# taz.de -- Mücken als Krankheitsüberträger: Ssssss-sss. Ssssssssss | |
> Ein leises Sirren kündigt Unheil an. Wie gefährlich aber unsere Mücken | |
> wirklich sind, wird am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg untersucht. | |
Bild: Kenner erkennen: ein Mückenweibchen | |
Ssssssssssss. Ganz nah am Ohr klingt das Hungerlied. Ssss die ganze Nacht, | |
wenn man es nicht mit einem Buch oder was gerade herumliegt unterbindet. | |
Die Liedermacherin ist Culex pipiens. Nördliche Hausmücke oder einfach: | |
Plagegeist, Blutsauger, Nervensäge. | |
In Hamburg haben sie ihr einen ganzen Stock gewidmet. Im | |
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Ein roter Backsteinkasten mit | |
einer Architektur, die jeden Besucher in die Irre führt. Früher Krankenhaus | |
für Seemänner, heute Deutschlands größte Brutstätte von Insekten, Viren und | |
anderen Parasiten. Gelegen fast schon malerisch an Hamburgs Steilküste, der | |
Hafenstraße in St. Pauli. | |
Im Erdgeschoss empfängt Egbert Tannich, Leiter der Molekularen | |
Parasitologie, in seinem Büro. Ein schmaler, weißhaariger Mann in einem | |
schmalen Kasten. Die Wände hinter Büchern verschwunden, der Blick geht | |
hinaus auf Kräne am Horizont. Wer etwas über Mücken wissen will, ist hier | |
richtig. Tannich ist eine Koryphäe. Culex pipiens ist seit Jahren sein | |
Alltag. Online findet man ihn auch unter dem Stichwort „Hamburgs | |
Mücken-Papst“. | |
Tannichs Forschungsschwerpunkt ist die sogenannte Vektorkompetenz von | |
Mücken. Also die Übertragung von Viren auf Mensch und Tier. Ein | |
Forschungsschwerpunkt, der mit dem Verschwinden der Malaria aus Deutschland | |
an Bedeutung verlor. Das war in den 1950er Jahren. | |
## Mit dem Blauzungenfieber ging es los | |
Seitdem geriet die Mücke als Krankmacherin in Vergessenheit – bis zum | |
August 2006. In Deutschland und den Niederlanden befiel damals ein Virus | |
Tausende Rinder, Schafe und Ziegen. Gelenke entzündeten sich, Zungen | |
verfärbten sich blau. Eigentlich sucht sich das Blauzungenfieber seine | |
Opfer südlich der Sahara. Wie war das Virus also in deutsche Kuhställe | |
gelangt? Die Antwort war schnell gefunden: mit infizierten Stechmücken. | |
„Für Politik und Forschung ein Weckruf“, sagt Tannich. Seit 2011 arbeitet | |
er an einer „Mückenkarte“ für Deutschland. Gemeinsam mit Kollegen seines | |
Instituts und Wissenschaftlern des Senckenberg Deutsches Entomologisches | |
Institut in Müncheberg. „Wir wollen wissen: Was können unsere Mücken | |
eigentlich? Und welche Mückenarten gibt es in Deutschland?“ | |
Um das herauszufinden, gehen Tannich und Kollegen regelmäßig auf Jagd. An | |
Tümpeln, Regentonnen oder an Flussufern in ganz Deutschland. Gekäschert | |
wird nach Mückeneiern oder Larven. Wer fündig wird, übergibt an Anna | |
Heitmann. Blond, herzlich und „fasziniert“ von Mücken. | |
Heitmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nocht-Institut und arbeitet | |
dort im Labor, in einem Raum im dritten Stock des Instituts. Grau in grau, | |
mit einer Einrichtung, die an Einbauküchen der neunziger Jahre erinnert. | |
Alles sehr steril. Nur auf Heitmanns Tisch nicht. Da wimmelt es. In zwölf | |
Glasbehältern tummeln sich kleine Stöcke mit riesigen Augen – Mückenlarven | |
aus der Regentonne einer Kollegin. | |
## 50 Stechmückenarten gibt es in Deutschland | |
Im ersten Schritt ihrer Untersuchung unterzieht Heitmann die Larven einer | |
DNA-Analyse. Etwa 50 Stechmückenarten gibt es in Deutschland. Culex | |
pipiens, die Gemeine Stechmücke, findet sich fast überall – an der Nordsee, | |
in den Bergen, auf dem platten Land. | |
Immer öfter gehen den Mückenforschern aber auch neue Arten ins Netz – vor | |
allem im Süden Deutschlands. Aedes albopictus, die Asiatische Tigermücke. | |
Aedes japonicus, die Asiatische Buschmücke, und Aedes aegypti, die | |
Gelbfiebermücke. Invasive Mückenarten, eingewandert aus tropischen | |
Gefilden. Oft im Gepäck von Reisenden, in Flugzeugen oder Autoreifen. | |
Gefürchtet vor allem als Überträger von Malaria, Denguefieber oder des | |
Zika-Virus. Vor allem die Tigermücke sei in Deutschland heimisch geworden, | |
sagt Heitmann. Ihre Eier kämen mittlerweile sogar über den Winter. | |
Ob Culex oder Aedes, bei Heitmann geht es jetzt in die „Aufzuchtstation“. | |
Eine riesige graue Box auf dem Dachboden – zwischen Stapeln alter Akten und | |
ausrangiertem Büromaterial. „Es gab nirgendwo anders Platz“, sagt Heitmann. | |
Die Luft ist trocken, es riecht nach Bauschutt. Im Inneren der Box weht ein | |
warmes Lüftchen. Dafür riecht es nach Keller. Auch hier wimmelt es. Nur | |
bedrohlicher als eben noch auf Heitmanns Tisch. Tausende Mücken sitzen oder | |
fliegen hier in kleinen weißen Kisten umher. Lange Beine und gierige Rüssel | |
überall. | |
Ein paar Treppen später: Heitmann öffnet die Schleuse zum | |
Hochsicherheitslabor. Hier, hinter dickem Glas, findet die eigentliche | |
Forschungsarbeit statt. Mit einer „Blutmahlzeit“ werden die Mücken | |
infiziert – mit den Zika-Virus, mit Malaria oder Enzephalitis. Danach | |
folgen zwei bis drei Wochen in konstanter Temperatur, schließlich kommt der | |
Gang zum Mikroskop. | |
## Entscheidend ist die Vektorkompetenz | |
Nicht jede Mücke kann Viren weitergeben. Um es mit Tannichs Worten zusagen: | |
Ihr fehlt die Vektorkompetenz. Ob eine Mücke Viren weitergeben kann, liegt | |
am Erreger, dem Immunsystem und der Umgebungstemperatur. Nur wenn alles | |
zusammenpasst, kann die Mücke ihr Opfer infizieren. | |
Die meisten heimischen Mücken können das nicht, und die, die es können, | |
sind in der Minderheit. Von einer Zika-Virus-Epidemie wie in Brasilien ist | |
Deutschland weit entfernt. So viel haben Tannich, Heitmann und Kollegen | |
bereits herausgefunden. | |
Doch seit bekannt wurde, dass die Tigermücke auch in Deutschland zu Hause | |
ist, bekommt Egbert Tannich viel Post. Oft liegen erschlagene Mücken bei | |
und geht es um die Sorge der Absender, sich beim Grillen mit einer | |
tropischen Krankheit infiziert zu haben. Manche rufen direkt im Institut an | |
und bitten um Diagnose. | |
Mit der Temperatur steige auch die Panik, sagt Tannich. Schuld an der | |
Hysterie gibt er der Dauerpräsenz der Mücke in den Medien. „Das suggeriert, | |
dass es ein Problem gibt. Gibt es aber nicht.“ In Hamburg beispielsweise | |
sei die Mückenfauna seit 100 Jahren etwa die gleiche, sagt Tannich. „Mal | |
kommt eine dazu, mal verschwindet eine.“ | |
14 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Gesa Steeger | |
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