| # taz.de -- Willkür bei Abschiebung: Wird schon stimmen | |
| > Bremerhaven beurteilt die Reisefähigkeit von psychisch Erkrankten nach | |
| > Aktenlage. Nach dem Suizidversuch einer Albanerin hakt die Linksfraktion | |
| > nach. | |
| Bild: Belastungsstörung? Also hier steht reisefähig. | |
| Bremen taz | Das war laut Akten nicht vorgesehen: Eine schwer | |
| traumatisierte Albanerin aus Bremerhaven hatte Ende März angesichts ihrer | |
| bevorstehenden Abschiebung versucht, sich das Leben zu nehmen ([1][taz | |
| berichtete]). Die Linksfraktion in der Bürgerschaft hat diesen Fall jetzt | |
| zum Anlass für eine Große Anfrage genommen. | |
| Die betroffene Frau hatte bereits mehrere Suizidversuche unternommen und | |
| leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, was auch beim | |
| zuständigen Gesundheitsamt aktenkundig war. Dennoch wurde die Abschiebung | |
| im März angesetzt – obwohl ein Amtsarzt die Suizidgefährdung der Frau | |
| festgestellt hatte. „Das ist ein Fall, der skandalös tragisch geendet ist“, | |
| sagt die Linken-Abgeordnete Sofia Leonidakis, „aber das Problem hat | |
| System“. | |
| Wie die Linksfraktion in ihrer Anfrage ausführt, werden „ärztliche | |
| Reisefähigkeitsgutachten im Gesundheitsamt Bremerhaven seit Kurzem nur noch | |
| nach Aktenlage“ und nicht durch Fachärzte angefertigt. Das | |
| Gesundheitsressort bestätigte diese Praxis auch in einer Vorlage für die | |
| Gesundheitsdeputation Anfang Juni. Demnach finde „auf Grund des erheblichen | |
| Umfanges von Anfragen der Ausländerbehörde zu Reisefähigkeiten“ eine | |
| Begutachtung nach Aktenlage statt. | |
| In Bremen hingegen findet „in jedem Fall eine Einzelfallprüfung im Rahmen | |
| eines persönlichen Gutachtengesprächs“ statt. Die geübte Praxis in | |
| Bremerhaven und damit die „Absenkung der Begutachtungsstandards“, wie es in | |
| der Anfrage heißt, führt Leonidakis auf Personalmangel zurück. Wie lange | |
| diese Praxis in Bremerhaven schon üblich ist, will die Linksfraktion | |
| ebenfalls vom Senat wissen. Ebenso soll die Landesregierung beantworten, | |
| wie viele Personen bislang davon betroffen waren und es noch sind. | |
| Mindestens seit Januar 2017 werde in Bremerhaven schon auf diese Weise | |
| verfahren, sagt Leonidakis. | |
| Im Fall der Frau in Bremerhaven sei zwar ein Arzt zugegen gewesen, der vor | |
| Ort die Reisefähigkeit überprüfen sollte, „aber das sind Notfallmediziner | |
| und keine psychiatrischen Fachärzte, die Abschiebungen begleiten“, sagt | |
| Leonidakis, „die messen den Blutdruck und sagen: Ja, kann reisen. Ich finde | |
| das fahrlässig.“ | |
| Die Ausländerbehörde hatte im konkreten Fall entschieden: Mit Begleitung | |
| eines Arztes und unter Sicherstellung der „Inempfangnahme“ durch einen Arzt | |
| in Albanien sei die Frau trotz der posttraumatischen Belastungsstörung | |
| reisefähig. | |
| Unangekündigt standen dann an einem Dienstag Ende März sechs Polizisten, | |
| Mitarbeiter der Ausländerbehörde und ein Arzt vor der Tür der psychisch | |
| kranken Frau. Der Asylantrag der 45-Jährigen, ihres Mannes und der elf und | |
| 17 Jahre alten Söhne war abgelehnt worden. Als die Frau begriff, was | |
| geschah, nahm sie ein Messer und versuchte, sich die Pulsadern und ihren | |
| Bauch aufzuschneiden. Sie hielt das Messer so fest umklammert, dass ein | |
| Finger zerschnitten wurde, als ein Polizist es ihr entriss. All das geschah | |
| vor den Augen ihrer Kinder. | |
| Die Familie habe sich bereit erklärt, freiwillig auszureisen, rechtfertigte | |
| damals Magistratssprecher von Bremerhaven, Volker Heigenmooser, die | |
| Aktion. Sie habe aber wiederholt Termine bei der Rückkehrberatung der AWO | |
| nicht wahrgenommen. „Deswegen sollte die Abschiebung erfolgen.“ Darüber | |
| hinaus habe das Gesundheitsamt die Ausländerbehörde ja auf die Suizidgefahr | |
| von Arjona S. aufmerksam gemacht, „deswegen sollte sie ja auch ein Arzt | |
| begleiten“. | |
| Nach dem Asylpaket II gelten als Abschiebehindernis nur noch | |
| „lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die | |
| Abschiebung wesentlich verschlechtern würden“. Damit sind körperliche, | |
| nicht aber psychische Erkrankungen gemeint – auch nicht posttraumatische | |
| Belastungsstörungen. Denn laut Gesetzgeber handelt es sich dabei nicht | |
| „regelmäßig“ um eine schwerwiegende Erkrankung. Somit soll ein | |
| Abschiebehindernis nur dann gegeben sein, wenn bei Belastungsstörungen „die | |
| Abschiebung (…) zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu | |
| einer Selbstgefährdung“ führt. Die wurde im Falle der Frau aus Bremerhaven | |
| allerdings offenbar ignoriert. | |
| Die Albanerin, die sich immer noch in stationärer psychiatrischer | |
| Behandlung befindet, hat inzwischen durch einen Antrag vor der | |
| Härtefallkommission eine Aufenthaltsperspektive. | |
| 6 Jul 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karolina Meyer-Schilf | |
| Simone Schnase | |
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