# taz.de -- Erste UN-Meereskonferenz: Ozeane rauschen SOS | |
> Schrumpfende Fischbestände, Plastikmüll, Versauerung: Die Ozeane sind in | |
> Gefahr. Können die Vereinten Nationen sie retten? | |
Bild: Der sichtbare Müll ist nicht einmal der schlimmste. Die Hauptgefahr geht… | |
STOCKHOLM taz | „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger auf dem Planeten Meer.�… | |
Mit dieser Begrüßung hatte die grüne EU-Parlamentsabgeordnete Isabella | |
Lövin vor dreieinhalb Jahren eine Rede vor Schwedens Königlicher | |
Wissenschaftsakademie eingeleitet. Sie warf die Frage auf, ob es nicht | |
angebracht wäre, die Erde besser nach den 72 Prozent ihrer Oberfläche zu | |
benennen, die sie zum blauen Planeten macht, als nach den 28 Prozent Grün | |
und Braun. | |
Vielleicht könne das ja „einen Tropfen mehr“ an Bewusstsein dafür schaffe… | |
wie zentral die Meere für das Überleben der Menschheit seien. | |
Lövin ist mittlerweile Co-Vorsitzende der grünen Miljöpartiet und | |
schwedische Ministerin für Klima und internationale | |
Entwicklungszusamenarbeit. Sie war sie federführend verantwortlich für die | |
Vorbereitung der [1][UN-Meereskonferenz], die auf Initiative Schwedens und | |
der Fidschi-Inseln von Montag bis Freitag dieser Woche in New York | |
stattfindet. | |
## Gemeinsames Erbe der Menschheit | |
Thema des Treffens unter Regie der Vereinten Nationen ist die Umsetzung des | |
[2][UN-Nachhaltigkeitsziels Nummer 14]: Es fordert die Bewahrung und | |
nachhaltigen Nutzung der Ozeane, Meere und maritimen Ressourcen und gehört | |
zu den siebzehn sogenannten Sustainable Development Goals, kurz: SDG, auf | |
die sich die 193 Staaten in der UN-Generalversammlung 2015 im Rahmen der | |
Agenda 2030 geeinigt hatten. | |
Die Konferenz in New York ist nicht nur die erste über die Umsetzung eines | |
dieser Agenda-2030-Ziele, sondern auch die erste große UN-Konferenz, die | |
sich ausschließlich den Ozeanen widmet. | |
Das sei auch an der Zeit, meint Lövin: „Wir dürfen keinen Tag mehr | |
verlieren.“ Ein lebendiges Meer sei „entscheidend für die Entwicklung der | |
Welt“. Bei den bisherigen Klimadiskussionen sei das viel zu wenig Thema | |
gewesen. Die Länder der Welt müssten nun beweisen, dass sie an einem Strang | |
ziehen könnten, erklärte auch Jan Eliasson, ehemaliger stellvertretender | |
UN-Generalsekretär auf einer Vorbereitungstagung in der vergangenen Woche | |
in Stockholm: „Globale, nationale und lokale Probleme sind miteinander | |
verwoben. Ebensowenig wie es beim Klima oder bei Migrations- und | |
Flüchtlingsfragen nationale Lösungen gibt, gibt es sie beim Meer. | |
Gemeinsamkeit ist das wichtigste Wort.“ | |
Dem Meer, das die Vereinten Nationen als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ | |
definiert haben, geht es nicht gut. Oder mit den Worten von Johan | |
Rockström, Leiter des Stockholm Resilience Centre und Träger des Deutschen | |
Umweltpreises 2015: „Die Ozeane, ein Rettungsanker der Menschheit, sind | |
jetzt, wo wir sie mehr denn je brauchen, in einem schlechteren Zustand als | |
je zuvor.“ | |
## Mehr Mikroplastik als Tierplankton | |
Tatsächlich entwickelt sich der Zustand der Ozeane seit Jahrzehnten in die | |
falsche Richtung. Die Zerstörung von Lebensräumen und der Artenvielfalt | |
setzt sich fort. Fischbestände sind geschrumpft und teilweise ganz | |
verschwunden, schätzungsweise jeder fünfte Fisch wird illegal gefangen. | |
Bald wird es mehr Mikroplastik als Tierplankton in den Meeren geben. Es ist | |
kaum noch eine Meeresregion zu finden, in die sich alle möglichen | |
Umweltgifte noch nicht über Strömungen verteilt haben. | |
Und: Die Ozeane spielen eine wesentliche Rolle zur Verlangsamung des | |
Klimawandels. Dass sie als „Lungen der Erde“ CO2 absorbieren hat aber | |
seinen Preis: Das Meer ist jetzt 30 Prozent saurer als zu vorindustriellen | |
Zeiten und diese zunehmende Versauerung bedroht alle kalkskelettbildenden | |
Lebewesen. Zusammen mit der Erwärmung der Meere ändert sich die Biochemie | |
der Ozeane. Und damit ändern sich die Lebensbedingungen aller dortigen | |
Organismen in einem geradezu dramatischem Tempo. | |
Alarmsignale existieren schon eine Weile und an internationalen Abkommen | |
mangelt es eigentlich auch nicht – in Form von Seerechts- und | |
Fischbestandkonventionen, Übereinkommen zum Schutz der biologischen | |
Vielfalt, internationer Gerichtsbarkeit oder überstaatlichen Organen. Doch | |
gründen diese alle mehr oder weniger auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und | |
mit der Umsetzung hapert es. „Für die Ozeane sind alle verantwortlich und | |
niemand“, kritisiert Lövin: „Würden auf dem Land die Plastikmüllberge je… | |
Jahr um Millionen Tonnen wachsen und nicht im Meer, wäre schon längst etwas | |
geschehen. Der politische Wille war bislang aber nicht stark genug. Wir | |
brauchen mehr internationale Zusamenarbeit, um Druck auf alle Akteure | |
aufbauen zu können.“ | |
Um den Plastikmüll soll es auch in New York gehen. Weitere | |
Tagesordnungsthemen reichen von den vielfältigen Auswirkungen des | |
Klimawandels bis zur Rolle der Ozeane als nachhaltige Erwerbs- und | |
Nahrungsquelle. Es gibt Veranstaltungen beispielsweise zu | |
Finanzierungsfragen maritimer Wirtschaftszweige für kleine Inselnationen | |
und Paneldebatten, wie Frauen und Mädchen besser für die Meeresforschung | |
gewonnen werden können. | |
Auf der Konferenz soll zusammengefasst werden, was genau die Bedarfe sind | |
und zu was sich die einzelnen Staaten, aber auch Organisationen, | |
ökonomische Akteure und Initiativen bereit erklärt haben, um die Umsetzung | |
des Nachhaltigkeitsziels 14 voranzubringen. Vorbereitet ist eine gemeinsame | |
politische Erklärung. „Drastische Massnahmen“ brauche es, fordert Peter | |
Thompson, der Vorsitzende der UN-Generalversammlung, dessen Heimat Fidschi | |
ebenso wie andere Südseeinseln existenziell vom Anstieg des Meeresspiegels | |
betroffen ist: „Kümmern wir uns nicht jetzt um die Ozeane, setzen wir uns | |
selbst einem Druck aus, der immer gewaltiger werden wird“. | |
Frode Pleym, Chef von Greenpeace-Schweden, ist skeptisch: Wie Schweden und | |
die EU mit Nachhaltigkeitszielen umgingen, die allein in ihrer eigener | |
Verantwortung stünden – „Stichwort: Überfischung, Artenschutz, Ausweisung | |
von Schutzgebieten in der Ostsee“ – und regelmäßig scheiterten, könne man | |
nicht sehr optimistisch sein. Auch in Stockholm und Brüssel würden nur | |
allzuoft kurzfristige Profitziele über ökologische Belange gestellt. | |
Könnten sich nicht einmal EU-PolitikerInnen angesichts kollabierender | |
Fischbestände auf wirksame Maßnahmen einigen, „beweisen sie, dass sie den | |
Ernst der Lage noch längst nicht begriffen haben“. | |
Lövin versteht solche Skepsis und ist selbstkritisch: „Wir haben keine | |
perfekten Lösungen.“ Man dürfe sich auch nicht davon entmutigen lassen, | |
wenn der Zeitplan bei bisherigen Übereinkommen nicht eingehalten worden | |
sei. Und die beim „Meeresziel“ seien sehr ehrgeizig. Es gelte täglich neu | |
anzufangen und sich den Herausforderungen zu stellen: „Vor allem jetzt, wo | |
Washington sich offensichtlich aus der Verantwortung stehlen will, müssen | |
wir Länder mit ambitiösen Zielen die Führung übernehmen.“ | |
6 Jun 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://oceanconference.un.org/ | |
[2] http://www.undp.org/content/undp/en/home/sustainable-development-goals/goal… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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