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# taz.de -- Wahl in Hongkong: Eisern abgeschirmt
> Seit zweieinhalb Jahren kämpft die junge Generation für mehr Demokratie.
> Doch Peking gibt nicht nach. Nun wird eine neue Regierungschefin gewählt.
Bild: Kleine Guerillaaktion für die Regenschirmrevolte
Hongkong taz | Wenn Nathan Law aus dem Fenster seines
Abgeordnetenbürosblickt, sieht er den Hongkonger Hafen und die Skyline der
Finanzmetropole. Um diesen Ausblick könnten ihn Bankvorstände beneiden,
dabei ist der 23-Jährige noch Student und büffelt an seinem Schreibtisch
für eine anstehende Prüfung. Zugleich ist er der jüngste Abgeordnete, der
jemals ins Stadtparlament von Hongkong eingezogen ist.
Am Sonntag wird er über die Neubesetzung des höchsten Regierungsamtes
seiner Stadt mit abstimmen. Doch hier fängt das Problem aus seiner Sicht
an: Die kommunistische Führung in Peking hat bereits entschieden, wer den
Posten bekommen soll.
Der Vorraum des Abgeordnetenbüros gibt einen Eindruck, wie Nathan Law und
seine Mitstreiter sich auf ihre Weise auf den Wahlsonntag und die Tage
danach vorbereiten. Auf dem Boden stapeln sich Kisten mit Flugblättern. In
einer Ecke stehen schon Transparente mit dem Regenschirmsymbol – was
bedeutet: Wir sind bereit zu zivilem Ungehorsam. In einer Steckdosenleiste
stecken Akkus für die Megaphone. Seine Mitarbeiter, kaum einer älter als
er, hauen in die Tasten und mobilisieren über die Social-Media-Kanäle zu
Protesten.
Zweieinhalb Jahre nach der sogenannten Regenschirmbewegung, als
Zehntausende meist junge Hongkonger für mehr Demokratie demonstrierten und
über Wochen Teile des Regierungs- und Finanzviertels besetzten, ruft Nathan
Law zusammen mit seinen Mitstreitern für dieses Wochenende erneut zu
Aktionen auf. „Das ist unsere Art, wie wir die neue Hongkonger
Regierungschefin willkommen heißen werden“, sagt Law.
Kaum jemand bezweifelt, dass die bisherige Nummer zwei der Hongkonger
Regierung, Carrie Lam, neue Regierungschefin wird. Denn die 59-Jährige ist
Pekings Wunschkandidatin. Nach dem Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ –
kommunistisch in der Volksrepublik, demokratisch in Hongkong – genießt die
frühere britische Kronkolonie seit der Rückgabe an China 1997 zwar einen
Sonderstatus. Anders als das von den Kommunisten autoritär geführte
Festland hat Hongkong also offiziell Meinungsfreiheit und ein von den
politischen Machthabern unabhängiges Rechtssystem. Eigentlich hatte Peking
den Menschen in Hongkong bis 2017 auch freie Wahlen in Aussicht gestellt.
## Viele Parlamentarier sind pekingtreu
Doch was die chinesische Führung im Sommer 2014 stattdessen den
Hongkongerinnen und Hongkongern anbot, war eine Auswahl an Kandidaten, die
allesamt von Peking vorher bestimmt wurden. Das lehnte der demokratisch
gesinnte Teil der Bewohner der Stadt ab. Man wollte wirklich freie und
direkte Wahlen. Über drei Monate hielten die Proteste an. Nicht mit einer
Forderung kam man durch.
Nun wird nach altem Wahlrecht entschieden. Zur Urne treten darf lediglich
ein Komitee aus 1.200 Mitgliedern. Als Parlamentarier gehört zwar auch
Nathan Law dazu. Doch die demokratisch gewählten Vertreter machen nur einen
Bruchteil des Komitees aus. Die große Mehrheit von über 900 Mitgliedern
setzt sich aus direkt von Peking ernannten Delegierten oder aus
berufsständischen Vertretern, die ebenfalls allesamt pekingtreu sind,
zusammen. Und Carrie Lam ist die Kandidatin der kommunistischen Führung.
„Sie mag eine fähige Beamtin sein“, sagt Law. Doch sie werde nicht in der
Lage sein, die politischen Konflikte zu lösen. Einer der größten: die
Spaltung der Stadt in eine reiche pekingtreue Elite und eine jungen
Generation, die ohne mehr Mitbestimmung in der völlig überteuerten
Metropole kaum mehr Perspektiven für sich sieht.
„Unter Lam wird alles noch schlimmer“, glaubt auch Anson Chan. Die
77-Jährige sitzt in ihrem kleinen Büro in einem für Hongkonger Verhältnisse
eher schäbigen Gebäude. Sie war selbst viele Jahre Verwaltungschefin und
damit Hongkongs Nummer zwei. Zwischen 1993 und 2001 war das, also einige
Jahre vor der Übergabe und einige danach. In ihrer Amtszeit galt sie unter
Demokratinnen und Demokraten als Garantin dafür, dass Hongkong auch unter
volksrepublikanischer Herrschaft eine freie, demokratische und
prosperierende Wirtschaftsmetropole bleibt.
Unvergessen ist für viele, die damals der Zeremonie beiwohnten, der Moment,
als sie in einem roten Kleid in der Mitte des Hongkonger Kongresszentrums
stand. Ihre Erscheinung strahlte Zuversicht aus, als britische Soldaten den
Union Jack einholten und Soldaten der Volksbefreiungsarmee die rote Fahne
mit Hammer und Sichel am Mast hochzogen. „Hätte ich gewusst, in welch
desolatem Zustand Hongkong sich heute befindet, hätte ich mich da nie
hingestellt“, sagt sie mit Tränen in den Augen.
## In die Arme Pekings getrieben
CY Leung, der amtierende Regierungschef, habe Hongkong in den letzten fünf
Jahren schon systematisch in die Arme Pekings getrieben. Dieser
autokratische Einfluss gefährde längst sämtliche Institutionen Hongkongs,
deren Mitarbeiter traditionell unbeeinflusst waren von politischer
Korruption. Leung habe es zudem zugelassen, dass die chinesische Führung
inzwischen auch unmittelbar in Hongkong aktiv ist. Chan erinnert an die
chinakritischen Buchhändler, die entführt wurden und sich mit erzwungenen
Bekennervideos im chinesischen Staatsfernsehen zu Wort meldeten.
Leung habe die Stadt gesellschaftlich tief gespalten, kritisiert Chan. „Lam
ist aber eine noch schlimmere Version.“ Wenn Lam am Sonntag gewählt werde,
dann marschiere Hongkong noch strammer auf Chinas Kurs. Alle
wertvoll-kritischen Institutionen würden verschwinden. Und somit auch viele
Unternehmen und Finanzhäuser, die auf eine funktionierende Verwaltung
angewiesen seien.
Dabei ist Hongkong eine außerordentlich wohlhabende Stadt. Die Wirtschaft
der südchinesischen Sonderverwaltungszone gehört zu den am weitesten
entwickelten weltweit. Mit einer Wirtschaftsleistung von über 60.000
US-Dollar nimmt Hongkong in den globalen Wohlfahrtsstatistiken regelmäßig
Spitzenplätze ein. Allerdings ist dieser Wohlstand sehr ungleich verteilt.
Während die Dichte an Milliardären in keiner Stadt der Welt so groß ist wie
in Hongkong, können sich junge Leute mit einem Durchschnittsgehalt keine
eigene Wohnung auf dem völlig überteuerten Immobilienmarkt leisten.
## Kollaboration und Protest
„Hongkongs Gesellschaft ist in jeglicher Hinsicht polarisiert“, sagt auch
der emeritierte Politologe Joseph Chen von der City University of Hongkong.
Er sitzt in einem Café in dem Stadtviertel Taikoo, der chinesische Name für
die einst britische Unternehmerfamilie Swire. Swire betrieb unter
britischer Herrschaft eine Zuckerraffinerie an dieser Stelle. Als der
Wohnraum immer knapper wurde und die Immobilienpreise stiegen, ließ Swire
die Fabrik abreißen und ersetzte sie durch Büro- und Wohnhäuser. Nun ist
ein ganzer Stadtteil nach Taikoo benannt. Und Swire besitzt Milliarden.
Von „mächtigen Tycoonen“, die in den letzten Jahren mit
Immobiliengeschäften allesamt Milliarden gescheffelt hätten, spricht Chen.
Vor allem seit reiche Chinesen vom Festland in Hongkong investieren dürfen,
sind Hongkongs Immobilienpreise regelrecht durch die Decke geschossen.
Diese Geldelite wolle sich das Geschäft mit den Festlandchinesen nicht
vermiesen lassen. Und anders als die Hongkonger mit mittleren oder
niedrigen Einkommen dürfen die meisten Superreichen am Sonntag den neuen
Regierungschefs wählen.
Doch Chen warnt, die Superreichen wüssten auch viele Hongkonger hinter
sich, die Demokratie für obsolet hielten und sich dem Pro-Peking-Lager
zurechneten. Der Politologe geht von rund 40 Prozent aus. Von den rund 60
Prozent, die sich dem Demokratielager zuordnen, würden auch nur 15 bis 20
Prozent wirklich offensiv auf die Straße gehen. „Die Demokratieaktivisten
können sich einer breiten Unterstützung keineswegs sicher sein.“
Denn auch das Aktivistenlager selbst ist gespalten. Eine Minderheit von
zumeist jüngeren Aktivisten hat sich zwei Jahre nach den gescheiterten
Regenschirmprotesten radikalisiert und fordert nun offensiv die
Unabhängigkeit Hongkongs. Das war bislang ein Tabu – zumal Peking mehrfach
drohte einzuschreiten, sollte die Unabhängigkeit wieder Thema werden. Chen
bezeichnet diese Forderung als „sehr gefährlich“. Mit Peking sei nicht zu
spaßen.
Nathan Law formuliert es nicht ganz so eindeutig. Er selbst trete nicht für
Hongkongs Unabhängigkeit ein. Er halte sie aber für eine berechtigte
Forderung, über die in einer Demokratie frei diskutiert werden dürfe. Nur:
Ist Hongkong noch eine Demokratie?
25 Mar 2017
## AUTOREN
Felix Lee
## TAGS
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