# taz.de -- Globalisierung und regionale Fauna: Die Tigermücken kommen | |
> Die Asiatische Tigermücke kann das Dengue-Fieber übertragen. Aus den | |
> Tropen ist sie nach Europa und auch nach Süddeutschland gelangt. | |
Bild: Folgt den Menschen bis ins Auto - und kommt so aus Italien bis ins Badisc… | |
BRUCHSAL taz | Es riecht nach Verfaultem, Schweiß und Urin. Moder- und | |
Schweißgeruch braucht Artur Jöst für seine Arbeit. Nach Urin stinkt es, | |
weil Menschen zu geizig sind, 70 Cent für die Toilette zu bezahlen. Jöst | |
ist auf der Jagd nach der Asiatischen Tigermücke – auf den Raststätten der | |
A 5 in Baden-Württemberg. | |
Die Heimat der Tigermücke (lateinisch: Stegomyia albopicta, früher Aedes | |
albopictus) sind die südasiatischen Tropen. Durch den globalen Handel | |
gelangte sie nach Europa. In Italien, Südfrankreich und der Italienischen | |
Schweiz hat sie sich bereits angesiedelt. Seit 2012 versucht das | |
Bundesumweltministerium zu verhindern, dass sie auch nach Deutschland | |
kommt. Denn die Stechmücke kann tropische Krankheiten wie das Chikungunya- | |
und Denguefieber mit Malaria-ähnlichen Symptomen übertragen. Artur Jöst | |
leitet das Projekt für den Südwesten Deutschlands. | |
Doch dies ist keine Geschichte über Plagen, Seuchen und tropische | |
Krankheiten. Dies ist eine Geschichte über Globalisierung und ihre | |
Auswirkungen auf die regionale Fauna. Um Menschen und Insekten vor der | |
Tigermücke zu schützen, klettert der Biologe Jöst in das Gebüsch des | |
Rasthofs Bruchsal Ost, nördlich von Karlsruhe. | |
An der Wand der Gaststätte steht eine sogenannte Lebendfalle. Sie verströmt | |
CO2 und einen Buttersäure-Ammonium-Mix, das ähnelt dem Geruch eines | |
verschwitzten Menschen. Davon werden die Mücken angelockt. Ein Luftstrom | |
saugt sie hinein in ein Netz, die Falle selbst sieht aus wie ein | |
Papierkorb, weiß mit einem schwarzen Loch. Der Kontrast erinnere die | |
Tigermücken an eine Baumhöhle, sagt Jöst. Das Netz in dem Korb wechselt er | |
im Zweiwochentakt. Neben Bruchsal Ost fährt er weitere 15 Raststätten der A | |
5 an. Für die Tour auf den 270 Kilometern von Basel bis Bensheim ist Jöst | |
drei Tage unterwegs. Er hasse die langen Fahrten mit dem Auto, sagt er. | |
## Schwarzes Gummi | |
Autos sind auch der Grund, warum es die Mücke überhaupt nach Europa | |
geschafft hat. Mit dem Handel von Altreifen wurden die Eier auf nahezu alle | |
Kontinente verteilt. Denn auch Autoreifen erinnern die Tigermücken an | |
Baumhöhlen. Sie setzen die befruchteten Eier dort ab, diese können auch | |
ohne Wasser mehrere Wochen überleben. Die Reifen werden irgendwann | |
verschifft, oft lagern sie unter freiem Himmel. Die Tigermücken hätten es | |
gerne feucht und warm, sagt Jöst. Wenn es regnet, schlüpfen die Larven in | |
den Pfützen und finden gute Bedingungen in dem schwarzen Gummi, das sich | |
schnell durch Sonnenstrahlen erwärmt. | |
Auch innerhalb der Kontinente gibt es weitere Verbreitungswege, | |
beispielsweise in Autos von Urlaubern oder Lkws. „Die Tigermücke ist so | |
aggressiv“, sagt Jöst, „dass sie den Menschen ins Auto folgt, die sie dann | |
als blinder Passagier aus Italien einschleppen.“ Wenn die Urlauber einen | |
Zwischenstopp machen, werden die Mücken oft an Raststätten freigesetzt. | |
Bruchsal Ost ist mit seinen 210 Parkplätzen für Lkws, Autos und Wohnwagen | |
ein häufig angefahrener Halt. | |
Für das Umweltministerium untersuchten Biologen bundesweit zwei Jahre lang | |
mögliche Einschleppwege der Asiatischen Tigermücke. Sie stellten Fallen auf | |
am Leipziger Flughafen, im Hamburger Hafen, an verschiedenen Autobahnen. | |
Gefunden wurden Tigermücken jedoch nur in Baden-Württemberg und Bayern. | |
Dort läuft das Projekt jetzt bis 2017 weiter. 30.000 Euro erhalten Jöst und | |
sein vierköpfiges Team für die Untersuchung an den drei Autobahnen A 5, A 6 | |
und A 81. Seit diesem Sommer stehen ihre Fallen zudem bei | |
Altreifenhändlern. Gefunden haben die Wissenschaftler vergangenes Jahr 14 | |
ausgewachsene Tiere und 194 Eier. | |
Eier und ausgewachsene Insekten schicken sie an das Bernhard-Nocht-Institut | |
für Tropenmedizin in Hamburg. Im Labor werden die Eier geflutet, | |
großgezogen und ihre DNA-Sequenz untersucht, um mögliche Verwandtschaften | |
herauszufinden. | |
„2012 hatten wir 8 Mücken an einem Standort gefangen, die alle von | |
demselben Weibchen abstammen“, sagt Artur Jöst. „Das bedeutet, dass sie | |
sich bei uns vermehrt haben.“ Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie alle | |
nacheinander eingeschleppt und an dieser Raststätte freigesetzt wurden, ist | |
sehr gering. Wenn sie über einen Winter hinweg Verwandtschaftsverhältnisse | |
finden, würde das heißen, dass die Mücken es schaffen, in Deutschland zu | |
überwintern. Bis zu –5 Grad können die Tigermückeneier aushalten. | |
Einige der Eier hat Jöst großgezüchtet. Ein paar tote Mücken hat er in | |
einer Kühlbox dabei. Etwa einen halben Zentimeter sind sie groß, sie | |
glänzen metallisch schwarz, haben auffällige weiße Kringel an Beinen und | |
Körper. So kann kann man einzelne Körperteile erkennen, falls sich Spinnen | |
oder Ameisen in die Lebendfalle verirren und Jösts Forschungsobjekte | |
auffressen. | |
Der Biologe erforscht, aber bekämpft die Mücken gleichzeitig. Brutstätten | |
wie Baumhöhlen an den Reststätten füllt er mit Sand auf, damit sich keine | |
Pfützen bilden. Die Kanalisation behandelt er mit „Bacillus thuringiensis | |
israelensis“ (Bti), einem Protein, das Stechmückenlarven gezielt tötet. | |
„Selektiv ist daran“, sagt Jöst, „dass das Protein nur im Darm der | |
Stechmücken in den tötenden Wirkstoff umgewandelt wird.“ Das Protein dockt | |
an Rezeptorstellen der Darmwand an und öffnet die Poren. Wasser dringt in | |
den Darm und die Larve platzt. Ausgewachsene Mücken kann man hingegen nur | |
schwer bekämpfen. „Da müsste man ganze Wälder einräuchern“, sagt der | |
46-Jährige. | |
Im Kofferraum seines VW-Golf liegen neben der Kühlbox mehrere Tupperdosen, | |
Fangnetze und Gummistiefel, die bis zu den Hüften reichen. „Die kann man | |
hier in den stinkenden Büschen zwar auch manchmal gebrauchen, aber | |
eigentlich sind die dazu da, ins Wasser zu steigen.“ Das Auto ist dreckig, | |
denn am Tage zuvor war Jöst am Rhein unterwegs. | |
Denn Bti wirkt nicht nur bei der Tigermücke. Die Kommunale | |
Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs), für die Artur | |
Jöst auch arbeitet, setzt das Mittel großflächig gegen Stechmücken oder, | |
wie er es mit einem süddeutschen Ausdruck sagt, für „Hausschnaken“ ein. | |
## Neue Pflanzenarten | |
1976, ein Jahr nach der „großen Schnakenplage“ am Oberlauf des Rheins, | |
hatten sich hundert Gemeinden zusammengeschlossen, um gegen die Stechmücken | |
vorzugehen. „Die Schnaken haben keine natürlichen Feinde“, erklärt Jöst.… | |
seinem Distrikt, dem Kreis Rastatt, reduzierte die Kabs rund 90 Prozent der | |
Bestände. Trotzdem merke man, dass es immer noch welche gibt, sagt Jöst. | |
„Wir sorgen für mehr Lebensqualität.“ | |
Was ihm an dem Job gefällt, ist die positive Rückmeldung aus der | |
Bevölkerung. „Zudem bin ich gerne draußen“, sagt er. Auf seinen Streifzü… | |
durch die Rheinauen entdecke er Pflanzen- und Tierarten, die sich neu | |
ansiedeln. Wie die Kandagans. Eine Feder dieser Gänseart hat er im Auto | |
vorne in der Lücke zwischen Airbag und Armatur eingeklemmt. Daneben weitere | |
Federn, die er gefunden hat von Fasan, Habicht, Schwan. Welche Wege und | |
Entwicklungen die Natur nehme, sei faszinierend, sagt er. Auch bei der | |
Tigermücke. | |
„Wir sind an einem dynamischen Punkt“, sagt Jöst „wo möglicherweise für | |
Jahrzehnte etwas Neues entsteht und sich entscheidet, ob die Mücke sich | |
auch hier ansiedelt.“ Er ist diesbezüglich gespalten: „Einerseits freue ich | |
mich, wenn wir nichts finden und sich die Tigermücke nicht ansiedeln kann“, | |
sagt Jöst, der Mückenbekämpfer. „Auf der anderen Seite ist es auch | |
interessant, etwas zu finden“, spricht der Wissenschaftler in ihm. „Das, | |
was wir tun, kann Weichen stellen für die Zukunft.“ | |
27 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bednarczyk | |
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