# taz.de -- Parteitag der Linken in Hannover: Mehr Mut, Genossen! | |
> Auf dem Parteitag setzen sich EU-Kritiker und Russlandfreunde durch. | |
> Gregor Gysi warnt vor einem Zurück zum Nationalstaat. | |
Bild: Der elder statesman spricht | |
HANNOVER taz | Seine Reden liest Gregor Gysi normalerweise nicht vom Blatt | |
ab und wenn, dann nur wenn ihm etwas besonders wichtig ist. Als er am | |
Samstag auf dem Bundesparteitag der Linkspartei zum Thema Europa sprach, | |
las er ab. | |
In einer für Gysis Verhältnisse kurzen und sehr nachdenklichen Rede warnte | |
er die Genossen vor einem „Zurück zum alten Nationalstaat“. „Diese | |
Forderung ist rechts, sogar extrem rechts“, sagte der ehemalige | |
Fraktionsvorsitzende, der seit Herbst Präsident der Europäischen Linken | |
ist. „Wir wollen progressiv sein. Und eine Haltung nach dem Muster „Früher | |
war alles besser“ passt einfach nicht zu unserer Einstellung“ | |
Gysi warb bei seinen Genossen dafür, sie sollten den Mut haben, „vom | |
Kritiker der heutigen EU zum Gestalter einer anderen, einer besseren EU“ zu | |
werden. | |
In der anschließenden Debatte um die EU fehlte es den meisten Delegierten | |
allerdings am Mut oder am Willen eingeübte Positionen in Frage zu stellen. | |
Die Mehrheit sprach sich gegen einen Antrag aus den Ostverbänden aus, dass | |
die Partei die linke Vision einer „Republik Europa“ mit gleichen sozialen | |
Standards und einer einheitlichen Rechtssprechung in ihr Wahlprogramm | |
aufnimmt. Stattdessen wurde die Kritik an der EU noch ein wenig geschärft. | |
## Generationenkonflikt | |
Dass sich die Linkspartei auf ihrem Parteitag so intensiv mit dem Thema | |
Europa auseinandersetzt, war ursprünglich in dieser Form nicht geplant. Der | |
Parteivorstand hatte schon im Vorfeld versucht, den schwelenden Streit | |
zwischen innbrünstigen Kritikern und „glühenden Europäern“ (Katja Kippin… | |
zu entschärfen und im Wahlprogramm einerseits deutliche Kritik an der EU zu | |
üben und andererseits die europäische Integration als positiv zu loben. | |
Immerhin hat man sich auch dazu durchgerungen, zu betonen, „dass ein | |
Scheitern der EU dem Nationalismus in Europa massiven Auftrieb geben | |
würde.“ Ein Achtungserfolg der Reformer. | |
Wulf Gallert, einer der Initiatoren des Antrags für eine „Republik Europa“, | |
der in Sachsen-Anhalt für die Linkspartei das Amt des Landtagsvizes | |
bekleidet, hatte zuvor auf den Gängen des Kongresscenters dafür geworben, | |
dass die Linke deutlich klarmacht: „Wir wollen nicht zurück zum | |
Nationalstaat und zur D-Mark. Sonst sind wir zu verwechselbar mit der AfD. | |
“ Damit setzte er sich bei den EU-Kritiker im Parteivorstand nicht durch, | |
doch immerhin mündete der Dissenz in einer 30-minütigen Debatte. Diese war | |
zu kurz um die grundlegenden und ritualisierten Dissenzen zu glätten, aber | |
es wurde deutlich, dass gerade jüngere Parteimitglieder nicht mehr gewillt, | |
sind die EU so schwarz zu sehen, wie Teile der Linkspartei sie malen | |
wollen. | |
Gallert wirbt dafür, dass die Linkspartei ihr Verhältnis zur EU rasch | |
klärt: „Die EU-Politik spielt längst eine so große Rolle im | |
Bundestagwahlkampf, dass man diese Frage nicht mehr offen lassen kann“, | |
sagte er der taz. | |
## Die Krim ist – russisch | |
Auch in Sachen Russland sind die Linkspartei-Delegierten zum großen Teil im | |
20 Jahrhundert stehen geblieben: Der Westen ist Aggressor, | |
Russland,schützenswertes Opfer. So sieht die hermetische mentale Landkarte | |
von relevanten Teilen der Linkspartei aus, durchaus im Widerspruch zu einer | |
Wirklichkeit, in der Russland ein Land is, in dem Manchesterkapitalismus | |
regiert. | |
Am Samstagnachmittag, dem Tiefpunkt des Parteitag, bringt das fds, die | |
Organisation des Reformerflügels, den Antrag: XIV-3283 ein. „Deshalb | |
verurteilen wir auch die völkerrechtswidrige Annektion der Krim durch | |
Russland und den Krieg in der Ostukraine.“ Keine Chance. Der Antrag wird | |
mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Das stehe doch sowieso im | |
Wahlprogramm, so das Argument der linken Linken. Doch so ist es nicht: Im | |
Leitantrag finden sich zwar gepfefferte Kritik an der Nato, doch kein | |
kritisches Wort über die neoimperiale Politik Russlands. Mit dem Image der | |
Friedens- und Menschenrechtspartei verträgt sich das kaum. | |
Ansonsten gelingt es der Parteiführung, den Ball flach und alles offen zu | |
halten. Es scheiter auch der Versuch des linken Flügels, das Nein zu | |
Kampfeinsätzen zu einem generellen Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr | |
zu verschärfen. Dies wäre das Ende jeder auch nur vagen Hoffnung auf | |
Rot-Rot-Grün gewesen. Der linke Flügel bringt in solche Richtungsfragen | |
etwa ein Drittel der Delegierten hinter sich – mehr nicht. | |
Parteichef Bernd Riexinger greift die SPD zwar an, aber mit | |
Samthandschuhen. Schulz habe die Hoffnungen auf mehr sozialen Gerechtigkeit | |
enttäuscht, so Riexinger. Fraktionschef Dietmar Bartsch hält eine für seine | |
Verhältnisse leidenschaftliche Rede – und bekommt viel Beifall. Tenor: | |
Streit über die Regierung oder Opposition bringt nichts. Und Gegner sind | |
Merkel und Lindner. Das ist nicht unbedingt originell, aber die klare | |
Ansage steht: Zwischen Reformer und Linke soll bis zum 24. September kein | |
Blatt Papier passen. | |
10 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Stefan Reinecke | |
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