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# taz.de -- Der Staatsakt ist reformbedürftig: Nur für elitäre Urgesteine
> Helmut Kohls Beerdigung gibt Anlass, über staatliche Trauerfeiern
> nachzudenken – denn es besteht Verbesserungspotenzial.
Bild: Darf bei keinem Staatsakt fehlen: der Bundesadler
Umgangssprachlich ist er ja nicht so ganz beliebt: „Mach doch keinen
STAATSAKT draus“, sagen wir, wenn sich jemand in Übertreibungen zu
versteigen droht.
Offiziell hingegen ist oft genau das gewünscht. EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker will den verstorbenen Helmut Kohl mit einem ganz
besonderen „Staatsakt“ ehren, einem europäischen nämlich. Das klingt sofo…
ein bisschen schief – ist die EU doch nicht mal ein Staat. Höchste Zeit,
sich den Begriff etwas genauer anzuschauen.
Laut Protokoll der Bundesregierung ist ein Staatsakt „Ausdruck höchster
Würdigung von Anlässen oder Personen durch die obersten Repräsentanten des
Gemeinwesens“. Das heißt im Klartext: Der Staat richtet die Feierlichkeiten
aus und bezahlt sie. Zum Beispiel: öffentliches Trauerdefilee,
Kranzniederlegung, Bundesadler und Nationalhymne. Die Entscheidung darüber,
welche Trauerfeier in Schwarz-Rot-Gold angestrichen wird, ist in
Deutschland Chefsache. Ausschließlich der Bundespräsident kann einen
Staatsakt anordnen. Die Durchführung übernimmt in der Regel das
Innenministerium.
Über die Volksnähe und die demokratische Legitimierung des Staatsakts kann
man streiten. Bis jetzt wurde die Ehrung vor allem der
bundesrepublikanischen Politikelite zuteil; ehemaligen Präsidenten,
Kanzlern und Ministern.
So zum Beispiel auch 1972 Heinrich Lübke, dem umstrittenen ehemaligen
Bundespräsidenten, der mehr durch NS-Verstrickungen und rhetorische
Stolperer aufgefallen war denn durch politische Verdienste: Trauerstaatsakt
im Plenarsaal des deutschen Bundestages Bonn, Staatsbegräbnis in Enkhausen
im Sauerland. Oder 1988 dem CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger, ebenfalls
viel kritisiert wegen seiner Nazi-Vergangenheit: Trauerstaatsakt in der
Domkirche St. Eberhard Stuttgart, Staatsbegräbnis in Tübingen.
Vergeblich hingegen sucht man in der Liste der „Staatsbegräbnisse und
Staatsakte“ nach anderen Namen wie dem des Nazi-Jägers Fritz Bauer oder gar
dem einer Frau wie Hildegard Hamm-Brücher. Und nur einmal in der Geschichte
der Bundesrepublik wurde bislang ein Staatsakt zivilen Opfern zuteil,
nämlich 2004 nach der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean.
Würde über Staatsakte basisdemokratischer entschieden, sähe die Liste
womöglich anders aus. Neben elitären Urgesteinen würden mit
Staatsbegräbnissen und Trauerstaatsakten dann vielleicht auch
Bürgerrechtler, Opfer von Flucht und Vertreibung und viele andere, leisere
Persönlichkeiten geehrt.
Das klingt utopisch? Nicht unbedingt! Schon einmal in der deutschen
Geschichte setzten die Bürger eine Art Staatsakt durch: Die
Märzrevolutionäre zwangen den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. 1848
dazu, den getöteten Demonstranten Ehre zu erweisen. Und der verneigte
sich dann tatsächlich vor den „Märzgefallenen“, ehe sie beerdigt wurden.
Warum also nicht mal die Phrase wörtlich nehmen, und einen Staatsakt machen
aus dem Staatsakt?
19 Jun 2017
## AUTOREN
Kathrin Müller-Lancé
## TAGS
Demokratie
Helmut Kohl
Trauer
Gedenken
Familie
Friedrich Küppersbusch
Minority Report
EU
CDU
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