| # taz.de -- Kommentar zu 10 Jahren Linkspartei: Die Gelähmten | |
| > Ein Jahrzehnt nach ihrer Gründung ist die 8-Prozent-Partei erstarrt: in | |
| > Empörungsroutinen und unterdrückten Flügelkämpfen. | |
| Bild: Von links nach rechts: Katja Kipping, Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht … | |
| Das Gesicht der Linkspartei ist Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Die | |
| Öffentlichkeit hat sich daran gewöhnt, die Partei auch. In der | |
| Flüchtlingsdebatte brachte Wagenknecht es fertig, ohne Anhang in der Partei | |
| und in krassem Widerspruch zum eigenen Programm Merkel von rechts | |
| anzugreifen. | |
| Trotzdem bestimmt sie als unangefochtene Takt- und Stichwortgeberin die | |
| Agenda der Partei. Katja Kipping und Bernd Riexinger, die Parteispitze, | |
| haben es in fünf Jahren nicht geschafft, über das Moderieren hinaus ein | |
| eigenes Machtzentrum zu etablieren. | |
| Kofraktionschef Dietmar Bartsch, Kopf der Reformer, hat viel damit zu tun, | |
| die Scherben zu beseitigen, die bei Wagenknechts Egotrips mitunter | |
| zurückbleiben. Was die Linkspartei bei Wagenknecht durchwinkt, hätten sich | |
| noch nicht mal die Grünen von Joschka Fischer bieten lassen. | |
| Warum ist das so? Jeder Versuch, der linken Frontfrau wirksam Kontra zu | |
| geben, würde den sorgsam stillgelegten Grundkonflikt sichtbar werden | |
| lassen. Will man eine linkspopulistische Protestpartei mit eingebautem | |
| Abstandhalter gegen die bundesdeutsche Demokratie sein – oder eine | |
| linkssozialdemokratische Reformpartei? | |
| ## Stabilität geht vor – ein recht deutsches Verhaltensmuster | |
| Derzeit verbrennt die Partei viel Energie damit, dieses Feuer auszutreten. | |
| Auch der sich endlos im Kreis drehende Streit, ob man mit SPD und Grünen | |
| eventuell regieren wollen würde, ist nur vor diesem Hintergrund | |
| verständlich. Regieren oder opponieren ist eben keine pragmatisch | |
| aushandelbare Entscheidung, sondern eine, bei der es um alles geht – das | |
| Selbstverständnis der Partei. | |
| Wer die nur als ewige Opposition gegen System und Kapitalismus denkt, dem | |
| muss regieren als Verrat erscheinen. Die Reformer hofften einst, dass sich | |
| der Verbalradikalismus im Westen schon irgendwie geben würde. Wer sich im | |
| Stadtrat um Kitas und Radwege kümmert, verliert die Lust an Fensterreden. | |
| Doch dieser Prozess dauert offenbar etwas länger als erwartet. | |
| Seit dem Burgfrieden zwischen Bartsch und Wagenknecht, dem Bündnis zwischen | |
| Reformern und Fundis, sind alle Konflikte zugepflastert. Stabilität geht | |
| vor – ein recht deutsches Verhaltensmuster. Vor Wahlen ist Disziplin | |
| sowieso erste Genossenpflicht. Mit Schrecken denken alle Flügel an | |
| Göttingen 2012. Alles besser als Spaltung. | |
| Doch das bremst die Vitalität gehörig. Die Linkspartei bleibt derzeit unter | |
| ihren Möglichkeiten. Eigentlich gäbe es angesichts der in die Mitte | |
| strebenden Grünen und der unsicher wirkenden Sozialdemokraten Raum für eine | |
| entschlossene egalitäre, undogmatische Kraft. | |
| ## Das kreative Zentrum der Partei ist gelähmt | |
| Doch die 8-Prozent-Partei kultiviert einen kuriosen moralischen | |
| Alleinvertretungsanspruch für das Volk und ist in Empörungsroutinen | |
| erstarrt. Solange sie den Eindruck vermittelt, dass ihr Rechthaberei | |
| wichtiger ist als politische Erfolge, ist sie unattraktiv für alle, die | |
| sich nach entschlossener linksliberaler, egalitärer Realpolitik sehnen. | |
| Wagenknechts überlebensgroße Rolle ist nur eine Seite der inneren | |
| Selbstblockade des politikfähigen Teils der Partei. Die kreative Fraktion | |
| der Reformer um Jan Korte und Stefan Liebich ist seit Jahren mit Katja | |
| Kipping und deren schmalem Anhang über Kreuz. Politisch ticken Reformer und | |
| Kipping in vielem ähnlich. Doch es gibt viele nie vernarbte Wunden aus | |
| vergangenen Machtscharmützeln. So ist das kreative Zentrum der Partei | |
| gelähmt. | |
| Es müsste Kipping, die Antennen ins grüne Milieu hat, ebenso umfassen wie | |
| pragmatische Westlinke, die sich von der Hassliebe zur SPD befreit haben, | |
| und jenen Teil der Ostreformer, die mehr wollen als bloß Apparate | |
| verwalten. Ein solches Bündnis könnte den Beton aufsprengen – und | |
| politikunfähige Fundis vertreiben. | |
| Die derzeit gusseisern wirkende Bartsch-Wagenknecht-Connection ist nicht | |
| die Lösung des Problems der Linkspartei, nur dessen Vertagung. Laut zu | |
| sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat. In der Linkspartei wird | |
| dieser Satz von Ferdinand Lassalle gern mit pathetischem Timbre zitiert. | |
| Man kann ihn auch mal auf sich selbst anwenden. | |
| 10 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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