# taz.de -- Wirtschaftpolitik in China: Erfolgsrezept Welthandel | |
> Freihandel war seit jeher Kern der G20-Politik. China wurde damit | |
> wohlhabend. Unter der Bevölkerung ist die Kluft zwischen Arm und Reich | |
> aber enorm. | |
Bild: Chinas Bild ist geprägt von der extremen Kluft zwischen Arm und Reich. D… | |
PEKING taz | An diese Rede möchte Bill Clinton sicherlich nicht mehr gern | |
erinnert werden. Es war im März 1999. Vor beiden Häusern des US-Kongresses | |
warb der damalige US-Präsident für die Zustimmung der Abgeordneten zum | |
Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO). „Die Welt wird nicht | |
mehr die gleiche sein“, rief er den Abgeordneten zu. | |
Mais und Soja aus den Weiten Idahos, Rindfleisch aus Texas und Kentucky, | |
die Filmindustrie aus Hollywood, Autos von Ford, GM und Chrysler – mit dem | |
Beitritt der Volksrepublik würde das bevölkerungsreichste Land der Welt | |
dazu gebracht werden, seine Märkte zu öffnen, glaubte er. Und die | |
Amerikaner wären ganz vorne dabei. China wiederum würde sich mit der | |
Öffnung seiner Märkte nach und nach auch politisch öffnen, glaubte Clinton. | |
Mit dem Freihandel werde es auch ein freies China geben. | |
Doch es ist anders gekommen. Die Kommunistische Partei Chinas regiert das | |
Land weiter mit harter Hand. Und für die USA hat sich das Versprechen eines | |
neuen, gigantischen Absatzmarkts, den sich der damalige US-Präsident | |
ausgemalt hatte, auch nicht annähernd erfüllt. Vielmehr haben Fabriken in | |
China, seit das Land 2001 der WTO beitrat, mehr als 80 Prozent der weltweit | |
verkauften Kühlschränke und Klimaanlagen hergestellt, 70 Prozent aller | |
Mobiltelefone, 80 Prozent aller Solarpaneele und jedes zweite Paar Schuhe. | |
## Mikrochips und Elektroautos statt Billigprodukte | |
Und es sind schon lange nicht mehr nur Billigprodukte, mit denen die | |
Volksrepublik den Rest der Welt überschwemmt. Auch auf dem | |
Hochtechnologiesektor haben die Chinesen kräftig aufgeholt: Mikrochips, | |
Elektroautos, Hochgeschwindigkeitszüge, demnächst sogar Passagierflugzeuge | |
– es gibt kaum einen Bereich, in dem China nicht an die Weltspitze strebt. | |
Das lässt sich auch an den aktuellen Handelszahlen ablesen. Allein 2016 | |
führte China rund eine halbe Billion US-Dollar mehr aus, als es einführte. | |
Vor allem die USA beklagen das exorbitante Handelsdefizit gegenüber der | |
Volksrepublik. Es betrug im vergangenen Jahr fast 370 Milliarden Dollar. | |
Ähnlich hoch liegt der Überschuss der Chinesen auch beim Handel mit der EU. | |
Nur mit Deutschland ist Chinas Handelsbilanz weitgehend ausgeglichen. | |
Dieses extreme Ungleichgewicht hat längst nicht nur US-Präsident Donald | |
Trump alarmiert, der aus diesem Grund plant, sein Land künftig | |
wirtschaftlich sehr viel stärker als bisher [1][abzuschotten]. Schon vor | |
ihm haben immer wieder US-Politiker auf dieses gewaltige Missverhältnis | |
hingewiesen und China die Schuld an dem Schwund von Millionen von | |
Industriearbeitsplätzen in den USA gegeben. | |
Die wirtschaftsstärkste Nation der Welt wird von einem Land überrollt, das | |
vor zwei Jahrzehnten noch ein armes Entwicklungsland war. Wie konnte es | |
dazu kommen? Tatsächlich hat Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation | |
auf einen Schlag einen gigantischen Produzenten auf den Weltmarkt | |
katapultiert, der die bisherigen Platzhirsche rasch das Fürchten lehrte. | |
## Niedrige Löhne und kein Arbeitsschutz | |
China hatte zur Jahrtausendwende gegenüber Europa und Nordamerika gleich | |
mehrere Vorteile: In der Bevölkerung herrschte großer Nachholbedarf; | |
Firmenbosse aus aller Welt mussten sich in China sehr viel weniger um | |
Arbeitsschutz- und Umweltbestimmungen kümmern als in den meisten westlichen | |
Ländern. Vor allem aber verfügte das Land über ein riesiges Heer von | |
Arbeitskräften, die bereit waren, zu sehr niedrigen Löhnen zu schuften. | |
Zugleich boomte der Warenverkehr in aller Welt. Die Erde schrumpfte, weil | |
Transport kaum noch etwas kostete und das Internet die entferntesten | |
Standorte miteinander verband. Unternehmer ließen Komponenten dort | |
herstellen, wo sie gerade am günstigsten waren. Und China bot sich für | |
diese Firmen als besonders günstiger Produktionsstandort an. | |
Die Volksrepublik gehört denn auch zu den größten Nutznießern dieser | |
Globalisierung. Chinas Einbindung in die Weltmärkte ist es zu verdanken, | |
dass das Riesenreich innerhalb von zwei Jahrzehnten von einem rückständigen | |
Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen konnte. In den | |
1990er Jahren lebte noch jeder Vierte der 1,3 Milliarden Chinesen unterhalb | |
der Armutsgrenze. Heute sind es weniger als 10 Prozent. Jetzt kann sich | |
mehr als ein Drittel der Bevölkerung ein eigenes Auto leisten, viele können | |
regelmäßig Weltreisen machen und besitzen mindestens eine Eigentumswohnung. | |
Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen hat sich mehr als verfünffacht. | |
## Konzerne in Staatshand | |
Nur: Sosehr die WTO-Aufnahme Chinas Wirtschaft belebt hat – völlig frei und | |
offen ist sie all die Jahre gar nicht gewesen. Und sie ist es auch | |
weiterhin nicht. Vielmehr verstand es die chinesische Regierung, eben nur | |
so viel ihrer Märkte zu öffnen, wie es dem eigenen Land Vorteile bringt. | |
„Bis heute hält sie große Betriebe und Unternehmen in Staatshand“, | |
kritisiert etwa die EU-Handelskammer in Peking, deren europäische | |
Mitgliedsunternehmen immer wieder damit zu kämpfen haben, dass sie bei der | |
Vergabe von Aufträgen gegenüber der chinesischen Konkurrenz benachteiligt | |
werden. Die chinesische Führung fördert und subventioniert gezielt | |
Industrien, die sie für wichtig erachtet. | |
Vor allem ein Faktor hat Chinas Exportindustrie beflügelt: Trotz der | |
Marktliberalisierung gibt Chinas Führung bis heute seine Landeswährung, den | |
Renminbi, nicht frei. Vielmehr koppelt sie ihn zu einem mehr oder minder | |
festen Wechselkurs an den US-Dollar. | |
Auf diese Weise will die chinesische Führung die Kontrolle über den | |
Kapitalverkehr behalten. Mit diesem sehr effektiven Instrument konnte sie | |
die chinesischen Exporte äußerst günstig machen und die Konkurrenz auf den | |
Weltmärkten ausstechen. | |
Zugleich hat China gigantische Reserven im Ausland angehäuft. Denn die mit | |
dem Export erzielten Devisen der chinesischen Produzenten landen nicht | |
direkt auf eigenen Konten dieser Firmen, wie es bei einem System mit freien | |
Wechselkursen üblich ist – sondern bei der Zentralbank. Die Währungshüter | |
händigen im Gegenzug chinesische Renminbis aus. Den Wert allerdings | |
bestimmen sie selbst. Über viele Jahre war er niedriger als das, was ein | |
freier Devisenmarkt ergeben hätte. | |
Die dabei von der Zentralbank erzielten Devisenüberschüsse ließen so Chinas | |
Währungsreserven ansteigen. Sie liegen derzeit bei über drei Billionen | |
Dollar. Mangels Alternativen hat die chinesische Zentralbank einen Großteil | |
dieses Geldes in US-amerikanische Staatsanleihen gesteckt. | |
„Chimerica“ nennt der britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson diese | |
informelle Allianz. Anders als es jetzt Trump darstellt, war dies | |
keineswegs nur zum Nachteil der USA: Das aufstrebende China versorgte die | |
USA günstig mit Kapital. Die US-Amerikaner konnten mehr konsumieren, als | |
sie produzierten. Und sie konnten einen immer weiter wachsenden | |
Staatshaushalt finanzieren, nicht zuletzt ihre Kriege im Nahen Osten. China | |
wiederum konnte mehr produzieren, als es andernfalls hätte absetzen können, | |
und seine rasch wachsenden Ersparnisse in der Weltwährung Dollar anlegen. | |
Tatsächlich waren die nuller Jahre auf diese Weise geprägt von einer nicht | |
erwarteten Symbiose zwischen den USA und China: Zwei rivalisierende Mächte, | |
die sich eigentlich sowohl ideologisch als auch geostrategisch | |
gegenüberstehen, verschränkten ihre Ökonomien so sehr, dass sie zu einer | |
Zusammenarbeit fanden, ohne jemals formal einen Deal ausgehandelt zu haben. | |
Es gab keine Absprachen. Man ließ sich gegenseitig gewähren. Der | |
„Freihandel“ machte das möglich. | |
Doch spätestens die schwere Finanzkrise von 2008 hat diese Konstellation | |
massiv infrage gestellt. Denn in den Augen wohl der meisten US-Amerikaner | |
kam von dem aus den chinesischen Überschüssen erwirtschafteten Kapital | |
wenig bei ihnen an, sondern es landete auf den Finanzmärkten. In Aktien und | |
anderen Wertpapieren investierten vor allem Wohlhabende. Viele Amerikaner | |
nehmen den großen Überschuss, den China gegenüber den USA erzielte und bis | |
heute erzielt, als Bedrohung für ihre Jobs wahr. | |
Chimerica, „die große Schimäre der Weltwirtschaft“, wie Ferguson sie | |
bezeichnete, erweist sich inzwischen allerdings auch für China als nicht | |
nachhaltig. In keiner großen Volkswirtschaft ist die Kluft zwischen den | |
Einkommen und Vermögen so gewaltig gewachsen wie in der Volksrepublik der | |
vergangenen zehn Jahre. | |
## China ist das Land mit den meisten Milliardären | |
Und das alles geschah in einem Land, das sich offiziell noch immer als | |
kommunistisch bezeichnet: China ist inzwischen das Land mit den weltweit | |
meisten Milliardären. Wie aus einer Studie der Peking Universität von 2015 | |
hervorging, kontrolliert das oberste eine Prozent der Bevölkerung mehr als | |
ein Drittel des gesamten Volksvermögens, während das untere Viertel nur | |
über ein Prozent verfügt. | |
„Die Führung in Peking hat erkannt, dass sie mit den Billigexporten auf | |
Dauer nicht weitermachen kann, sondern den eigenen Bürgern mehr | |
Konsummöglichkeiten eröffnen muss“, sagt der Pekinger Ökonom Hu Xingdou. | |
Weniger Ausfuhren also und eine Stärkung der Binnenwirtschaft ist nun das | |
Rezept der chinesischen Führung – was nichts anderes heißt, als dass auch | |
die Volksrepublik ihre Märkte künftig stärker abschotten wird. | |
4 Jul 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Interessen-der-asiatischen-G20-Mitglieder/!5425450 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
## TAGS | |
China | |
G20 | |
Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
Freihandel | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Euro | |
Bertelsmann-Studie | |
Schwerpunkt Finanzkrise | |
China | |
Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
Freihandel | |
Welthandel | |
Asien | |
China | |
Brasilien | |
Hongkong | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Euro pari zum Dollar: Tiefster Stand seit 20 Jahren | |
Ein Euro ist genauso viel Wert wie ein US-Dollar – und die Talfahrt könnte | |
weitergehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten. | |
Studie zur Globalisierung: Industrieländer sind Hauptnutznießer | |
Von der Globalisierung profitieren vor allem Menschen in den | |
Industrieländern. Deutschland liegt auf Platz 6 von 42. Die USA landen nur | |
im Mittelfeld. | |
Die nächste Finanzkrise kommt bestimmt: Das Dilemma mit der sicheren Krise | |
Egal, wie die künftige Bundesregierung die nächste Schulden- oder | |
Finanzkrise angeht: Die Euroskeptiker lauern schon. | |
Wang Bing gewinnt in Locarno: Eine Spur muss bleiben | |
Der Regisseur Wang Bing macht unprätentiöse, geduldige Filme über einfache | |
Leute. Nun hat er den Hauptpreis des Locarno-Festivals gewonnen. | |
G20-Ergebnisse: Vieles sehr vage und unkonkret | |
Nur wenig Neues und Konkretes ist zu vermelden – aber das gilt in diesen | |
schwierigen Zeiten für viele schon als Erfolg. | |
Freihandelsabkommen mit Kanada: Der Bundesrat kann Ceta stoppen | |
Das umkämpfte Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada ist längst | |
nicht durch. Der Bundesrat könnte es noch kippen. | |
Deutsch-amerikanische Beziehungen: Showdown in Hamburg | |
Die großen Konflikte mit US-Präsident Trump bringen die Bundesregierung in | |
Bedrängnis. Am meisten wird über Klimawandel und Welthandel gestritten. | |
Interessen der asiatischen G20-Mitglieder: Immer wichtiger | |
Wem nutzt es, wenn die USA sich isolieren? Ein Blick aus Peking, Delhi, | |
Jakarta, Tokio und Seoul auf den Gipfel in Hamburg. | |
20 Jahre Übernahme durch China: Peking droht, Hongkong demonstriert | |
Zum Jahrestag der Übernahme Hongkongs durch China demonstriert die | |
Zentralregierung ihre Macht. Zehntausende Bewohner gehen auf die Straße. | |
Die lateinamerikanischen G-20-Staaten: Angst vor Trump | |
Was erwarten, was befürchten sie? – Perspektiven aus Buenos Aires, Brasilia | |
und Mexiko vor dem Gipfel. | |
Seit 20 Jahren verwaltet China Hongkong: Alte neue Kolonie | |
Weitgehende Autonomie hatte Peking dem ehemaligen britischen Territorium | |
bei der Übernahme 1997 versprochen. Dann änderte sich vieles. |