# taz.de -- Streit um Umbenennung in Osnabrück: Kein Platz für Helmut Kohl | |
> Der Berliner Platz in Osnabrück soll in Helmut-Kohl-Platz umbenannt | |
> werden. Der Rat ist mehrheitlich dafür, die Anwohner dagegen. | |
Bild: Kein Ausbund von Schönheit: der Berliner Platz in Osnabrück | |
Osnabrück taz | Es gibt Plätze, an denen hält sich niemand gern auf. Der | |
Berliner Platz in Osnabrück ist einer davon. Er hat zwar einen gewichtig | |
klingenden Namen, aber sonst ist an ihm nicht viel dran. Es sei denn, man | |
mag Autolärm, Leerstände, zugewucherte Brachflächen, Eisenbahnbrücken, | |
Abgasgestank und runtergekommene Bauten, bei denen eigentlich nur der | |
Abriss hilft – eine Problemzone, seit Jahrzehnten schon, und eine der | |
hässlichsten, meistbefahrenen Kreuzungen der Stadt. | |
Diese Problemzone hat jetzt ein neues Problem, zu ihren vielen alten: Der | |
Berliner Platz soll zum Helmut-Kohl-Platz umbenannt werden. | |
Konservativ-Kanzler Kohl durch eine Straßenbenennung in Osnabrück zu | |
würdigen, trotz der Schwarzgeldaffäre, die seinen Namen seit 1999 belastet, | |
ist keine neue Idee. Der Ratsbeschluss, das Verfahren in Gang zu setzen, | |
initiiert von der CDU-Fraktion, erging am 5. September 2017. | |
Trotz Bauchschmerzen von FDP („zwiespältig“) bis Bündnis 90 / Die Grünen | |
(„nicht kritiklos verehren oder überhöhen“) ging er am Ende ziemlich | |
einmütig durch; Gegenwehr kam nur aus den Reihen von Die Linke und der | |
Piraten. Dass im Normalfall eine Wartezeit von mindestens drei Jahren | |
greift ab dem Todeszeitpunkt des zu Ehrenden? Bei Kohl, drei Monate vor dem | |
Ratsbeschluss verstorben, wurde auf sie verzichtet. | |
Und jetzt wird es also ernst. Anfang November tagt der Kulturausschuss, | |
Anfang Dezember der Rat. Kippt Kohl da nicht noch, was unwahrscheinlich | |
ist, ist die Sache durch. | |
Warum die Wahl ausgerechnet auf den Berliner Platz fiel, erklärt Sven | |
Jürgensen, Pressesprecher der Stadt, betont pragmatisch: „Einerseits sollte | |
es ein prominenter Ort sein, nicht einfach nur irgendein kleiner Forstweg | |
oder Wohngebiets-Wendehammer, das wäre dem Namen des zu Ehrenden natürlich | |
nicht angemessen. Andererseits sollten da nicht allzu viele Menschen | |
wohnen, denn eine Adressänderung bedeutet ja Umstände: neuer Pass, neue | |
Visitenkarten…“ Sein Fazit: „War ein schwieriger Spagat.“ | |
Wenn es drum geht, möglichst wenige Anwohner zu belasten, ist der Berliner | |
Platz in der Tat eine perfekte Wahl. Nur ein einziges Wohnhaus steht dort – | |
fünf Etagen, schmutziggrün, 24 Mieter. Jürgensen: „Die haben wir natürlich | |
angeschrieben, damit sie Stellung nehmen können.“ Ginge es nach den | |
Anwohnern, bliebe der Name unverändert. Jürgensen: „21 von 24 sind gegen | |
eine Umbenennung. Aber ihre Stellungnahme ist natürlich nicht bindend.“ | |
## Die Junge Union macht Druck | |
Eine, deren Stellungnahme nicht bindend ist, ist Julia, gerade erst | |
eingezogen. Die junge Frau liest ihren Nachnamen lieber nicht in der | |
Zeitung, erzählt aber gern, wie sie zu der ganzen Sache steht: „Was das für | |
ein Aufwand wäre!“, sagt sie. Außerdem gefalle ihr der Name genau so wie er | |
jetzt ist: „Ich habe eine enge Beziehung zu Berlin, durch meine Familie. | |
Und was auch wichtig ist: Ich bin nicht so der Freund der CDU.“ | |
Damit die Ehrung des „großen Europäers“ auch glattgeht, hat Christopher | |
Peiler, Vorsitzender der Jungen Union Osnabrück, jetzt nochmal nachgelegt: | |
Kohls Verdienste seien „immens“. Der Helmut-Kohl-Platz müsse kommen, macht | |
die Junge Union auf ihrer Facebook-Seite Druck. Und der Berliner Platz sei | |
besonders geeignet. Zudem gehe es bei solchen Benennungen „nicht um | |
Einzelmeinungen von Anwohnern, sondern ausschließlich um die Ehrung des | |
positiven geschichtlichen Erbes solcher herausragenden Persönlichkeiten“. | |
## Schiere Größe | |
Fritz Brickwedde, der CDU-Fraktionsvorsitzende, hat zwar angekündigt, alle | |
Bewohner und den Eigentümer des Hauses einzuladen, um Bedenken zu | |
diskutieren. Aber am Ausgang des Ganzen lässt auch er keinen Zweifel: Jede | |
„kleinkarierte Diskussion“ sei fehl am Platze. Gerade „in der heutigen Ze… | |
von Populismus und Nationalismus“ sei es wichtig, an gemäßigte | |
demokratische Politiker zu erinnern, die als Deutsche europäische | |
Geschichte geschrieben hätten. | |
Sicher, der Berliner Platz ist ein großer Platz. Das mag für ihn sprechen, | |
wenn es um einen Großen Deutschlands (1,93 Meter, 120 Kilo plus, deutsche | |
Einheit) geht. Und es mag ein Argument sein, dass der Platz 1961 vom | |
Schiller- zum Berliner Platz umbenannt wurde, um auf die Teilung Berlins | |
aufmerksam zu machen – die es nicht mehr gibt, auch wegen Kohl dem Großen. | |
Außerdem wird der Platz vielleicht nicht immer so hässlich bleiben, wie er | |
es heute ist. Städtebaulich, landschaftsarchitektonisch und | |
verkehrstechnisch soll er neu organisiert werden – vielleicht, irgendwann. | |
Aber langes Warten auf „blühende Landschaften“ ist man von Kohl ja gewohnt. | |
23 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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