausend hängen in Jemen fest.
Als Gründe für den Rekordandrang 2016 nannte der RMMS-Jahresbericht „den
kompletten Zusammenbruch der Zentralregierung und Grenzüberwachungssysteme
Jemens, was es Migranten leichter machen könnte, sich unbemerkt durch das
Land zu bewegen, und daher eine größere Zahl ermutigt, ihr Glück zu
versuchen“, sowie „die aktuelle politische Krise und die Serie von
Protesten gegen die Regierung in Äthiopien“ – die schweren Unruhen des
Sommers 2016 mit über 600 Toten und 11.000 Festnahmen.
Fast alle in Jemen von der IOM befragten äthiopischen Ankömmlinge der
letzten Monate geben an, zur größten äthiopischen Volksgruppe der Oromo zu
gehören, Ziel der schärfsten Repression des vergangenen Jahres. Vor hundert
Jahren noch zogen Wanderarbeiter aus dem bitterarmen Arabien nach Afrika,
um im äthiopischen Kaiserreich Arbeit zu finden. Heute ist es umgekehrt.
## Billiger als das Mittelmeer
Es gibt zwei Migrationsrouten aus dem Horn von Afrika Richtung Norden. Die
eine, über Sudan und Libyen ans Mittelmeer und nach Europa, hat den
Vorteil, dass die Chance hoch ist, aus dem Wasser gerettet zu werden und in
Europa zu landen. Allerdings ist diese Route neuerdings praktisch dicht,
auch dank der EU-geförderten Grenzabschottungspolitik von Transitländern
wie Sudan. Die andere Route, über Jemen nach Saudi-Arabien, ist riskanter,
aber billiger. Nur wenige hundert US-Dollar kostet die Reise aus den
südsomalischen Dürregebieten über den nordostsomalischen Hafen Bosasso, der
gegenüber von Jemen liegt. Eine andere Route führt aus Äthiopien über den
Hafen Obock im Kleinstaat Dschibuti ans Rote Meer und an Jemens Westküste.
Der Nachteil der Arabien-Route: Auf der anderen Seite wartet anders als in
Europa komplette Rechtlosigkeit, Willkür und zuweilen lange Inhaftierung
oder faktische Versklavung. Eine IOM-Studie aus dem Jahr 2014 wies nach,
dass Tausende Äthiopier in Jemen als faktische Leibeigene auf Qat-Farmen
arbeiten – Qat, eine weiche Droge aus gekauten Blättern, wird sowohl in
Jemen als auch im gesamten Horn von Afrika gern konsumiert und ist eine
Säule der regionalen Wirtschaft.
Inzwischen versinkt Jemen im Krieg, und Saudi-Arabien will seine Migranten
loswerden, um der eigenen Jugend Perspektiven zu bieten. Allein in den
Jahren 2013 und 2014 wurden 200.000 Äthiopier und Somalis sowie eine halbe
Million Jemeniten aus Saudi-Arabien hinausgeworfen.
Aber angesichts der sich verschlechternden Lebensumstände am Horn von
Afrika wagen dennoch viele Migranten die Überfahrt. Die Dürre dieses Jahres
in der Region gilt als die schwerste seit einem Vierteljahrhundert. Für
viele Dörfer ist es die einzige Rettung, wenn wenigstens einer ihrer
Bewohner in die Fremde zieht, um Geld zu verdienen.
Der wichtigste Abreisehafen aus Afrika nach Jemen ist Bosasso, die
Hafenstadt an Somalias Nordostküste gegenüber von Jemen unter Kontrolle der
autonomen somalischen Region Puntland. Seit jeher ein Umschlagplatz für
afrikanisch-arabischen Fernhandel, blüht in Bosasso in der Staatenlosigkeit
Somalias auch das Geschäft mit der illegalen Migration. Die Region ist auch
eine Bastion der somalischen Piraterie, gegen die in den letzten Jahren
mehrere internationale Kriegsflotten in den somalischen Gewässern unterwegs
gewesen sind – zuweilen waren Piraten und Migrantenschleuser identisch.
## Jemens Mehrfrontenkrieg
Inzwischen verkompliziert der Krieg in Jemen die Lage. Mindestens drei
Kriegsparteien sind aktiv: die international anerkannte Regierung von
Präsident Hadi in der südjemenitischen Hafenstadt Aden; die nicht
anerkannte Koalition des früheren Präsidenten Saleh zusammen mit der
Huthi-Rebellenbewegung in der eigentlichen Hauptstadt Sanaa im Norden; und
die jemenitische Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, die weite Teile
Südjemens kontrolliert. Einer internationalen Militärallianz unter Führung
Saudi-Arabiens unterstützt die Hadi-Regierung, weil die Huthi-Rebellen
mutmaßlich vom Iran aufgerüstet werden.
Zur saudischen Allianz gehören auch die Vereinigten Arabischen Emirate, die
unter anderem Puntlands Küstenwache trainieren. Die „International Crisis
Group“ analysiert, dass Saudi-Arabien und die Golfstaaten Schikanen gegen
Migranten aus Äthiopien und Somalia als Druckmittel einsetzen, um die
afrikanischen Nachbarn auf Linie im Jemen-Konflikt zu bringen. Im März
starben Dutzende afrikanische Migranten auf dem Weg nach Jemen bei einem
saudischen Luftangriff, der ihr Boot im Roten Meer traf.
## Waffen gegen Migranten
Die aktuelle Sorge ist, dass die Al-Qaida-Milizen im Jemen und die
islamistischen Shabaab-Milizen in Somalia über die maritimen
Schmuggelrouten zusammenfinden. Nach Recherchen der in Kenia basierten
„Conflict Armament Research“ sind die in Puntland basierten Piraten
inzwischen in den Jemen-Waffenschmuggel eingestiegen: Boote voller
afrikanischer Migranten aus Bosasso landen und kommen mit Waffen aus
Jemen zurück.
Letztes Jahr tauchte zum ersten Mal in Puntland sogar ein selbsternannter
Ableger des „Islamischen Staats“ (IS) auf und besetzte die Hafenstadt
Qandala östlich von Bosasso – ein weiterer bekannter Schmuggelort Richtung
Jemen. Ihr Anführer Scheich Abdulkadir Mumin war ein Verwandter des
historischen Piratenführers Isse Yulux. Sie wurden vertrieben, aber bleiben
ein Machtfaktor.
Sollten sich islamistische Gruppen zwischen Arabien und Afrika weiter
vernetzen, die Migranten könnten auf eben jenen Routen unter die Räder
kommen. Die jemenitische Provinz Shabwa, wo sich das aktuelle
Flüchtlingsdrama abgespielt hat, war jahrelang eine Hochburg der
jemenitischen al-Qaida. Seit 3. August läuft in Shabwa eine Großoffensive:
Sondereinheiten aus den Arabischen Emiraten, Spezialkräfte aus den USA und
sogar Soldaten aus Sudan helfen der Armee der jemenitischen Hadi-Regierung,
die Al-Qaida-Kämpfer zu verdrängen.
Kein Wunder, dass die Migrantenschleuser lieber schon vor der
jemenitischen Küste kehrtmachen.
11 Aug 2017
## AUTOREN
Dominic Johnson
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