Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Putzwahn im Schanzenviertel: Jetzt kommt der Wisch-Mob
> Über Facebook rief eine Hamburgerin dazu auf, die Stadt nach den
> Krawallen beim G20-Gipfel wieder aufzuräumen. Mehrere Tausend beteiligten
> sich, einigen ist es danach viel zu sauber
Bild: Besen statt Böller: Am Sonntag räumten Hamburger ihre Stadt auf. Es wur…
Hamburg taz | „What a wonderful world“, klingt es aus den Fenstern im
ersten Stock eines Hauses am Schulterblatt. Hunderte Seifenblasen steigen
in den blauen Himmel auf. Irgendwie ironisch, wenn man an die Bilder von
Freitagnacht denkt. Krawalle und brennende Barrikaden haben während des
G20-Gipfels das Hamburger Schanzenviertel dominiert.
Am Sonntagmittag ist das kaum noch vorstellbar: Auf dem Schulterblatt, wo
ein Lebensmittelgeschäft und eine Drogerie geplündert worden waren, ist es
propenvoll. Zahlreiche Hamburgerinnen und Hamburger sind gekommen –
bewaffnet mit Putzeimern, Besen und Handschuhen. Unter dem Titel „Hamburg
räumt auf“ hatte eine junge Hamburgerin bei Facebook zu der Aktion
aufgerufen. An vier Orten in der Stadt haben sich Putz-Motivierte
getroffen. Laut Facebook packen mehr als 7000 Menschen an.
„Wir wollen das wahre Hamburg zeigen“, sagt Flo, der gerade eine Tür in der
Lerchenstraße schrubbt. „Vieles ist tatsächlich schon weg, die
Stadtreinigung hat ja aufgeräumt“, sagt Kristina, die direkt daneben steht
und Flo eben erst kennengelernt hat. Aber es gehe bei dieser Aktion auch
viel mehr darum, ein Zeichen zu setzen.
Daniela ist mit einer Gruppe von Freundinnen und Kolleginnen unterwegs.
„Wir sind hier, weil das unsere Stadt ist“, sagt sie. Inzwischen glänzt es
überall – ganz ungewöhnlich für das Schanzenviertel. Müllsäcke sind
gefüllt, die Pflastersteine blitzblank.
Doch es gab auch Kritik: „Hört auf zu putzen, es ist hier jetzt sauberer
als sonst – WTF?!“, stand auf einem Plakat, das vor dem linksautonomen
Zentrum Rote Flora hochgehalten wurde. Und tatsächlich werden an einigen
Stellen auch Graffitis entfernt, die eigentlich zum Viertel dazugehören.
Jeder kleinste Krümel wird entfernt, die Straßen wie im Wahn geschrubbt.
Auf offizieller Seite stößt die Aktion auf Zuspruch. Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier, der am Sonntag mit Anwohnern und Ladenbesitzern im
Schanzenviertel gesprochen hat, lobt „Hamburg räumt auf“ als eine
„wunderbare Initiative“. Und die Stadtreinigung hat angekündigt, am Montag
eine Sammeltour für die Müllsäcke zu machen. Außerdem wurden von
verschiedenen Seiten Putzutensilien und Lebensmittel gespendet.
Die Flora ist nach den Krawallen für viele ein Anlaufpunkt – mal in guter
Absicht, mal mit Wut. Auf die Frage, wo Andreas Blechschmidt sei, heißt es
trocken: Der ist draußen in der Bürgersprechstunde. Blechschmidt, der sich
seit Jahren für das Zentrum engagiert, musste an diesen Tagen schon einige
Wutausbrüche von erbosten Hamburgern über sich ergehen lassen. Die Rote
Flora sei für die Krawalle verantwortlich, finden einige. Doch Blechschmidt
spricht am Sonntag trotzdem von einer „öffentlichen Streitkultur im besten
Sinne“.
Er steht in einer großen Gruppe Diskutierender. „Das ist hier nicht so,
dass es Anwohner gegen Flora-Aktivisten geht“, sagt er. Einige Anwohner
bremsen andere in ihrer Wut und wieder andere seien in Sorge um das Projekt
Rote Flora.
Die Autonomen rund um die Flora versuchen, sich von der „völlig
sinnentleerten Gewalt“ am Freitagabend zu distanzieren. Auch von ihrer
Seite hieß es teilweise, dass viele der Gewalttäter vermutlich aus dem
Ausland gekommen seien. Doch die Polizei weise die Distanzierung zurück und
nenne die Flora-Vertreter „geistige Brandstifter“.
Blechschmidt, der einer der Mitinitiatoren der „Welcome to Hell“-Demo am
Donnerstagabend war und die Polizei-Strategie danach kritisiert hatte,
findet es wichtig, die Dinge nicht zu rechtfertigen, sondern zu erklären.
Für viele der Aufräumenden scheint klar zu sein, wen sie für die Krawalle
auf der Schanze verantwortlich machen: „Das war der ganze radikale Scheiß!
Der schwarze Block!“, sagt ein Mann im Tanktop. „Und die Politiker“, fügt
er hinzu. Er hat ein Kehrblech in der Hand und hilft, die Brandreste von
den Pflastersteinen auf dem Schulterblatt zu entfernen. „Den Gipfel nach
Hamburg zu holen, war eine schlechte Idee“, pflichtet sein Kumpel ihm bei.
Susanne ist ursprünglich aus Hamburg, an diesem Wochenende eigentlich nur
zu Besuch. Sie ist sich sicher, dass die Gewalttäter keine Hamburger waren.
„Keiner aus der Schanze zündet die Schanze an“, sagt sie. Die Ansicht, dass
die gewalttätigen Krawallmacher aus dem Ausland gekommen waren, scheint
weit verbreitet zu sein. Jetzt sei es wichtig, positive Bilder zu
vermitteln, findet Susanne. Deshalb sei sie heute hier im Viertel.
Und tatsächlich überwiegt nach zwei Tagen Ausnahmezustand die gute
Stimmung. „Liebe brennt länger“, haben vier Mädchen mit bunter
Straßenkreide auf die Kreuzung am Neuen Pferdemarkt geschrieben. „Wir haben
nach einer besonderen Stelle dafür gesucht“, sagt eine von ihnen. Und genau
hier, wo jetzt bunte Buchstaben stehen, loderten am Freitagabend noch
Flammen.
9 Jul 2017
## AUTOREN
Milena Pieper
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Krawalle
Hamburg Schanzenviertel
G20-Gipfel
Gebühren
Rote Flora
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Verhandlungen
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Elbphilharmonie
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gebühren-Gerangel in Hamburg: Tote Pferde auf der Reeperbahn
Rot-Grün will, dass die Hamburg sauberer wird. Die Kosten sollen Touristen
tragen, nicht Anwohner. Trotzdem erntet der Vorstoß nur Kritik.
Kommentar Drohung gegen „Rote Flora“: Abrüsten, bitte!
Für die G20-Krawalle werden nun Schuldige gesucht. Die Schließung der
„Roten Flora“ wäre jedoch Aktionismus – und würde alles nur schlimmer
machen.
Debatte G20 und der Rest der Welt: Neustart erforderlich
Die G20-Staaten maßen sich an, für den ganzen Planeten zu sprechen. Sie
sollten lieber im Rahmen der UNO in den Wettbewerb mit allen anderen
treten.
Nach dem G20-Gipfel in Hamburg: Härteres Vorgehen gegen Extremisten
Die Berliner Gewerkschaft der Polizei fordert ein „Bündnis gegen
Linksextremismus“. Politiker wollen mehr Kooperation bei der Bekämpfung von
Extremisten.
G20-Krawalle in Hamburg: Der Aufstand
Man kann die Ausschreitungen von Hamburg verurteilen – natürlich. Man
sollte sie aber auch verstehen. Ein Deutungsvorschlag.
Kolumne Minority Report: Was ist dieses Links™?
Hamburg brennt. Social Media hyperventiliert. Polizei rüstet auf. In diesen
sieben Kategorien lässt sich G20 aufarbeiten.
Krieg in Syrien: Waffenruhe im Südwesten in Kraft
Trump und Putin hatten sich am Rande des G20-Gipfels auf eine Feuerpause in
Syrien geeinigt. Viele Details bleiben allerdings unklar.
taz.G20 video: Polizeigewalt gegen Blockierer
G20-GegnerInnen blockieren Zufahrtswege zum Gipfel. Bei Polizeieinsätzen
werden auch friedliche DemonstrantInnen Opfer von Polizeigewalt. 6:35min
G20-Ergebnisse: Vieles sehr vage und unkonkret
Nur wenig Neues und Konkretes ist zu vermelden – aber das gilt in diesen
schwierigen Zeiten für viele schon als Erfolg.
taz.G20 video: Medien schaffen beim FC St.Pauli
JournalistInnen aus über 20 Ländern arbeiteten während des Gipfels im FCMC.
Aber auch viele andere nutzten das Alternative Medienzentrum am Millerntor.
3:10min
G20 in Hamburg: Scharmützel an der Schanze
Erneut kam es in der Nacht zu Sonntag zu Ausschreitungen rund um die Rote
Flora. In St. Pauli attackierten Rechtsextreme Passanten.
taz.G20 video: „Ohne Rücksicht auf Verluste“
Der Polizeisprecher Hamburgs und eine parlamentarische Beobachterin
beurteilen die Vorkommnisse um die „Welcome to Hell“-Demo sehr
unterschiedlich. 3:27
Großdemonstration in Hamburg: Bunte Mischung gegen den Gipfel
Fast 80.000 Menschen protestieren im friedlichen Zug für grenzenlose
Solidarität. Am Ende will die Polizei eine Wiese schützen.
G20-Konzert in der Elbphilharmonie: Applaus für die Leaderin
US-Präsident Donald Trump übersteht ein Sinfoniekonzert weitgehend
unfallfrei – und erlebt, wie das Hamburger Publikum Angela Merkel bejubelt.
taz-Liveblog zum G20-Gipfel: Die Polizei will sich Mühe geben
Der Tag nach den Krawallen verläuft in Hamburg friedlich und die
Staatschefs formulieren im Abschlusspapier zumindest den Status Quo.
Demonstration „Hamburg zeigt Haltung“: Nur ein paar Trommler wurden laut
Zur Demo „Hamburg zeigt Haltung“ sind am Samstag höchstens 5.000 Menschen
gekommen. Sie zogen zeitgleich zur Großdemonstration durch Hamburg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.