# taz.de -- Die Macht der Witwen mächtiger Männer: Frauen in Trauer | |
> Die Öffentlichkeit fürchtet die Witwen mächtiger Männer – wie Friede | |
> Springer oder Maike Kohl-Richter. Doch vieles wird in dieser Erzählung | |
> übersehen. | |
Bild: Der Ruf der Witwe ist schlecht | |
„Alles in ihrer Hand“, [1][überschreibt] die Süddeutsche Zeitung ihren | |
Text. „Darum hat sie keinen Anspruch auf Kohls Rente“, [2][titelt] die | |
Bunte. „Die Frau, die nie richtig Familie Kohl war“, [3][schreibt] die | |
Welt. Und der Stern schließlich, dräuend: „Die Witwe“. | |
Macht man sich den Duktus der aktuellen Berichterstattung zu eigen, trägt | |
Helmut Kohls letzte Rache seinen eigenen Namen. Und der lautet: Maike | |
Kohl-Richter. Es ist der Name jener Frau, der viel daran gelegen scheint, | |
jene zu demütigen, die meinen, beim Andenken an ihren Ehemann mitreden zu | |
wollen, zu sollen oder gar zu dürfen. Und ja, es ist befremdlich, dass | |
diese Frau in der Stunde des Todes eine Menge Klischees zu erfüllen | |
scheint, die allgemein kursieren über Witwen. Witwen von Prominenten zumal. | |
Egal ob es sich um Friede Springer, die einflussreiche Witwe des | |
Medienunternehmers Axel Springer, handelt oder um die Kanzlerwitwe Brigitte | |
Seebacher-Brandt. Ob um die kühle Verleger-Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz, die | |
starrsinnige Margot Honecker oder aktuell um Maike Kohl-Richter – alle | |
diese Frauen gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als extrem | |
geltungssüchtig und machtbewusst. | |
Sie werden betuschelt als Problemfrauen, die – zumeist männliche – | |
Zeitgenossen und Weggefährten der Verstorbenen wegbeißen. Als | |
rechthaberische, schwierige Persönlichkeiten, die mit der Kraft ihrer | |
Weiblichkeit ihre Männer in körperlicher, wirtschaftlicher und emotionaler | |
Abhängigkeit gehalten zu haben scheinen. Mithin furchteinflößende | |
Torwächterinnen, die der Öffentlichkeit vorzuenthalten versuchen, was doch | |
allen zu gebühren scheint: den Zugriff auf das Gedenken, auf die | |
Erinnerung, auf das öffentliche Bild. | |
## Den Witwer mächtiger Frauen kennt man noch nicht | |
Ob Yoko Ono oder Courtney Love, ob Imelda Marcos, Danielle Mitterrand oder | |
Gail Zappa – all diese Frauen lösen spürbar Ängste aus. Und in der Folge um | |
so mächtigere Abwehrreflexe. Es sind Reflexe, die sich in Unterstellungen, | |
Mutmaßungen und Zuschreibungen Bahn brechen. Dies mag vor allem daran | |
liegen, dass die umgekehrte gesellschaftliche Erfahrung bislang fehlt: die | |
mit den Witwern mächtiger Frauen. | |
Erst durch die auch rechtlich verankerte Gleichberechtigung der | |
Geschlechter im Laufe des 20. Jahrhunderts nämlich hatten Frauen die | |
Chance, politische, wirtschaftliche und kulturelle Macht zu erlangen. Wie | |
allerdings dereinst die Partner von Melinda Gates, Christine Lagarde oder | |
Angela Merkel das Andenken ihrer Frauen gestalten und verwalten werden – | |
diese Erfahrung fehlt und wird auch in Zukunft selten bleiben. Denn die | |
Frauen sind in Partnerschaften nicht nur meist jünger, sie leben auch | |
länger. Zuallermeist also kriegt es die interessierte Öffentlichkeit | |
weiterhin mit trauernden Frauen zu tun. | |
Maike Kohl-Richter, die Witwe von Helmut Kohl, ist solch eine Frau. Sie | |
lehrt die Öffentlichkeit nach allen Regeln der Kunst das Fürchten. Ihr Werk | |
versieht sie stumm. Wortlos sieht man sie mit zusammengepressten Lippen die | |
Kerzen, Karten und Blumen vor ihrem Haus in Oggersheim betrachten. Eine | |
Frau im schwarzen Etuikleid, eine Sonnenbrille vor den Augen, die Hände | |
fest vor dem Körper verschränkt. Eine Frau, 53 Jahre alt, in der schwersten | |
Stunde ihres Lebens. Sprechen darf für sie einzig ihr Anwalt Stephan | |
Holthoff-Pförtner. Kohls Nachfahren, Männer in ihrem Alter samt deren | |
Söhnen und Töchtern, erhalten keinen Zugang zur Trauerzentrale. | |
Als eine Art Ziehsohn ist statt ihrer Kai Diekmann bei ihr. Der frühere | |
Bild-Chefredakteur [4][öffnet und schließt die schwere Haustür] in | |
Oggersheim für die der Witwe genehmen Besucher. Diekmann schaut ernst. | |
Irgendwann, zu einem von ihr festgelegten Zeitpunkt, wird er mit ihr ein | |
großes Bild-Interview führen. Oder nein, kein Interview. Zwiesprache werden | |
sie halten, diese beiden wahrhaftigen Verehrer des großen Europäers Helmut | |
Kohl. Es wird alles sehr zu Herzen gehen, sehr traurig sein. Auch | |
pathetisch. Die Auflage wird gigantisch sein. | |
## Wer trauert, kann nicht lächeln | |
Aber noch steht Maike Kohl-Richter stumm vor dem Haus in der Marbacher | |
Straße 11. Würde man dieser Frau im schwarzen Kleid zufällig auf einem | |
Friedhof begegnen – man sähe ausschließlich ihren Kummer. Man begegnete ihr | |
mit stillem Respekt. Wer trauert, kann nicht lächeln. Doch sie ist nun mal | |
Maike Kohl. Und deshalb weiß man so verdammt viel über sie. Wenig Gutes, | |
viel Irritierendes. | |
Geboren wurde Maike Richter 1964 im Siegerland. Sie trat früh in die Junge | |
Union ein. Ihre Verehrung für Helmut Kohl, für den die Volkswirtin später | |
einmal im Kanzleramt arbeiten sollte, ist von Anfang an sprichwörtlich. | |
Kohls Sohn Peter schilderte später einmal ihre Wohnung als „eine Art | |
privates Helmut-Kohl-Museum“. Überall hätten Bilder von ihm gehangen. „Das | |
Ganze sah nach jahrzehntelanger, akribischer Sammelleidenschaft zum Zwecke | |
der Heldenverehrung aus, wie man es vielleicht auch von Berichten über | |
Stalker kennt.“ | |
Als Kohl-Groupie sah sie denn auch die Öffentlichkeit. Als eine Art | |
Gottesanbeterin, als Fangschrecke, die das wehrlose Männchen ins Visier | |
nimmt, um es, seiner habhaft, schließlich aufzufressen. Was jedoch zwischen | |
dieser obsessiven Hingezogenheit und dem Tod des Mannes lag, wird in dieser | |
Erzählung geflissentlich übersehen. | |
Helmut Kohl war ein schwerkranker Mann. Nachdem er 2008 gestürzt war, | |
brauchte er rund um die Uhr Hilfe. Und er sollte sie bekommen von seiner zu | |
diesem Zeitpunkt 44 Jahre alten Partnerin. Neun Jahre ist sie an seiner | |
Seite geblieben, bis zum Ende. Als sein Zustand immer schlechter wurde, | |
hätte jeder verstanden, wenn sie Helmut Kohl in einem Pflegeheim | |
untergebracht hätte. Aber sie blieb und schob ihn bei den ganz seltenen | |
Auftritten in seinem riesigen Rollstuhl durch die Öffentlichkeit. Was das | |
bedeutet, wie viel Geduld, Respekt und Liebe zu guter häuslicher Pflege | |
gehört, können abertausende Angehörige in diesem Land bezeugen. | |
## Pathos und Stiefelleckerei | |
Es ist nicht gesagt, wie Kohls Söhne sich entschieden hätten, aber die | |
Wahrscheinlichkeit, dass sie für den alten Vater ihr Privatleben aufgegeben | |
hätten, ist vermutlich nicht groß gewesen. Maike Kohl-Richter muss ihren | |
Mann wirklich geliebt haben. In all diesen Jahren aber muss etwas Ungutes | |
vorgegangen sein in Oggersheim. Mag sein, dass es lästige Schranzen gab, | |
einstige Wegbegleiter, die ihren Vorteil suchten in der Nähe zu Kohl. | |
Leute, die auch Kohl loswerden wollte. | |
Am Ende dieses Prozesses aber stand ein Ehepaar, dessen einer Teil nicht | |
mehr sprechen konnte und von dem Besucher berichteten, sie seien nicht | |
sicher gewesen, ob Kohl den Vorgängen im Haus folgen konnte. Der andere, | |
weibliche Teil übernahm kongruent die Führung und die Deutung. Das Ergebnis | |
war klar: Der Staatsmann Helmut Kohl wurde in seinem Heimatland nicht | |
ausreichend gewürdigt. | |
Die Süddeutsche Zeitung berichtet, wie es Kohl stark beeindruckt haben | |
soll, wie Staatenlenker anderswo geehrt wurden. „Als Kohl 2003 ,The George | |
W. Bush Presidential Library and Museum' in Texas besichtigte, eine | |
Ein-Mann-Walhalla, vollgestopft mit Memorabilien, Souvenirs, Bildern und | |
Texttafeln, weinte er vor Rührung – und wohl auch aus Enttäuschung über die | |
Undankbarkeit zu Hause.“ | |
Es sind diese Begebenheiten, die im Nachgang ein grelles Licht auf das | |
Selbstverständnis von Helmut Kohl werfen. Ein Mann wie ein Baum, der lange | |
Jahre unglaublich viel Macht in den Händen gehalten hat, bricht in Tränen | |
aus, weil ein nicht allzu begabter ehemaliger US-Präsident Heldenverehrung | |
genießen darf? Legt dieser alte Mann tatsächlich und ernsthaft Wert auf | |
Pathos und Stiefelleckerei? | |
## Witwe ist kein Beruf | |
Sollte dies der Antrieb für Helmut Kohls unversöhnlichen Grimm am Ende | |
seines 87 Jahre währenden Lebens gewesen sein, muss er einem leidtun. Und | |
sollte dies die Grundmelodie sein, die er – einsam in Oggersheim – mit | |
Maike Kohl-Richter gesungen hat, kann auch sie einem leidtun. Dass es ein | |
solches „wir gegen die“ gegeben hat, scheint auf der Hand zu liegen. Dafür, | |
dass sie beide Kohl noch zu Lebzeiten zum Denkmal formen wollten, spricht | |
einiges. | |
Das Paar hat erfolgreich [5][gegen Kohls Biografen Heribert Schwan] auf | |
Unterlassung, Schadenersatz und Herausgabe der Interviewaufnahmen geklagt. | |
In der Stunde des Todes schließlich sorgte die Witwe posthum für maximalen | |
Dissens zwischen dem Verblichenen und dem Land, das er einst regiert hat. | |
Europäischer „Staatsakt“ in Brüssel, Rheinfahrt im Sarg, die Grabstätte … | |
Speyerer Dom – alles von langer Hand vorbereitet. Knapp konnte doch noch | |
durchgesetzt werden, dass Angela Merkel in Straßburg sprechen darf. Alles | |
ein einziger protokollarischer Affront, geboren aus der Hybris eines | |
Sterbenden und dessen künftiger Witwe. | |
Was wird nun aus ihr, aus Maike Kohl-Richter? Man wird sehen. Sie ist 53 | |
Jahre alt und bewohnt ein nicht allzu schönes Haus, vollgestopft mit | |
Erinnerungen. Witwe ist kein Beruf. Und Verachtung keine gute Haltung zum | |
Leben. Und dieses Leben ist noch sehr lang. | |
26 Jun 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sueddeutsche.de/panorama/das-erbe-helmut-kohls-alles-in-ihrer-ha… | |
[2] http://www.bunte.de/panorama/politik/maike-kohl-richter-darum-hat-sie-keine… | |
[3] https://www.welt.de/politik/deutschland/article165667928/Die-Frau-die-nie-r… | |
[4] /!5419886/ | |
[5] /!5330962/ | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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