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# taz.de -- Jazzfestival Kopenhagen: Wo selbst der Wind Musik macht
> Die Sonne lacht, weil ihr die Darbietung so gut gefällt. Das 39.
> Jazzfestival in Kopenhagen schlägt einen weiten Bogen von der Geschichte
> in die Zukunft.
Bild: Jeppe Zeeberg und Matana Roberts im Literaturhaus Kopenhagen
Gibt es etwas Kontemplativeres, als an einem hochsommerlichen
Donnerstagnachmittag im Kirchgarten der „Kulturkirken“ im Kopenhagener
Stadtteil Nørrebro zu sitzen und dem Aram Shelton Sound Trio zuzuhören?
Wohl kaum! Junge wie Alte, Sneakers- wie SandalenträgerInnen lauschen
konzentriert, wie der kalifornische Altsaxofonist und seine beiden
skandinavischen Sidemen, der Schwede Johannes Vaht am Bass und der
norwegische Drummer Ole Mofjell, Kryptisches auf Geläufiges prallen lassen
und beim Energy-Playing draufgängerisch und harmonisch präzise zugleich
wirken.
Die Melodien des Trios beginnen mitten im Lärm, und dann lodern sie, bis
nur noch die Asche der Songform übrig bleibt. Das tut der Stimmung
keinerlei Abbruch, Free Jazz ist in Kopenhagen keine Nischenveranstaltung,
im Gegenteil, er trägt zur feierlichen Stimmung bei und wird hier um eine
Komponente erweitert: Über den Köpfen der Zuschauer ist ein ausrangiertes
Segel gespannt. Wind und Vogelgezwitscher aus den umliegenden Bäumen und
das flatternde Segel ergänzen die Soundpalette der drei Musiker.
Mofjell klebt ein Becken zusammen mit einem Glöckchengebinde an den Zaun
hinter den Drums. Die beiden Instrumente geraten durch den Wind in
Bewegung, bimmeln und gongen, während er selbst Paradiddles auf dem
Kesselreifen, dem Rand seiner Snaredrum spielt, bis einem schwindlig wird.
Bassist Vaht schaut sein Instrument flehend an, der Bass fleht zurück.
Sheltons Saxofon klingt derweil nach Nebelhorn, über Sekunden hält er einen
Ton, der so kräftig tutet, dass man ihn noch im Hafen hört; die Sonne
lacht, weil ihr die Darbietung so gut gefällt.
Wenn das Wetter mitspielt, nimmt das Kopenhagen Jazzfestival die
Leichtigkeit des Sommers ins Programm auf. Seine Konzerte sind immer auch
fröhliches Get-together. Essensstände, Klappstühle, Picknickdecken gehören
beim Open Air mit dazu, aber deshalb rückt das Musikprogramm nicht in den
Hintergrund. In zehn Tagen steigen circa 120 Konzerte, verteilt auf Parks,
Plätze und Clubs in der ganzen Stadt; Stars und Eigengewächse sind hier zu
erleben, Solisten und Kollektive, US-Traditionen treffen auf europäische
Interpretationen und solche aus der ganzen Welt, und alle spielen
miteinander Pingpong.
## Hancock im Maschinenpark
Zur Primetime am Donnerstagabend steht mit Herbie Hancock eine
US-Jazz-Ikone auf der Bühne des mit rund 1.500 Zuschauern seit Monaten
ausverkauften DR Konserthuset. Hancock, inzwischen 77-jährig, gehört zu den
Early Adaptors des Synthesizers im Jazz. „Afro-Futurismus“ ist ein gern
benutztes Schlagwort, um eine bessere, weil egalitärere Zukunft zu
antizipieren, in der Rassismus keine Rolle mehr spielt. Damit wird auch das
musikalische Feld zwischen freiem Jazz, amtlichem R&B und elektronischen
Dancefloor-Experimenten abgesteckt. Hancock hat diese Gefilde bereits in
seiner „Headhunters“-Phase (ab Ende der Sechziger) bereist.
Meriten verdiente er sich zuvor als Pianist von Miles Davis. Damals setzte
Hancock das Fender-Rhodes-Piano ein, etwas später dann Synthesizer wie den
Moog. In Kopenhagen sitzt er meist am Klavier, dazu hat er einen
Maschinenpark wie ein Fort um sich gruppiert: Aus einem Korg „Kronos“
entlockt er gelegentlich cremige Wabertöne, die klingen, als hätte er sie
in einer Raumfähre unterwegs im interstellaren Outback programmiert.
Ansonsten hält er sich vornehm zurück und lässt seinem Quartett den Vorzug,
aus dem vor allem zwei Solisten hervorzuheben wären: der aus Benin
stammende Gitarrist Lionel Loueke, der das Gitarrenspiel mithilfe eines
leiernden Kassettenrekorders erlernt hat. Je schwächer die
Batterieleistung, desto leiernder die Aufnahme. Dieses mesmerisierende
Leiern überführt Loueke bis heute in irre Klangsignaturen. Allerdings
bringt er sie nur kurz zur Geltung, denn sein Gegenpart auf der Bühne, der
ambitionierte junge Sänger, Saxofonist und Keyboarder Terrace Martin (als
Produzent von Kamasi Washington und Flying Lotus bekannt), gibt den Ton an.
Man merkt das auch daran, wie ausführlich ihn Hancock vorstellt und dass
eine Martin-Komposition, das spacige „Temper Butterfly“, im Set ist. Martin
singt dazu mit Vocoderstimme. Leider ruiniert Drummer Vinnie Colaiuta
manche Songs, weil er auf seine Schießbude eindrischt, als müsse er für die
Fremdenlegion Schnitzel klopfen. „Er hat das Handtuch noch nicht geworfen“,
meint Hancock süffisant, als dieser sich abtrocknet.
Es geht auch sanfter, impressionistischer, Blues-haltiger. Das stellt
einige Stunden später die US-Saxofonistin Matana Roberts im Duo mit dem
jungen Kopenhagener Pianisten Jeppe Zeeberg unter Beweis. Im „Literaturhus“
liefern die beiden ein konzentriertes Duo-Set, ein Highlight dieses
Festivals.
Roberts hat auf Einladung der Kopenhagener Musikhochschule gerade eine
Gastdozentur inne und leitet Workshops, beim Konzert holt sie aus ihrem
Altsaxofon einen warmen, tiefen Klang, der allerdings Zeit zur Entfaltung
braucht. Zeeberg funkt ein ums andere Mal dazwischen, seine wieselflinken
Läufe und perlenden Miniaturen wirken wie Nadelstiche, sie reizen Roberts
zu noch ruhigeren, noch schwermütigeren Antworten in diesem
Call-&-Response-Schema, sie zieht meditativ ihre Bahnen. Auch im Stillen
ist hier Intensität am Werk. Man hätte sich noch mehr solche Dialoge
gewünscht, leider packt Zeeberg nach 35 Minuten ein, er hatte an diesem
Abend noch ein Engagement, was Matana Roberts pikiert zur Kenntnis nimmt.
2017 ist ein Jahr der Jubiläen, vor hundert Jahren wurde schließlich die
erste Jazzplatte veröffentlicht, von der Original Dixieland Jazz Band in
New Orleans. Das Kopenhagen Jazzfestival weist schon im Grußwort des
Programms darauf hin, was zählt, ist die Zukunft: Pünktlich um 11 Uhr
morgens steigt jeweils „Jazz for Kids“, musikalische Früherziehung.
Am Freitag führt der dänische Produzent Rumpistol im Lindenparken rund 200
Kindergartenkinder in die Welt der elektronischen Musik ein. Spielerisch
legt er kurze Ausschnitte wie ein DJ auf, moderiert, animiert. Bald sammeln
sich die Kinder um das Mischpult, tanzen, skandieren und kommentieren auch
mal kurz die angespielten Stücke, dass das „Knight Rider“-Thema am meisten
goutiert wird, verwundert nicht.
## Nicht ganz von dieser Welt
Abends heißt es warten auf Erykah Badu. Statt um 22 Uhr steht die
texanischen Sängerin erst 45 Minuten später auf die Bühne, bis zuletzt
blieb offen, ob sie überhaupt nach Kopenhagen kommt. Dann taucht sie
urplötzlich im Scheinwerferlicht der Riesenbühne im Vergnügungspark Tivoli
auf, 3.000 Zuschauer jubeln: Ganz in Schwarz, mit Daunenmantel und
Daunenhaarmaske, die ihren Dreadlock-Zopf im Zaum hält, die Erscheinung
einer Pharaonin.
Auch ihre Stimme ist nicht ganz von dieser Welt, mal zart, mal kraftvoll,
in der Phrasierung punktgenau, und doch wirkt sie seltsam abwesend. Ihr
Konzert ist ein Best-of, abgefedert von ihrer fünfköpfigen Band und drei
BackgroundsängerInnen, führt Badu durchs Programm, schweigt zwischen den
Songs. Das Publikum gerät in Bewegung, sobald die Hits purzeln: „But You
Caint Use My Phone“ aus ihrem gleichnamigen Handy-Konzeptalbum, aber auch
Frühwerke, wie „On and On“ von 1997 und „Bag Lady“ von „Mama’s Gun…
Beginn jedes Songs dudelt Badu auf einem Drumpad herum, aus den Skizzen
schält sich dann der Beat, den ihr Drummer übernimmt, and the Beat goes on.
Kommerzielles und Randständiges haben beim Kopenhagen Jazzfestival
gleichrangige Bedeutung. Vom Riesenevent zum kleinen Loft ist es nicht
weit. So ein Veranstaltungsort ist 5 E, der Maschinenraum des Free-Jazz
Labels Ilk im Schlachthofviertel, wo einige japanische Künstler eingeladen
sind. Vor 150 Jahren wurden diplomatische Beziehungen zwischen Dänemark und
Japan aufgenommen, und nun sitzt der japanische Gitarrist Yoshitake Expe
inmitten des dänischen Freejazz-Kollektivs Orbit Stern und spielt sich in
eine Triprock-Trance, die die etwa 50 Anwesenden begeistert. Musik ist
immer noch die freieste Form von Verständigung, es gibt nichts
Kontemplativeres.
18 Jul 2017
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Kopenhagen
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