# taz.de -- Kommentar Schleierfahndung: Zwischen Praxis und Gesetz | |
> Das Problem verdachtsunabhängiger Polizeikontrollen muss sachlich | |
> diskutiert werden. Stattdessen verflacht die Debatte im Wahlkampf. | |
Bild: Freund der Überwachung: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann | |
Bei der Innenministerkonferenz in Dresden soll auch über die | |
[1][Schleierfahndung] gesprochen werden. Bayerns Innenminister Joachim | |
Herrmann hat gefordert, dass auch Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen | |
die Schleierfahndung einführen sollen, sonst bestehe eine „eklatante | |
Sicherheitslücke“. | |
Es geht also nicht um ein Bundesgesetz, sondern um Landesgesetze in nur | |
drei Bundesländern. Und dabei ist natürlich bemerkenswert, dass die | |
Forderung nach Bundeseinheitlichkeit ausgerechnet aus Bayern kommt – wo man | |
sonst soviel Wert auf Eigenständigkeit der Länder legt. | |
Aber die Diskussion zeigt auch, dass es nicht mehr um eine fachliche | |
rechtspolitische Diskussion geht, sondern nur noch um abstrakte | |
Bekenntnisse im beginnenden Bundestagswahlkampf: Bist Du für oder gegen | |
Schleierfahndung? | |
Die Verflachung der Diskussion beginnt schon mit dem unklaren Gebrauch des | |
Wortes „Schleierfahndung“. Ursprünglich ging es um anlasslose | |
Polizeikontrolle in Grenznähe. Als Ersatz für den Wegfall der | |
EU-Binnengrenzen darf zum Beispiel die Bundespolizei in einem Korridor von | |
30 Kilometern jenseits der Grenze jeden anhalten und nach seinen Papieren | |
fragen. Bayern hat dies auch seiner Landespolizei erlaubt, andere Länder | |
wie Rheinland-Pfalz halten das nicht für erforderlich. | |
## Unterschiedliche Konstellationen | |
Nun wird aber auch von Bremen und Berlin die Einführung der | |
Schleierfahndung gefordert, die ersichtlich keine Grenzen zu anderen | |
EU-Staaten haben. Es geht inzwischen also offensichtlich um die generelle | |
Möglichkeit zu verdachtsunabhängigen Kontrollen, die es zum Beispiel auch | |
in Rheinland-Pfalz gibt. Deshalb wird Rheinland-Pfalz trotz fehlender | |
Schleierfahndung von Herrmann nicht angegriffen. | |
Was aber ist inhaltlich von der Forderung nach „Schleierfahndung“ zu | |
halten? Und sind solche verdachtsunabhängige Kontrollen auch rechtlich | |
zulässig? Dabei sind drei Konstellationen zu unterscheiden. | |
Die eigentliche Schleierfahndung in Grenznähe ist nur zulässig, solange sie | |
nicht den Charakter von systematischen Grenzkontrollen hat. Sonst wäre der | |
Sinn von offenen EU-Grenzen faktisch ausgehebelt. Die EU-Kommission hatte | |
bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. | |
Dieses wurde im Februar 2017 jedoch eingestellt, nachdem die | |
Bundesregierung im Anwendungserlass zum Bundespolizeigesetz klarstellte, | |
dass die Schleierfahndung „unregelmäßig“ ist und „nicht die gleiche Wir… | |
wie Grenzübertrittskontrollen“ haben darf. | |
## Racial profiling findet statt | |
Außerdem darf die Bundespolizei und die Landespolizei in vielen Ländern | |
auch auf wichtigen Verkehrswegen oder generell im öffentlichen Raum | |
verdachtsunabhängig kontrollieren, um Straftaten und andere Gefahren zu | |
verhindern. Hier wird von Kritikern die Gefahr gesehen, dass Racial | |
Profiling stattfindet. Das ist aber eher ein Problem der Praxis als des | |
Gesetzes. | |
Die Polizei weist von sich, dass sie nur nach der Hautfarbe gehe. Racial | |
Profiling wäre hier auch eindeutig rechtswidrig. Stattdessen stellt die | |
Polizei auf Lagebilder und polizeiliches Erfahrungswissen ab. Wenn es viele | |
Einbrüche durch reisende osteuropäische Banden gibt, dann will sie einen | |
„osteuropäisch aussehenden“ Mann, der spähend durch ein | |
Einfamilienhaus-Viertel läuft, kontrollieren können. | |
Völlig anlasslos agiert die Polizei hier nicht. Die Kontrolle aller | |
vermeintlichen Osteuropäer in einer Fußgängerzone ließe sich so aber nicht | |
rechtfertigen. Vermutlich wird auch die in der neuen schwarz-gelben | |
NRW-Koalition vereinbarte „strategische Fahndung“ auf eine solche | |
Unterscheidung hinauslaufen. | |
## Rassismus hoffähig gemacht | |
Eindeutig am problematischsten sind verdachtsunabhängige Kontrollen zur | |
Verhinderung und Aufdeckung unerlaubter Einreise, wie sie zum Beispiel der | |
Bundespolizei erlaubt ist. Hier wird nun wirklich nach Äußerlichkeiten | |
kontrolliert und in aller Öffentlichkeit der Rassismus hoffähig gemacht. | |
Auch wer als Deutscher geboren wurde oder längst eingebürgert ist, muss | |
sich wegen seines „untypischen“ Aussehens im Zug immer wieder kontrollieren | |
lassen. | |
Das signalisiert allen Beteiligten faktisch immer wieder, wie ein | |
„typischer Deutscher“ auszusehen hat und wer eben nicht selbstverständlich | |
dazu gehört. Der Schaden für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist viel | |
höher als der etwaige polizeiliche Nutzen. Zumindest diese Art der | |
anlasslosen Kontrolle gehört abgeschafft. Aber darüber wird bei der | |
Innenministerkonferenz leider nicht diskutiert. | |
13 Jun 2017 | |
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[1] /Forderung-vor-Innenministerkonferenz/!5419644 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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