| # taz.de -- Vince Staples neues Album: Silben schlucken, Sätze überspringen | |
| > Der kalifornische Rapper veröffentlicht sein Album „Big Fish Theory“. | |
| > Fast alle Songs sind uptempo, House hat seine Spuren hinterlassen. | |
| Bild: Staples inszeniert sich mit Jeans, weißem T-Shirt und Billig-Sneakers | |
| HipHop ist mehr als nur eine musikalische Mode unter vielen, er kommt | |
| mitten aus dem Leben.“ Es war der Jazzdrummer Max Roach, der mit diesem | |
| Ausspruch einmal jenes wortmächtige Zeichensystem seiner Enkel und Urenkel | |
| charakterisierte. Anders als viele seiner Kollegen, fand Roach die | |
| Vorstellungswelten des HipHop in ihrer musikalischen Einbettung äußerst | |
| inspirierend. „Wenngleich die Thematisierung der Straße viele Leute | |
| abschreckt.“ Abschreckend wirkt der junge Westcoast-Rapper Vince Staples | |
| keineswegs, obwohl er von der Straße kommt. | |
| Allgemein gilt ja, interessante Pop-Figuren sollen möglichst ihr Normalsein | |
| negieren. Seit dem Auftauchen von Vince Staples ist dieses Gesetz | |
| aufgehoben. Denn Staples, der sich als gewöhnlicher Mann inszeniert, mit | |
| Jeans, weißem T-Shirt und Billig-Sneakers statt Goldketten und anderen | |
| flashigen Insignien, sagt in jedem Song: Dort, wo ich herkomme, herrscht | |
| das reinste Chaos, was ich brauche ist Stabilität. | |
| Mit seiner Tenorstimme findet er für die Ungereimtheiten des Lebens die | |
| richtigen Reime. „Ride in the drop top sun / Where I think / I might get | |
| JFK’d / hope not I pray if / If so, ain’t no thang to a G.“ Wie Staples in | |
| dem Song „Rain Come Down“ in kühnen Strichen Herkunft, Angst, Gewalt und | |
| Selbstermächtigung miteinander verknüpft, das hebt ihn von der Konkurrenz | |
| ab. Rumfuchteln mit Knarren kann jeder, Staples ist der reflektierte | |
| Gangsta, der Bücher liest und TV-Serien analysiert. Der sich inzwischen | |
| selbst in einem Kurzfilm [1][zu seiner EP „Prima Donna“] gespielt hat. | |
| Gerade hat der kalifornische Künstler mit „Big Fish Theory“ sein zweites | |
| Album veröffentlicht. Darauf rappt der 23-Jährige schlagfertig, konzise, | |
| aber auch widersprüchlich, mitunter haarsträubendes Zeugs. Da geht es auch | |
| um unglückliche Liebe, um Partyhedonismus, um all jene Themen, die Menschen | |
| seines Alters beschäftigen. Und dann taucht urplötzlich die Stimme von Amy | |
| Winehouse auf seinem Album auf. Staples führt ihre tragische Karriere | |
| darauf zurück, wie schamlos der Umgang der Öffentlichkeit mit dem | |
| Privatleben der Musikerin war. In einem Interview hat Staples erklärt, er | |
| möchte kein Star sein, nur ein Mensch mit einem festen Job. | |
| ## Die Erlebnisse auf der Straße | |
| Auf dem Cover von „Big Fish Theory“ ist ein Goldfisch in einem Glas | |
| abgebildet: Ein Star steht unter Dauerbeobachtung, so ließe es sich deuten. | |
| Empathiefähigkeit für andere ist keine Eigenschaft, die man von einem | |
| Rapper erwarten würde. Auch ungewöhnlich, das Bekenntnis, Angst zu haben, | |
| wie J. F. Kennedy in einem Hinterhalt erschossen zu werden: „I might get | |
| JFK’d“. Mehr noch als Angst bringt Kreativität in Vince Staples | |
| verblüffenden Arbeitsethos zum Vorschein. „Wir hatten Beats, wir hatten | |
| Reime, dann haben wir sie verwirklicht“, hat Vince Staples in einem | |
| Interview über die Produktion seines Albums erklärt. „Wenn man alles | |
| zusammenmischt, ergibt es einen Smoothie. Den gulpt man runter.“ | |
| Vince Staples stammt aus der Gegend zwischen Long Beach und Compton im | |
| Süden von Los Angeles. Sein Vater war Mitglied einer Gang, er musste dafür | |
| ins Gefängnis. Seine Mutter versuchte, ihn aus diesem Teufelskreis | |
| herauszuhalten. Vince Staples galt als guter Schüler, er kam auf eine weiße | |
| Highschool. Wegen eines Handydiebstahls geriet er in Schwierigkeiten. Er | |
| wurde dann doch Mitglied der Crips-Gang. HipHop war damals nicht Teil | |
| seines Lebens, und doch hat HipHop ihm vermutlich das Leben gerettet, durch | |
| Produzenten aus dem Umfeld der Crew Odd Future kam Vince Staples | |
| schließlich zum Rappen. In seinen Songs kommt all das Zusammen: sein | |
| fotografisches Gedächtnis, seine Schulbildung und die Erlebnisse auf der | |
| Straße, die er nie unnötig glorifiziert. | |
| Musikalisch klingt Staples’ Album bei Weitem verzinkter und stilistisch | |
| offener, als es saturierte Stars wie Kanye West und Drake zuletzt | |
| vorgemacht haben. Fast alle Songs sind uptempo, House und Broken Beats | |
| haben ihre Spuren hinterlassen. Der Detroiter Jimmy Edgar, sonst beim | |
| britischen Elektroniklabel Warp tätig, hat für „Big Fish Theory“ Tracks | |
| gebaut. Viele Rap-Alben ächzten zuletzt unter der Last von Gastauftritten | |
| und unterschiedlichen Produzentenhandschriften. Bei Vince Staples ist die | |
| Priorität anders: Er erhebt seine Stimme in jedem Song, und wenn er sich | |
| mit den ausgesuchten Gästen wie etwa mit Kendrick Lamar misst, wirkt das | |
| nie wie bemühtes Duellieren, es dient einzig und allein dem Flow. | |
| ## Man hört die Narben | |
| Auffallend ist auch, dass es auf den zwölf Songs von „Big Fish Theory“ | |
| nicht so sehr um das Künstlerego von Vince Staples geht. Er sei kein | |
| „magical negro“ hat er sarkastisch gesagt, kein Auserlesener, der dank | |
| Talent der Straße entfliehen konnte. Im Gegenteil, man hört Staples’ Stimme | |
| die Narben an: Sie klingt heiser und kommt atemlos daher. Und er setzt sie | |
| gekonnt ein; weiß, wie er Reime in Kadenzen bringt, beschleunigt, abbremst, | |
| wieder beschleunigt. Staples ist besessen von Tempo: Beim Rappen | |
| verschluckt er Silben. Die Punchlines sitzen immer. Er rappt wie jemand, | |
| der in großer Eile Treppen hinabsteigt und dabei ganze Absätze überspringt, | |
| wissend, wo es langgeht. „I’m the nose on the Sphinx / Where I’m from we | |
| don’t go to police / Where I’m from we don’t run / We just roll with the | |
| heat / I’m in the back of the bus / take a seat.“ | |
| Sein assoziatives Weiterhangeln innerhalb von Reimen, wie in der zitierten | |
| Strophe aus „Rain Come Down“, dem Finale seines Albums, ist beeindruckend. | |
| Besagter Track sei für HörerInnen bestimmt, die den Alltag eines jungen | |
| Mannes von der Straße nur vom Hörensagen kennen. Früher kannte Staples den | |
| Begriff Afrofuturismus auch nur vom Hörensagen. Durch seinen Wohlstand hat | |
| er nun Zeit, ihn zu erforschen. | |
| 1 Jul 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=gxw1Zef3EO0 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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