# taz.de -- Saxofon-Ikone aus den USA: Er ist gekommen, um zu bleiben | |
> US-Saxofonist Kamasi Washington macht aus Jazz eine vibrierende | |
> Pop-Inszenierung. Am Freitag gastierte er im Berliner Astra Kulturhaus. | |
Bild: Die Faust des Zorns gegen Rassismus – Kamasi Washington | |
Wie ein Hexenmeister steht er in seinem langen Kaftan da, im Gesicht ein | |
entrücktes Lächeln. Kamasi Washington, imposant auch von Gestalt, lauscht | |
seinen Musikern, mit denen er zu diesem Zeitpunkt schon gut anderthalb | |
Stunden gespielt hat, ekstatisch, wuchtig, euphorisch, und wirkt, als müsse | |
er gar nichts weiter tun, als den Dingen ihren Lauf zu lassen. Kein | |
Hokuspokus nötig; sein Publikum hat der Zauber in dem Moment ergriffen, als | |
Washington mit knappem Gruß die Bühne betreten hat. | |
Washington – das wird am Freitagabend im Berliner Astra (wo sonst meistens | |
Rapper auftreten und Indiebands, aber bestimmt keine Jazzkünstler) noch | |
einmal klar – ist ein Phänomen. Wieso schafft es der 37-Jährige, große | |
Hallen zu füllen? Mit einem Saxofon? Das Konzert ist seit Langem | |
ausverkauft. Alle sind gekommen, Junge, Ältere, um Washington zuzuhören und | |
rauschhaft im Takt mitzuwiegen. Sich seiner Energie zu entziehen – | |
unmöglich! | |
Kamasi Washington, geboren in Los Angeles und aufgewachsen im | |
afroamerikanisch geprägten Inglewood, verdiente sich zunächst musikalische | |
Lorbeeren als Dienstleister für andere, arbeitete im Hintergrund für Lauryn | |
Hill und Snoop Dogg, bis der Elektronik-Produzent Flying Lotus auf ihn | |
aufmerksam wurde und der Rapper Kendrick Lamar ihn für sein Album „To Pimp | |
a Butterfly“ engagierte. | |
2015 veröffentlichte Washington sein Major-Debüt: „The Epic“, besser hät… | |
er das Album, mit dem er sich spektakulär ins Rampenlicht katapultierte, | |
gar nicht betiteln können. Episch breit, episch tief, episch lang ist das | |
Werk, aufgenommen mit 20 Sänger*innen und einem 32-köpfigen Orchester, das | |
auf sechs Schallplattenseiten gepresst werden musste, definitiv. Als episch | |
lässt sich aber auch das bezeichnen, was er damit auslöste, nämlich, dass | |
er Modern Jazz Hörer*innen nahebrachte, die von sich vorher behauptet | |
hätten, dass sie Jazz nicht mögen. | |
## Pop im Idealfall | |
Washingtons Spiel ist auf der Höhe der Zeit, inhaltlich wie musikalisch. Er | |
sendet kraftvolle Black-Lives-Matter-Botschaften aus und dudelt niemals | |
selbstzufrieden vor sich hin. Es ist das, was Pop im Idealfall einzulösen | |
vermag, mitreißend und bedeutungsvoll. Ein Konzept, dass er mit dem | |
Doppelalbum „Heaven & Earth“, es erscheint im Juni, fortsetzen wird. | |
Dennoch ist es als Konzertbesucher*in eher besser, Washingtons bisheriges | |
Werk auszublenden, um nicht enttäuscht zu werden. Dass das Konzert mit zwei | |
Schlagzeugen, einem Kontrabass, einem Keyboard, einer Posaune und einer | |
Sängerin anders als die überbordende orchestrale Wand seines Studiosounds | |
klingt, ist logisch. Tatsächlich aber reicht der spirituell aufgeladene | |
Überwältigungsjazz der Live-Versionen für den Endorphinaustoß völlig aus. | |
„The Rhythm Changes“, Titel einer der aus „The Epic“ performten Songs, | |
könnte als Motto dienen. | |
Washington ist traditionalistisch – und dann auch wieder nicht. Sein | |
Konzert hat dieses jazztypische Auf und Ab der Überraschungsmomente, diese | |
sprunghaften Wechsel der Dynamiken, Motive und Instrumente. Und so gelingt | |
mit einem Pingpong von Soli und irren Läufen ein aufgeregter | |
Energieaustausch zwischen Musikern und Instrumenten. | |
## Retrofuturistisch | |
Washington ist zwar Bandleader, agiert auf der Bühne aber stets wie ein | |
Teamplayer. Er weiß seine Crew – darunter ist übrigens auch sein Vater | |
Rickey – anzupreisen. Wie kann man aber auch der Power dieses Cameron | |
Graves am Keyboard nicht komplett erliegen und der divenhaften | |
Bühnenpräsenz von Sängerin Patrice Quinn? Wenn Letztere schwelgerisch ins | |
Sphärische gleitet, klingt sie, als vertonte sie einen | |
70er-Jahre-Science-Fiction-Film – und man versteht, warum einige das, was | |
Washington tut, als Space-Jazz bezeichnen. Retrofuturistisch wäre das | |
passende Adjektiv. | |
Täuschen sollte einen das nicht. In den Diskursen, an denen Washington | |
anknüpft, ist er ganz im Hier und Jetzt, und angriffslustiger denn je. | |
Wieder und wieder singt Quinn kurz vor Schluss die Zeilen: „We will no | |
longer ask for justice / Instead, we will take our retribution.“ – „Fists | |
of Fury“, Fäuste der Wut, eröffnet das kommende Album und beschließt auch | |
das Berliner Konzert. Eine Kampfansage an Rassismus. Das Bild, das von | |
Washingtons Auftritt bleiben wird, zeigt ihn mit erhobener Faust. Er ist | |
gekommen, um zu bleiben. | |
27 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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