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# taz.de -- Verkehrswert bei Vorkauf: „Keine preisdämpfende Wirkung“
> Das Vorkaufsrecht ist Thema. Zum Zuge kommen gemeinwohlorientierte
> Vermieter aber nur, wenn sie den Kaufpreis zahlen können. Und der ist oft
> zu hoch, sagt Ulf Heitmann.
Bild: Leiten die Bremer Höhe: Barbara König und Ulf Heitmann
taz: Herr Heitmann, die Bremer Höhe war an der Danziger Straße 55
interessiert, als es darum ging, dass der Bezirk Pankow bei diesem
Mietshaus sein Vorkaufsrecht wahrnehmen könnte.
Ulf Heitmann: Unmittelbar nachdem die Mieterinnen und Mietern im April
erfuhren, dass die Deutsche Wohnen das Haus gekauft hat, trat die
Hausgemeinschaft nicht nur in Kontakt zu Politikern und Verwaltung, sondern
auch zu uns.
Was hätte Ihre Genossenschaft für sie tun können?
Zum einen ging es um die Klärung des Sachstandes und Erläuterung des
Verfahrens. Zum anderen wollten wir klären, unter welchen rechtlichen und
wirtschaftlichen Bedingungen der Bezirk Pankow sein Vorkaufsrecht zugunsten
unserer Genossenschaft ausüben könnte.
Warum hat das nicht geklappt?
Der Kaufpreis war zu hoch. Er lag 2,5 Millionen Euro und damit 40 Prozent
über dem, was sich aus den aktuellen Mieten refinanzieren ließe. Selbst
wenn man die Mieten auf den Mietspiegelmittelwert plus zehn Prozent erhöhen
würde – diese Grenze wird bislang als noch sozialverträglich und mit den
Zielen des Milieuschutzes vereinbar angesehen –, wäre der Preis weder von
uns noch von einer städtischen Gesellschaft zu leisten gewesen.
Die Deutsche Wohnen soll 6 Millionen Euro bezahlt haben.
Wir und einige städtische Wohnungsbaugesellschaften haben die Obergrenze
bei 4,3 Millionen Euro gesehen.
Hat der Bezirk den Kaufpreis nicht durch eine eigene Wertermittlung
überprüft?
In einer ersten Reaktion hat Baustadtrat Vollrad Kuhn gesagt, der Kaufpreis
sei zu hoch. Zu unserer Überraschung ermittelte das bezirkliche
Vermessungsamt dann aber, dass an dem Preis nichts zu beanstanden sei. Eine
zweite Prüfung ergab dasselbe, auch die angefragte Senatsverwaltung für
Wohnen kam zum gleichen Ergebnis.
Mit welchen Folgen?
Wenn der Kaufpreis nicht als zu hoch bewertet wird und gleichzeitig weder
wir noch eine Wohnungsbaugesellschaft ihn stemmen können, kann der Bezirk
das Vorkaufsrecht nicht wahrnehmen. Auch eine sogenannte
Abwendungsvereinbarung, die der Bezirk mit der Käuferin verhandelte, muss
diese nicht unterschreiben. Der Bezirk hat ja kein Druckmittel mehr, außer
ganz genau darauf zu achten, dass eventuelle Baumaßnahmen den Zielen des
Milieuschutzes entsprechen.
Warum werten Bezirk und Senat einen Kaufpreis, der nicht aus den Mieten
erwirtschaftet werden kann, als gültigen Verkehrswert?
Jeder Sachverständige lernt, dass es etwa 30 verschiedene Methoden der
Verkehrswertermittlung gibt. Da muss man, wenn man das Instrument stärken
will, das sogenannte Ertragswertverfahren anwenden, bei dem der
tatsächliche Ertrag eine größere Rolle als der Bodenwert spielt.
Das heißt, im Bodenwert sind spekulative Erwartungen bereits enthalten?
In die Gutachten ist der volle Bodenwert eingeflossen. Der ergibt sich aus
der Höhe der Grundstückskaufpreise der letzten beiden Jahre in
vergleichbaren Stadtlagen. Dass das Quartier ein Milieuschutzgebiet ist und
dass der Boden real wegen der Bebauung durch ein Mietshaus langfristig
nicht zur Verfügung steht, wurde nicht berücksichtigt. Dazu wurde noch der
Ertragswert addiert. So kam man zu der Einschätzung, der Kaufpreis sei
nicht zu hoch. Wenn man das so macht, hat der Milieuschutz keine
preisdämpfende Wirkung auf den Markt.
Der Finanzsenator will künftig Mittel zur Verfügung stellen, um mögliche
Differenzen zwischen Kaufpreis und dem, was gemeinwohlorientierte
Unternehmen zahlen können, auszugleichen. Wird damit die Preisspirale nicht
angeheizt, statt sie zu dämpfen?
Das denke ich nicht. Um überhaupt eine Chance zu haben, das ein oder andere
Grundstück und Bestandsgebäude mit noch preiswerten Mieten durch Ausübung
des Vorkaufsrechts in kommunale oder genossenschaftliche Hand zu bekommen,
ist finanzielle Unterstützung nötig. Die städtischen Gesellschaften
erhalten dann eine entsprechende Eigenkapitalerhöhung wie beim Neuen
Kreuzberger Zentrum und der Liberdastraße in Neukölln. Genossenschaften
könnten gegen Belegungs- und Mietpreisbindungen auch öffentliche Zuschüsse
erhalten.
Wäre es nicht besser, auf einen realen Verkehrswert zu pochen?
Besser schon, aber dann müssten die zuständigen Vermessungsämter die
bisherige Additionsmethode von vollem Grundstückswert plus Ertragswert
aufgeben. Dafür müsste der Senat eine rechtssichere Basis für ein
einheitliches Handeln schaffen. Spannend wird sein, wie eventuell weitere
Verwaltungsgerichtsentscheidungen über den Fall Großgörschen-/Katzlerstraße
ausgehen.
Weshalb?
In diesem Falle hatte der Bezirk zum von ihm ermittelten Ertragswert das
Vorkaufsrecht ausgeübt. Man muss sich dann aber auf langwierige und
unsichere Rechtsverfahren, die bis zum Bundesverfassungsgericht gehen
können, einrichten. Immerhin geht es um einen staatlichen Eingriff in
Eigentumsrechte.
Wie bewerten Sie generell die derzeitige Debatte um Milieuschutzgebiete?
Der Milieuschutz ist ein recht schwaches, kompliziertes und unsicheres
städtebauliches Instrument, das nur in Einzelfällen erfolgreich sein kann.
Die Koalition hat da eventuell zu hohe Erwartungen geweckt.
28 Jun 2017
## AUTOREN
Uwe Rada
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