| # taz.de -- Helmut Kohls Vermächtnis: Ein Trauerspiel | |
| > Helmut Kohl hat viele und strikte Anweisungen zu seiner Beisetzung | |
| > formuliert. Was haften bleibt, ist das Bild eines gekränkten Mannes. | |
| Bild: Wenigstens sie sind weitgehend schlicht gehalten: Traueranzeigen | |
| Seinen Tod hat Helmut Kohl in ganz großem Stil geplant. Bei den Details | |
| aber hinterlässt der einstige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland | |
| posthum den Eindruck von irritierender Pingeligkeit. | |
| Europäischer Trauerakt in Straßburg, Rheinfahrt im Sarg, Gedenken im | |
| Speyerer Dom, Bestattung im Schatten der Friedenskirche – all dies | |
| entspricht seinen Wünschen. Alles atmet maximale Aufgeladenheit. Das | |
| Verhindern eines Staatsaktes in Deutschland hingegen, ein Sohn, der mit | |
| Polizisten um den Zugang zum früheren Elternhaus rangeln muss, eine Witwe, | |
| die versucht haben soll, Angela Merkel als Trauerrednerin zu verhindern – | |
| das ist irritierend kleines Karo. | |
| Helmut Kohl ist tot. Aber seine grimmigen Schallwellen streifen weiter kühl | |
| dieses Land, seine Bürger und deren politischen Vertreter. | |
| Fast zwanzig Jahre ist es her, dass Kohl das Kanzleramt geräumt hat. Zwei | |
| Dekaden Abstand und seine sechzehn Kanzlerjahre aber haben ihm offenbar | |
| nicht gereicht, um einstigen Gegnern zu vergeben. Um das Vertrauen zu | |
| entwickeln, dass sein politisches Vermächtnis für sich steht. Trotz aller | |
| Brüche und Fehler, die zu seinem wie zu jedem Leben gehören. All die lange | |
| Zeit hat nichts geheilt. Sein Misstrauen und seine Wut sind bis zum Ende – | |
| und darüber hinaus – nicht vergangen. | |
| ## Ein „staatliches Trauerzeremoniell“ | |
| Es fängt mit den Abläufen des Gedenkens und der Beisetzung an und hört bei | |
| den Trauerrednern noch lange nicht auf. Nach Kohls Tod am Freitag | |
| vergangener Woche hat es sagenhafte vier Tage gedauert, bis das | |
| Bundespräsidialamt Weisung ans Innenministerium geben konnte, wie | |
| Deutschland seines ehemaligen Kanzlers gedenken kann. Besser: gedenken | |
| darf. | |
| Denn einen Staatsakt wird es nicht geben. Stattdessen, teilt das | |
| Ministerium mit, werde es am 1. Juli ein „staatliches Trauerzeremoniell in | |
| Deutschland“ geben. Zuvor werde in Straßburg ein „europäischer Trauerakt�… | |
| stattfinden. Und zwar, auf diese Formulierung kommt es in der kein Wort zu | |
| viel enthaltenden Erklärung an, „auf Wunsch der Witwe“. | |
| Eben diese Witwe, Maike Kohl-Richter, konnte offenbar von den Mitarbeitern | |
| der Protokollabteilung nicht von der Notwendigkeit eines Staatsaktes | |
| überzeugt werden. Und gegen den Willen der Angehörigen gibt es keinen. | |
| Maike Kohl-Richter, berichtet Spiegel Online, habe sogar verhindern wollen, | |
| dass bei einer wie auch immer gearteten Feier Angela Merkel spricht. | |
| Stattdessen soll sich ihr verstorbener Mann einen der ärgsten Feinde der | |
| Kanzlerin als Trauerredner gewünscht haben: den ungarischen | |
| Ministerpräsident Viktor Orbán. Was Kohl anderes als Merkel-Gegnerschaft | |
| mit Orbán verbunden haben mag, bleibt unklar. Der Fidesz-Politiker kam | |
| erstmals nach Kohls Kanzlerschaft an die Macht. | |
| ## Ausgerechnet Steinmeier | |
| Noch etwas anderes scheint das Ehepaar Kohl angetrieben zu haben: Beide | |
| wollten unbedingt verhindern, dass am Sarg das deutsche Staatsoberhaupt | |
| spricht. Der heißt seit einem Vierteljahr Frank-Walter Steinmeier und war | |
| unter Kohls Nachfolger Gerhard Schröder dessen Kanzleramtsminister. In | |
| dieser Funktion hat er im Jahr 2000 die Sonderermittlungen wegen der | |
| sogenannten Bundeslöschtage vorangetrieben. | |
| Der Vorwurf, in den letzten Regierungstagen von Helmut Kohl seien im | |
| Kanzleramt Akten gelöscht und vernichtet worden, konnte nie belegt werden. | |
| Die Unterlagen zu Panzerdeals mit Arabien und zur Privatisierung des | |
| einstigen DDR-Chemiebetriebs Leuna blieben allerdings verschwunden. | |
| Kaum jemand würde sich heute noch an diese Vorgänge erinnern. Durch seine | |
| Unfähigkeit, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, sorgt Kohl nun | |
| posthum dafür, dass sie wieder aufgewärmt wird. Fraglich, ob das seine | |
| Absicht war. Er konnte schlussendlich nicht einmal verhindern, dass | |
| Frank-Walter Steinmeier seiner gedenkt. An der Würdigung des verstorbenen | |
| sechsten Bundeskanzlers an diesem Donnerstag im Bundestag nimmt er als | |
| Bundespräsident natürlich teil. Auch die Teilnehmer des Europäischen Rates | |
| wollen bei ihrem Treffen am Donnerstag Helmut Kohl würdigen. | |
| ## Auf dem Rhein nach Speyer verschifft | |
| Gut eine Woche darauf, am Samstag, dem 1. Juli, wird es dann ernst. Für den | |
| „Europäischen Trauerakt“ sind bereits erste Details bekannt geworden. Als | |
| Redner werden demnach neben den Präsidenten der drei EU-Institutionen | |
| Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Emmanuel Macron | |
| und der frühere US-Präsident Bill Clinton erwartet. | |
| „Der aufgebahrte Sarg mit dem verstorbenen Altbundeskanzler wird mit einer | |
| Europaflagge bedeckt sein“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der | |
| EU-Institutionen. „Nach dem europäischen Trauerakt, der etwa zwei Stunden | |
| dauern wird, erfolgt die Überführung des Sarges nach Deutschland. Nach | |
| einem Requiem im Dom von Speyer wird der ehemalige Bundeskanzler | |
| beigesetzt.“ | |
| Auch hierfür haben sich Helmut und Maike Kohl genau überlegt, was eines | |
| Ehrenbürgers Europas würdig wäre. Dem Vernehmen nach möchte Maike | |
| Kohl-Richter mit ihrem eingesargten Mann im Hubschrauber nach Straßburg | |
| fliegen. Nach dem Trauerakt soll der Sarg, bedeckt mit einer | |
| Deutschlandfahne, auf den Rhein nach Speyer verschifft werden. Dort soll | |
| er, nach einer privaten Gedenkfeier im Adenauerpark auf dem | |
| Kapitelsfriedhof beigesetzt werden. Das Grab soll später öffentlich | |
| zugänglich gemacht werden. | |
| Das von Helmut Kohl bereits vor Langem erworbene Grab neben seiner 2001 | |
| verstorbenen ersten Ehefrau Hannelore wird hingegen leer bleiben. | |
| Bis zum Samstag soll Kohls Leichnam im Wohnzimmer des Oggersheimer | |
| Bungalows aufgebahrt bleiben. Dort, in der Marbacher Straße 11, hat am | |
| Mittwoch Kohls Sohn Walter geklingelt. In Begleitung zweier Enkel von | |
| Hannelore und Helmut Kohl wartete er eine halbe Stunde vergeblich auf | |
| Einlass; zuvor war er von Polizisten auf das gegen ihn bestehende | |
| Hausverbot hingewiesen worden. | |
| ## „Inszenierung eines Eklats“ | |
| Maike Kohl-Richters Anwalt war sich nicht zu schade, umgehend eine | |
| Erklärung abzugeben, laut der es Walter Kohl um „die gewollte und bewusste | |
| Inszenierung eines Eklats“ zu tun gewesen sei. Der Kohl-Sohn habe sich | |
| zuvor einer Verabredung zum Gespräch entzogen. „Das sprengt den Rahmen | |
| dessen, was man tolerieren kann.“ | |
| Es sind Sätze und Unterstellungen wie diese, die die Fantasie der | |
| Öffentlichkeit befeuern. Ein 53 Jahre alter Sohn, der vergeblich versucht, | |
| mit den Enkeln Abschied vom toten Vater und Großvater zu nehmen. Eine nur | |
| ein Jahr jüngere Witwe, die die Erben nicht im Haus haben möchte und | |
| stattdessen ihren Anwalt in Stellung bringt. Mithin eine Frau, die viele | |
| Jahre lang ihren pflegebedürftigen Ehemann unterstützt hat und misstrauisch | |
| – und mit kräftiger Unterstützung von Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann – | |
| dessen öffentliches Bild geformt und überwacht hat. | |
| Hinzu treten die aufploppenden Bilder. Das sorgfältig gekühlte Oggersheimer | |
| Wohnzimmer. Diekmann, der die Haustür öffnet. Der Helikopterflug mit Sarg. | |
| Die Rheinfahrt. Die Grabstelle gleich neben verblichenen Kirchenfürsten. | |
| Das schlüpfrige Dauergedenkfeuer der Bild-Zeitung (über Kohls erste Ehe: | |
| „Sie war ihm treu. Er war unterwegs.“) All dies Unbescheidene und | |
| Selbstgewisse hat etwas Würdeloses. Und das in einer Situation, da es um | |
| den einstigen Kanzler der Bundesrepublik geht. | |
| Es ist: ein Trauerspiel. So wie es aussieht, bleibt es das auch. | |
| 22 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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