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# taz.de -- Seit 20 Jahren verwaltet China Hongkong: Alte neue Kolonie
> Weitgehende Autonomie hatte Peking dem ehemaligen britischen Territorium
> bei der Übernahme 1997 versprochen. Dann änderte sich vieles.
Bild: Zum Feiern ist vielen Hongkongern nicht zumute
Hongkong taz | Lim Tai kommt verschwitzt ins Café geeilt, drinnen zieht er
sich sofort eine Jacke über. „Die Klimaanlage“, sagt er. Draußen herrschen
schwülheiße 35 Grad. In den Restaurants und Einkaufszentren sind es 17.
„Die Eiseskälte der Innenstadt. Sie ist berüchtigt“, sagt er und bestellt
ein Heißgetränk.
Damit ist er auch schon beim Thema. Er komme kaum noch in die
Innenstadtviertel von Hongkong, der vorgelagerten Insel auf der sich auf
aufgeschüttetem Land ein glitzernder Bankturm neben dem anderen erhebt.
Dazwischen jede Menge überklimatisierte Fünfsternehotels, Clubs und
Luxusgeschäfte. Und auch in den Stadtteilen von Kowloon, der Halbinsel auf
der gegenüber liegenden Hafenseite, gehe er nur noch selten aus. Dabei ist
er in Kowloon geboren. Doch die Innenstadt sei ihm „zu schnieke, zu kalt
und zu teuer“.
Lim Tai ist Lehrer. Mitte der neunziger Jahre war er mit seinen Eltern in
die New Territories gezogen, das bergige Hinterland der chinesischen
Sonderverwaltungszone. In Wohnsilos – die Hongkong noch unter britischer
Verwaltung en masse hochgezogen hatte, in weiser Voraussicht auf den
absehbaren Zuzug von Festlandchinesen. Nun haben reiche Festlandchinesen
mit Immobilienkäufen die Preise in astronomische Höhen getrieben. Lim
wohnt wie viele andere Hongkonger am Rand der Sonderverwaltungszone – bei
seinen Eltern. Denn eine eigene Wohnung könnten er und seine Freundin sich
dort auch nicht leisten. „Ich bewohne dasselbe 6-Quadratmeter-Kinderzimmer
wie vor 20 Jahren.“
Hongkong, am 1. Juli 1997. Nach über 150 Jahren britischer Herrschaft wird
die Kronkolonie zur chinesischen Sonderverwaltungszone. Nach dem Prinzip
„Ein Land, zwei Systeme“ garantiert Chinas Führung Hongkong für 50 Jahre
Rechte, die es in der Volksrepublik nicht gibt, darunter Meinungs- und
Pressefreiheit, eine unabhängige Justiz – und die Aussicht auf freie
Wahlen.
## Vielen Hongkongern ist nicht zum Feiern zumute
Das ist mittlerweile 20 Jahre her. Am Samstag wird die Übergabe gefeiert.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wird an diesem Wochenende zum
ersten Mal in seiner Amtszeit hierherkommen. Rote Kommunistenfahnen
schmücken jetzt schon die Hongkonger Prachtstraßen. Doch vielen Hongkongern
ist nicht zum Feiern zumute. Wie Lim klagen sie über astronomische Mieten,
überteuerte Restaurants und Geschäfte, die sich nur an reiche
Wochenendbesucher richten. Alteingesessene Lokale und Lebensmittelläden
sind verdrängt von Uhrengeschäften und Edelboutiquen international
bekannter Modemarken.
Doch mit den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten am Samstag haben auch
die Proteste dagegen begonnen. Demokratie-Aktivisten um den Studentenführer
Joshua Wong verhüllten zu Beginn der Woche mit einer schwarzen Fahne eine
Statue, die Hongkongs Rückgabe an die Volksrepublik symbolisiert. „Lüge“,
skandieren die Demonstranten. „Ein Land, zwei Systeme“ habe es nie
gegeben. Kurz darauf werden sie auch schon abgeführt.
Fast drei Monate lang protestierten im Herbst 2015 Zehntausende gegen die
Hongkonger Führung und forderten die ihnen zugesagten freien und direkten
Wahlen. Doch China gab nicht nach. Nachdem die Polizei an einem
Protestabend die Straßenblockaden mit Wasserwerfern und Pfefferspray räumen
wollte, spannten die Aktivisten Schirme auf. Fortan nannten sie sich
Regenschirmbewegung.
„Ein Land, zwei Systeme“ – diesen Grundsatz hatte Großbritannien mit der
chinesischen Führung unter dem damaligen Reformer Deng Xiaoping
ausgehandelt. Bis 2047 sollten die 7 Millionen Hongkonger ihre eigenen
Institutionen behalten, ihre eigene Währung, ein autonomes Zoll- und
Steuergebiet. „Nur die Fahne und der Regierungschef würden ausgetauscht“,
versicherte Deng damals. Alles andere bleibe beim Alten.
## China schreckte nicht vor Entführungen zurück
Doch schon fünf Jahre nach der Übergabe sei die Einflussnahme immer
offensichtlicher geworden. Heute gibt das Verbindungsbüro unverhohlen vor,
wer welche Spitzenposten bekleiden darf und was die Medien zu berichten
haben. Wie der Fall der pekingkritischen Buchhändler vor anderthalb Jahren
zeigte, schreckt China nicht vor Entführungen aufs Festland zurück. Nachdem
sie auf Hongkonger Boden plötzlich verschwunden waren und ihre Angehörigen
tagelang nichts von ihnen hörten, tauchten sie mit öffentlichen
Geständnissen im chinesischen Staatsfernsehen auf. Die Hongkonger Führung
hielt still.
Viele Hongkonger haben die Stadt verlassen. So auch Lims Tanten und Onkel.
Sie seien schon Jahre vor der Übergabe nach Kanada ausgewandert. Lims Vater
reagierte damals gelassener. Er hatte gerade auf dem chinesischen Festland
lukrative Geschäftsbeziehungen aufgebaut. Jeden Morgen sei er mit einem Lkw
voll Kleidung und Kleinelektronik aus Hongkonger Produktion nach Shenzhen
gefahren, in die damals noch recht junge Stadt auf der anderen Seite der
Grenze.
Doch dieses Geschäft währte nur kurz. Viele Hongkonger Unternehmer
verlagerten ihre Fabriken gleich nach drüben. Die Fahrten seines Vater
wurden seltener – und blieben schließlich ganz aus. Auszuwandern ist nur
noch möglich mit viel Geld, das Lims Vater nicht hat.
Und nun? Ganz hat Lim die Hoffnung nicht aufgegeben. Auf Dauer kann niemand
gegen das eigene Volk regieren, meint er. Am Samstag geht er
demonstrieren.
1 Jul 2017
## AUTOREN
Felix Lee
## TAGS
Hongkong
China
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Tourismus
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