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# taz.de -- Blutsauger auf dem Vormarsch: Mythos Mücke
> Es juckt. Dieses Jahr garantiert noch mehr als sonst. Liegt es an der
> Hochwasserkatastrophe? Dem Klimawandel? Eine Entwarnung.
Bild: Eine brandenburgische Blutsaugerin bei der Arbeit
BERLIN taz | Mit den Mücken ist es wie mit Temperaturen unter dem
Gefrierpunkt. Kaum sind sie verschwunden, vergisst man, dass sie
existieren. Erst im nächsten Jahr, wenn sie sich wieder an einem bedienen
wie an einer Minibar, kommt die Erinnerung zurück. Widerlich, wie diese
Biester einen anzapfen, aussaugen, quälen. Scheußlich, wie die Stiche
anschwellen, jucken, sich entzünden.
Vermutlich ist es die Ohnmacht gegenüber den Stechmücken, die uns jeden
Herbst ihren bösartigen Charakter vergessen lässt. Was wir nicht besiegen
können, gibt es nicht. Vor allem, wenn wir über hundert Mal größer sind als
unsere Feinde.
Eine gute Eigenschaft hat die Stechmücke dennoch: Es gibt kein dankbareres
Smalltakthema. Wetter? Langweilig. Wohnungssuche? Frustrierend. Politik?
Riskant. Beim Thema Mücken hingegen vereinen sich Gesprächspartner in
wohltuendem, kollektivem Hass. Das schafft kein Fußballklub der Welt. Da
werden Ärmel hochgekrempelt und Körperteile, die sonst aus gutem Grund
verdeckt bleiben, zum Stichevergleich entblößt.
Und mindestens einer weiß, warum es dieses Jahr so viele Mücken gibt: Die
Flutkatastrophe! Der Klimawandel! Übrigens, habt ihr schon gehört, dass in
Deutschland zwei Leute an Denguefieber erkrankt sind?
„Tatsächlich gibt es dieses Jahr besonders viele Überschwemmungsmücken“,
sagt Prof. Dr. Egbert Tannich vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
in Hamburg. Daran sei unter anderem das Hochwasser schuld, denn die Eier,
die die Weibchen auf den trockenen Boden legen, können dort mehrere Jahre
überleben. Die Larven schlüpfen erst, wenn sie von Wasser überspült werden.
## Blut oder Nektar
Offenbar besitzt die Überschwemmungsmücke ausgeprägteres Wissen über
zyklische Flutkatastrophen als die meisten Kommunal- und
Landesverwaltungen. Irgendwie sympathisch. Dass sie uns trotzdem plagt,
liegt daran, dass sie proteinreichen Blutnachschub braucht, um sich
fortzupflanzen. Jedenfalls, wenn sie weiblich ist – Männchen ernähren sich
nur von Nektar.
Was noch dazu führt, dass es dieses Jahr mehr Mücken gibt als sonst: „Viel
Regen im Frühjahr, genauer im April.“ Außerdem sei die Entwicklung von den
Eiern zur Mücke temperaturabhängig: Je heißer, desto besser. Kommt also mit
dem Klimawandel auch die Mückenplage?
„Nein“, meint Tannich. „Die Temperaturen, die wir heute schon in Italien
oder Griechenland haben, werden wir in Deutschland nie erreichen.“
Allerdings begünstige jedes Grad mehr die Entwicklung von
Krankheitserregern, zum Beispiel Viren. Sticht eine Mücke einen infizierten
Menschen, dauert es je nach Temperatur ein bis drei Wochen, bis sich die
Erreger vermehrt haben und übertragen werden können. Währenddessen ist
keine Ansteckung möglich, erst danach wird es gefährlich. „Die Mücke selbst
ist aber kein Krankheitserreger, nur Überträger“, betont Tannich.
## Asiatische Tigermücken
Die Monstermücken – eine Erfindung der Medien? „In Deutschland gibt es etwa
50 verschiedene Stechmückenarten. Die meisten stechen Vögel und andere
Tiere, weniger als die Hälfte den Menschen.“ Einige der Mücken seien zwar
sogenannte Brückenvektoren, die sich sowohl an Vögeln als auch an
Säugetieren bedienen. Denguefieber gebe es bei uns jedoch nicht.
„Das wird von der asiatischen Tigermücke übertragen, die sich
glücklicherweise in Deutschland noch nicht angesiedelt hat.“ In Italien und
Spanien aber habe sie sich schon verbreitet. „Ein kleines Restrisiko
bleibt“, gibt Tannich zu. Ganz sicher sei, dass man sich durch Mücken weder
mit Grippe (Tröpfcheninfektion) noch HIV anstecken kann.
Aber: „Mücken können auch Würmer übertragen.“ In drei Stechmückenarten…
Brandenburg wurden wiederholt Larven des Hundehautwurms entdeckt – Menschen
dabei noch nicht infiziert. Und selbst wenn: „Beim Hund lebt der Wurm unter
der Haut und produziert kleine Nachkommen, die darauf warten, von Mücken
aufgenommen und weiter verbreitet zu werden“, sagt Tannich.
„Aber der Mensch ist ein Fehlwirt. Da kann der Wurm nicht einmal
auswachsen.“ Geschweige denn, Nachkommen produzieren. Übrig bleibt nur eine
Verwachsung.
## Lockt das süße Blut?
Stimmt eigentlich das Gerücht vom „süßen Blut“? „Unsinn“, sagt Tanni…
„Mücken werden von Kohlenstoffdioxid angezogen, also schlicht davon, dass
Sie ausatmen.“ Mal die Luft anhalten? „Sie können gerne versuchen, wie
lange Sie das schaffen.“ Leider ebenfalls schwer steuerbar: der
individuelle Körpergeruch, den wir teilweise nicht mal wahrnehmen. Er
entsteht durch Schweiß und Mikroorganismen auf unserer Haut.
Wichtigste Frage zum Schluss: Warum sind Stiche bei manchen unsichtbar und
bei anderen monströs? Christian Mücke muss es wissen. Er ist der erste
Suchtreffer, wenn man „Allergologe“ und „Mücke“ googelt. Also: Gibt es…
Mückenallergie?
„Jeder Mensch reagiert zwar anders auf Mückenstiche“, sagt er, „aber mit
einer Allergie hat das nichts zu tun.“ Wer unter handtellergroßen Stichen
leidet, neige auch oft zu Neurodermitis oder Heuschnupfen. „Bei diesen
Menschen wird mehr Histamin freigesetzt, was zu allergieähnlichen Symptomen
führt.“ Helfen Allergietabletten? „Theoretisch ja“, sagt Mücke. „Man …
aber auch einfach ein lokales Antihistaminikum wie zum Beispiel Fenistil
auf die Haut auftragen.“
Und wenn es mal wieder um die Monstermücken geht: Die Wörter
„Brückenvektoren“ und „Fehlwirt“ einfließen lassen. Dann wird man so
schnell nichts mehr hören außer… bssss. Pieks.
13 Jul 2013
## AUTOREN
Franziska Seyboldt
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Hochwasser
Mücken
Mücken
Karibik
Mittelamerika
Mücken
Passau
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