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# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Am Strand mit Mitterand
> BILD wird 65 – und sorgt für massenhaft Bier, Würstchen und Kohl-Content.
> Nur das Witwenschütteln war schwierig: Der Wochenrückblick.
Bild: In Oggersheim öffnete tatsächlich Ex-„Bild“-Chefredakteur Kai Diekm…
Wir wollen heute artig sein und gratulieren: Die Bild-Zeitung wird an
diesem Samstag 65 Jahre alt. Und was wäre Deutschland ohne Bild! Auf jeden
Fall der Möglichkeit beraubt, sechs Würstchen, eine Stange Brot und eine
Dose Pils für zusammen 1,99 Euro zu erstehen.
Anlässlich des Jubiläums lieferte Bild nicht nur ungefragt an 41 Millionen
ahnungslose Haushalte ein kostenloses Exemplar, sondern druckte am Folgetag
einen Coupon, den man ausschneiden und zu Lidl tragen konnte, um dort
glücklicher „Grill-Knaller-Paket“-Besitzer zu werden.
Die jeden Journalisten früher oder später quälende Frage, wie zur Hölle
Bild es schafft, trotz Aufmacherthemen wie „Vom Dackel der Schwiegermutter
entmannt“ die auflagenstärkste Zeitung des Landes zu bleiben, beantwortet
sich damit bitterlich von selbst.
Schade, dass in dem Paket nicht Pfälzer Saumagen und Birnengeist stecken
statt Würstchen und Bier. Aber das wäre auch ein arg profanes Andenken an
Helmut Kohl. Also kredenzte Bild in dieser Woche täglich Seiten mit dem
Titel „Mythos Kohl“ (ist dieses nun als offenherziges Geständnis zu werten,
jener Mythos werde durch Bild tatkräftig mitgestrickt?). Die schilderten
nicht nur Leben und Wirken, sondern auch jede kleine Regung, die sich seit
Kohls Ableben in und um Oggersheim tut.
## Freundschaft endet, wo der Fettdruck anfängt
Es begann harmlos, mit Bilderstrecken, Nachrufen und einer ganzen Seite von
Exchefredakteur Kai Diekmann, der über seine lebenslange Bewunderung und
späte Freundschaft mit Kohl schrieb. Aber Bild wäre nicht Bild, wenn nicht
auch „Familienstreit um toten Kohl eskaliert!“ eine Schlagzeile wert
gewesen wäre, samt Nahaufnahmen der Szene, wie Walter Kohl vergeblich an
seinem Elternhaus klingelt und schließlich von der Polizei weggeschickt
wird.
Oder folgende Erzählung deutsch-französischer Freundschaft: „Am Strand
neben dem Pinienwald, in einer alten Schäferei kamen sie sich näher, bei
Gänsestopfleber“ – mit „sie“ sind nicht etwa Lady Chatterley und ihr
Liebhaber gemeint, sondern Kohl und Mitterrand. Alte Verbundenheit endet,
wo der Fettdruck anfängt. Stolze 181 aller seit 1986 ausgesprochenen Rügen
des Presserats gingen an Bild. Auf Platz zwei folgt das
Springer-Schwesterblatt B.Z. mit 22.
Wer glaubt, das Leben als Bild-Reporter sei locker und angenehm, irrt.
Schließlich ist die Spezialität des Hauses das gemeinhin „Witwenschütteln�…
genannte Aufsuchen von Hinterbliebenen nach Todes- und Katastrophenfällen.
Fies wird es, wenn herauskommt, dass die „Ex-Freundin des Amokpiloten“, mit
deren Story man mal groß aufmachte, offenbar eine Betrügerin war. So
geschehen in dieser Woche.
Und auch folgende Vorstellung bekommt man nicht aus dem Kopf: Da kommt der
Bild-Reporter angerast in Oggersheim, stolpert die Treppenstufen hoch zur
Haustür, den heißfeuchten Atem des Focus-Online-Kollegen schon im Nacken –
und dann öffnet nicht etwa die trauernde Witwe, sondern der trauernde Chef.
Exchef, wenn wir ganz genau sind, aber Diekmann hat Bild und deren
Kohl-Berichterstattung so lange und ausdauernd geprägt, dass analog zum
„Altkanzler“ intern vermutlich vom „Altchefredakteur“ gesprochen wird.
## D wie „dichte Fenster“
(Nach Lektüre der Pläne für die Trauerfeiern – die Bild en détail kennt �…
fragt man sich dann aber doch: Ob Helmut Kohl sich wohl im selben Maß für
den europäischen Zusammenhalt eingesetzt hätte, wenn ihm klar gewesen wäre,
dass er als „großer Europäer“ eines Tages im Hochsommer – nach längerer
Aufbahrung im Oggersheimer Wohnzimmer – mitsamt Sarg in einen Hubschrauber
verfrachtet, ins französische Straßburg geflogen, dort wiederum für die
Dauer der Trauerfeier aufgebahrt, später auf ein Schiff geladen und den
Rhein hinaufgefahren würde, um in Speyer schließlich die letzte Ruhe zu
finden?)
Nun jedenfalls stehen Wahlen an, und so darf ein bisschen Wahlhilfe für die
CDU nicht fehlen. „Bundeskanzlerin Angela Merkel buchstabiert unser Land“
ist die Zeile. Darunter liest man nicht etwa die acht Buchstaben, aus denen
„Sie kennen mich“ besteht. Sondern, dass Merkel mit dem Buchstaben D „Dua…
Berufsausbildung, Dialekte, dichte Fenster“ verbindet, wenn sie an
Deutschland denkt.
H steht für „Heimat, Handwerk, Hausmannskost, helau und alaaf, Hochdeutsch,
Hefeteig“. Nur Helmut fehlt. Gut so. Denn auch wenn der eher ein
gemütlicher Typ war – angesichts solch unverhohlen schunkeliger
Inhaltsleere würde er sich ganz bestimmt schämen.
Ich widme den heutigen Roten Faden also Bild, denn ohne sie (ihn? es?) wäre
speziell diese Woche furchtbar eintönig geblieben. Herzlichen Glückwunsch!
24 Jun 2017
## AUTOREN
Johanna Roth
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