# taz.de -- Malmö kreativ: Schweden rau und bunt | |
> Aus den Hallen einstiger Werften und Fabriken klingen schräge Töne | |
> moderner Clubs. In verlassenen Werkstätten nisten sich Kreative ein. | |
Bild: Meeresfreibad Scaniabadet im Neubaugebiet Vastra | |
„Malmö erklären?“, fragt Ali, „das wäre, als müsste ich einem Affen M… | |
beibringen.“ Der 30-Jährige mit dem schwarzen Vollbart und dem | |
hintergründigen Lächeln schaut kurz auf und wirft einen Tischtennisball in | |
einen der vielen roten Plastikbecher, die auf dem Tisch vor ihm stehen. Das | |
selbst gebaute Spiel unterhält die Gäste einer ungewöhnlichen Party. | |
Die sechs Musiker von So and Such feiern die Veröffentlichung ihres neuen | |
Albums. Wo sich früher in einem dunklen, verfallenen Innenhof Junkies ihren | |
Stoff holten, ist ein Tagungszentrum eingezogen. Frisch restaurierte, | |
pastellfarben gestrichene Lehm- und Fachwerkhäuser aus dem 16. Jahrhundert | |
geben dem Sankt Gertrudshof einen edlen Rahmen. | |
„Wir haben die Besitzer gefragt, ob wir hier feiern dürfen. Sie haben es | |
tatsächlich erlaubt“, staunen Ali und seine Musikerkollegen. Die Betreiber | |
wollen sich ein jüngeres Publikum erschließen. Berührungsängste sind selten | |
in Malmö. „Die Stadt ist weniger in schwedischen Traditionen verwurzelt als | |
andere“, vermutet der Künstler und Fotograf. | |
Murat und Ezana, beide ebenfalls Musiker und DJs bei So and Such warten an | |
der Kasse auf Gäste. Für 80 Kronen gibt es einen Stempel auf die Hand. Die | |
meisten zahlen mit ihrem Handy. So and Such ist so etwas wie das moderne | |
Malmö im Kleinen. | |
Ezana, 29, nennt sich Produzent und Musiker. Seine Familie stammt aus | |
Eritrea, aufgewachsen ist er in Lund, einer Universitätsstadt in der Nähe. | |
Sound-Künstler, Designer und DJ Murat alias „Choys“ hat kurdische Eltern. | |
Ali, der Musiker und Fotograf, floh als Siebenjähriger mit seinen Eltern | |
vor dem Irakkrieg, hat in Kanada, den USA, Australien und Saudi-Arabien | |
gelebt. | |
## Die Brücke bringt Ideen | |
„Jeder von uns ist multikreativ“, sagt Ezana. Die Gründer wollen nun „in | |
einer ermutigenden Atmosphäre gemeinsam die kulturelle Landkarte erobern.“ | |
Diese hat sich im Südosten Schwedens gründlich verändert, seit die | |
Öresundbrücke Malmö mit Kopenhagen und dem Rest Europas verbindet. Die | |
Brücke bringt Ideen und neues Publikum in die Stadt. | |
Anderseits müssen Malmös Museen, Clubs und andere Kulturorte gegen die nun | |
nahe, mächtige Konkurrenz von der dänischen Seite bestehen. Die neue | |
Verbindung hat die Wirtschaft der einst darbenden Industriestadt beflügelt. | |
Vor allem Umwelttechnik, Tourismus, Handel und andere Dienstleister stellen | |
ein. Die Einwohnerzahl wächst. Die Hälfte der Malmöer ist jünger als 35, | |
darunter 26.000 Studierende. Fast jeder und jede Dritte hat ausländische | |
Wurzeln. | |
Die meisten Zuwanderer wohnen im ehemaligen Arbeiterviertel rund um den | |
Möllevångentorget im proletarischen Malmöer Südosten. Dort bietet Mary in | |
einer ehemaligen Fensterwerkstatt Künstlern eine Heimat: „Die meisten sind | |
introvertiert. Sie wissen nicht, wie man sich verkauft“, erklärt die blonde | |
25-Jährige mit dem wachen, fordernden Blick. Sie verstehe sich als | |
„Kuratorin, die Kunst kommuniziert“. Sie netzwerke, arbeite mit Malmös | |
beiden wichtigsten Museen, der Kunsthal und dem Modernen Museum“, zusammen. | |
Der Durchschnittsmensch sehe ein, dass er einen Elektriker bezahlen müsse, | |
„versteht aber nicht, dass künstlerische Arbeit etwas kostet.“ Das will | |
Mary ändern. „Wer für ein Werk wenig bezahlt, schätzt es gering.“ So | |
einfach ist das für die extrovertierte Galeristin. | |
## Mach was dir entspricht | |
Schweden ist für sie ein materialistisches Land, „in dem alle im Hamsterrad | |
dem nächsten Karriereschritt hinterher rennen, um etwas zu werden“. Mary | |
hat sich für einen anderen Weg entschieden. Drei Jahre lang studierte sie | |
Kunst, lebte auf den Lofoten und in Berlin, wo sie Gedichte schrieb, die | |
sie auf Bühnen, in Clubs und Kneipen präsentierte. Obwohl die Existenzangst | |
sie oft nicht schlafen lasse, steht die Umtriebige zu ihrem Weg: „Ich kann | |
kein halbes Leben führen.“ | |
„Mach, was dir entspricht und wofür du brennst“, schärft sie den Künstle… | |
ein, denen sie winzige Arbeitsecken in ihrer Galerie vermietet. Hier ist | |
sie die Chefin: „Die Leute können sich bei mir anlehnen, aber ich | |
entscheide, was hier passiert“. Wer im Frank ausstellen will, muss seine | |
Arbeiten mit Preisen auszeichnen und sich dem Publikum stellen. Das falle | |
vielen schwer. Besucher lockt Mary mit interaktiven Ausstellungskonzepten. | |
Wer sich vorher im Waschbecken in der Ecke des weiß gestrichenen | |
Ausstellungsraums die Hände wäscht, darf und soll die Werke anfassen. | |
Oft sitzt die Galeristin auf ihrem Klappstuhl vor der Tür, unterhält sich | |
mit Passanten und beobachtet das Geschehen auf der Ahlmansgatan, einer von | |
schlichten Mietshäusern des frühen 20. Jahrhunderts gesäumten Seitenstraße. | |
„Kürzlich ist um die Ecke eine Granate explodiert. Hin und wieder gibt es | |
Schießereien“, erzählt sie scheinbar seelenruhig. „Das sind Drogenkriege. | |
Anwohner lassen die in Ruhe.“ | |
So mancher Dealer wohnt ein paar Straßen weiter östlich in einem der | |
berüchtigsten Plattenbauviertel Schwedens. In den 60er Jahren brauchten | |
Malmös Werften und Fabriken Arbeitskräfte. Man holte „Gastarbeiter“. Ihnen | |
baute der Staat schnell und billig neue Quartiere. „Eine Million Wohnungen“ | |
hieß das Programm der Regierung. Rosengård, Rosengarten, nannten die Planer | |
das neue Viertel am damaligen Stadtrand. | |
## Bolzplatz für den Rosengarten | |
Der Sozialdemokrat Andreas Konstantinides kam 1974 als Flüchtling nach | |
Malmö. Die türkische Armee hatte seine Heimat im heutigen Nordzypern | |
besetzt. Die Griechen mussten das Land verlassen. Inzwischen ist Andreas so | |
etwas wie der Bezirksbürgermeister und Seelsorger der rund 25.000 | |
„Rosengärtner“. 7.000 Leute wohnen in den zehn und zwölf Etagen hohen | |
Wohnblocks. | |
„Chinesische Mauer“ nennen sie einen der Klötze, weil er so groß und | |
sperrig in der Landschaft steht. Ein Fußballplatz trägt den Namen des | |
Profi-Spieler Zlatan Ibrahomivic. Der Bosnier ist in Rosengård | |
aufgewachsen. Inzwischen hat er sich eine riesige Villa am Meer gebaut. | |
Dabei vergaß er seine Wurzeln nicht und spendierte den Jungs im Rosengarten | |
einen Bolzplatz. Viele verehren den berühmten Sohn des „Gettos“ als ihren | |
Helden. | |
Auf 65 Prozent beziffert Andreas Konstantinides die Arbeitslosenquote im | |
Viertel. Wer einen Job findet, zieht weg. „In vier Jahren ist die Hälfte | |
der Bevölkerung verschwunden“, berichtet der gut gelaunte ältere Herr. Die | |
Stadt weist leer stehende Wohnungen vor allem den vielen neu angekommenen | |
Flüchtlingen zu. Hinzu kommen etwa 300 bis 400 „Illegale“. | |
Optimist Andreas zeigt lieber, was sich im Viertel zum Guten wendet. Vor | |
einem der Plattenbauten sitzen Leute auf Gartenstühlen beim Essen. Sie | |
speisen an Plastiktischen Couscous, Bulgur, gebratenes Gemüse und andere | |
orientalische Spezialitäten. Mit Unterstützung der Gemeinde haben die | |
Flüchtlingsfrauen ein Restaurant eröffnet. Jeden Mittag kochen sie in einem | |
der Plattenbauten orientalische Spezialitäten. Anwohner und vor allem | |
Menschen, die im Viertel arbeiten, bekommen so für 70 Kronen ein leckeres, | |
preisgünstiges Mittagessen. | |
Ein paar Häuser weiter hat das von Stadt und Europäischem Sozialfonds | |
geförderte Projekt Yallatrappan (arabisch „Yallah“, etwa „vorwärts mit | |
Gottes Wille“ und schwedisch „Treppe“) außerdem eine Großküche | |
eingerichtet, in der geflüchtete Frauen für einen sozialen Cateringbetrieb | |
kochen. Bezahlt werden sie nach Tarif. Jede zweite findet im Laufe der Zeit | |
dank dieser Erfahrung einen Job in einem örtlichen Unternehmen. | |
## Schwierige Wende | |
Yallatrappan wächst weiter: Einige arbeiten in der Nähwerkstatt, die ihre | |
Produkte in der örtlichen Ikea-Filiale verkauft, andere in der Putztruppe, | |
die Firmen hier zu marktüblichen Preisen anheuern. | |
Mit vielen Ideen, Entschlossenheit und dem Durchhaltevermögen engagierter | |
Leute im Stadtteil schafft Rosengård allmählich die Wende zum gefragten | |
Wohnquartier. Auf einem freien Grundstück am Rande der Plattenbausiedlung | |
entstehen moderne Eigentumswohnungen und Häuser für Familien. Damit wollen | |
die Bezirkspolitiker Menschen halten, die sonst in „bessere Gegenden“ | |
ziehen würden. | |
Ein Investor hat das größte Gebäude am zugigen Hauptplatz des Quartiers | |
gekauft. Dort ziehen jetzt ein Fitnessstudio und neue Läden ein. „Die | |
Gewalt ist weniger geworden“, freut sich Konstantinides. Sozialarbeiter und | |
Bürgerberater helfen den Jugendlichen bei der Jobsuche. „Da verdienen sie | |
vielleicht 2.000 Euro im Monat“, überlegt der Stadtteilpolitiker. „So viel | |
Geld machen sie mit Drogen an einem Tag.“ | |
## Stadt der Zukunft | |
Welten liegen zwischen Rosengård und dem neuen Westhafen am anderen Ende | |
der Innenstadt. Köckums, einst weltgrößte Werft und lange Zeit wichtigster | |
Arbeitgeber Malmös, schloss 1985. Nach Jahrzehnten des Stillstands und | |
Verfalls wächst nun auf dem Gelände und im ehemaligen Hafen eine neue | |
Stadt. Peter, ein Deutscher, der einst der Liebe wegen nach Malmö kam, | |
führt Besucher durch das nachhaltige Modellquartier zu Füßen des Turning | |
Torso. Der in sich verdrehte 54 Etagen hohe Wohnturm entstand nach Plänen | |
des spanischen Architekten Santiago Calatrava. | |
Peter zeigt auf einem Rundgang die Stadt in der Stadt. Die höheren Bauten | |
am Rand schützen die in verschiedenen Farben gestrichenen Reihenhäuser im | |
Inneren vor den Stürmen, die vom nahen Meer hereinwehen. Fußwege zwischen | |
Teichen und Gärten verbinden die Eingänge. Architekten aus 14 europäischen | |
Ländern haben typische Häuser ihrer Heimatländer nachgebaut. | |
Anders als in Rosengård entsteht im Westhafen ein Quartier mit kurzen Wegen | |
zum Wohnen, Leben, Einkaufen, Ausgehen und Arbeiten. Das Ziel bis 2031: | |
25.000 Arbeitsplätze für 25.000 Einwohner. | |
Die meisten Malmöer Künstler würden eher nicht in den Westhafen ziehen. „Zu | |
teuer, zu steril, zu wenig echtes Leben“, findet Galeristin Mary. Sie | |
bleibt im Einwandererviertel Möllevången. In einem leer stehenden Pavillon | |
des dortigen Volksparks hat sie mit einem englischen Installationskünstler | |
eine Ausstellung gestaltet. Die Besucher lauschen Tönen des Meeres. | |
„Ich habe Jahre gebraucht, um diese Stadt zu verstehen“, erzählt Musiker | |
Ali von den So and Such. „Es ist die dynamischste Stadt in Schweden. Sie | |
schaut immer nach vorne.“ | |
29 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Robert B. Fishman | |
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