# taz.de -- Helmut Kohl und die Familie: Wolfgangsee, ein Grabmal | |
> Niemand hat das Bild der heilen bürgerlichen Familie mehr beschädigt als | |
> er, Helmut Kohl. Ein Kurzrequiem auf eine Lebensform. | |
Bild: Helmut Kohl und seine Familie 1981 am Wolfgangsee | |
In der Erinnerung will es scheinen, dass dieses Gewässer schon immer für | |
eine gewisse Verklemmtheit stand: Der Wolfgangsee in Österreich, schon | |
besungen in der Operette „Im weißen Rössl“, war eine Art Ozean der | |
bürgerlichen Sittsamkeit. Hier urlaubte der Politiker, später Kanzler der | |
Bundesrepublik, Helmut Kohl mit seiner Familie, und dass wir das wissen | |
konnten, war absichtsvoll inszeniert. Der Christdemokrat wollte zeigen, in | |
welch heiler Welt er lebte, wenigstens privat, und wie heiter in dieser | |
Familie – er sagte gern: „Familje“ – es zuging. | |
Wolfgangsee, das war eben nicht wie später unter Kanzler Schröder | |
Toskanafraktion, mittelgediegene Weltläufigkeit mit Dolce vita, das war, | |
falls das zu formulieren erlaubt ist, ostmärkische Ferienatmosphäre mit | |
Bier und Geselligkeit im Kreis der Liebsten – allenfalls umrudelt von den | |
Fotografen und Reportern einschlägiger Boulevardmedien. | |
Hier sollte ein Bild gezeichnet werden, und es war auch damals schon | |
verlogen. Und zwar an und für sich, der Zeitläufte wegen. Der Feminismus | |
war längst geboren, seine Heldinnen in allen möglichen gesellschaftlichen | |
Sektoren schwer und erfolgreich um Einfluss ringend. Schwule Männer gab es | |
auch schon, sie mussten darauf vertrauen, dass eine | |
CDU-Gesundheitspolitikerin wie Rita Süßmuth in Sachen Aids-Epidemie in den | |
mittleren Achtzigern sich nicht vom CSU-Mann Peter Gauweiler den Schneid | |
abkaufen ließ. | |
Alles alte Geschichte, alte Bundesrepublik, die andererseits gar nicht so | |
konservativ unterwegs war, wie die Figur Helmut Kohl glauben machte. Denn | |
der wollte die „geistig-moralische Wende“ (Michael Rutschky) und schaffte | |
sie doch nicht. | |
## Politischer Maniac | |
Inzwischen wissen wir: Das war schon in persönlicher Hinsicht ein | |
verfehltes Projekt – ganz so, als bäte ein Heuchler um Vergebung für alle | |
falsche Rede wider deine Nächsten. Helmut Kohl, das war und ist der | |
Totengräber der bürgerlichen Familie von prominentester Sorte. | |
Die Ehe mit Gattin Hannelore – ein Desaster. Andererseits: Wundert es wen? | |
Eine kluge Frau, die in gewisser Hinsicht wissen konnte, dass sie die Frau | |
an seiner Seite sein würde, die geahnt haben muss – und begehrt zugleich ja | |
auch – dass sie einen Mann ehelichte, der einem politischem Maniac gleicht. | |
Und dann zwei Söhne, die gewiss auf ihre Weise, beide haben dies in | |
autobiographischen Büchern bezeugt, versuchten, einen eigenen, jedenfalls | |
nicht den Weg des Vaters zu gehen. | |
Denn das mussten sie, andererseits, auch. Vater Kohl, so überliefern es | |
beide, interessierte sich für sie lediglich in repräsentativer Hinsicht: | |
Hey, ich habe zwei Söhne gezeugt, was wollt ihr mehr? | |
Dass, wie wir mit dem Ableben des früheren und ja bis zum Fall der DDR | |
politisch nicht sehr erfolgreichen Kanzlers erfuhren, ihn seine Kinder | |
desinteressierten, ist freilich kein persönliches Charakteristikum des | |
Helmut Kohl. Das ging Millionen Väter einst so, das kann weiter der Fall | |
sein, aber zum pfälzischen Debakel namens Helmut K. gehört eben auch die | |
kaltschnäuzige Indienstnahme dieser seiner Familie für die Moralisierung | |
der bürgerlichen Familie. | |
## Ein Nichtvorbild | |
Man darf ohnehin fragen: Konnte er die Söhne auch deshalb nicht in den | |
letzten Jahren an sich heranlassen, weil sie ihn – bewusst oder unbewusst – | |
anklagten, deren Mutter, Kohls Frau Hannelore alleingelassen zu haben? Hat | |
er deshalb jeden Kontakt verweigert? | |
Und, mehr noch: Fand er in einer sehr viel jüngeren Frau, Maike | |
Richter-Kohl, nicht nur die ergebene Begleiterin im Alter, sondern zugleich | |
auch die kritik- und wunschlose Tochter, die er nie hatte, sondern eben nur | |
zwei Söhne, die ihn als Vater wollten, nicht als kolossale, stets abwesende | |
Figur im eigenen Wohnzimmer? Er, Helmut Kohl, so kann man die Ausführungen | |
und Interviews seiner Söhne deuten, der seine männlichen Kinder nicht | |
mochte, weil sie ihm als Männer zugleich auch Konkurrenz im Privaten waren? | |
Mit Helmut Kohl ist der prominenteste Bigottling der christdemokratischen | |
Szene gestorben – ein Mann, der sein Fühlen in den falschen Fuffzigern | |
lernte, falls er dies lernte, und der mit Modernitäten (Feminismus, | |
Familienstrukturen ohne Männerernährermodell, sexual otherness) nichts | |
anfangen wollte. | |
Friede seiner Seele, so er eine hatte: Jovial und menschenfreundlich war er | |
in Männerhorden, und das auch nur als Anführer. Mit ihm starb ein Modell, | |
das schon vor den Fotoshootings am Wolfgangsee klinisch tot war. Was für | |
ein Gescheiterter, was für ein Nichtvorbild! | |
21 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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