# taz.de -- Karriere der Linken-Parteichefin Kipping: Katja und die Jugendbriga… | |
> Sie verdankte ihren Aufstieg zur Chefin der Linkspartei einem Netzwerk | |
> aus den Anfangsjahren. Manch alte Freunde hat die Sächsin enttäuscht. | |
Bild: Das ist 1999. Vorne von links: Falk Neubert, Katja Kipping, Heike Werner,… | |
BERLIN/DRESDEN/HANNOVER taz | Hannover, 9. Juni 2017, 23.30 Uhr. Der erste | |
Tag des Parteitages der Linken in der Niedersachsenhalle ist zu Ende | |
gegangen. Die beiden Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch und Sahra | |
Wagenknecht sind längst verschwunden, Parteichef Bernd Riexinger hat sich | |
nach dem offiziellen Teil verabschiedet. Katja Kipping aber hat sich eine | |
Weißweinschorle geholt und ist, nach einem erfolglosen Versuch, einen | |
Genossen zur Hebefigur in „Time of my life“ zu bezirzen, mit Falk Neubert, | |
Caren Lay und Stefan Hartmann auf die Tanzfläche gezogen. | |
Das ist die Stunde von Parteichefin Katja Kipping und ihren Freunden, die | |
den Tanzabend jedes Jahr gegen diejenigen verteidigen, die noch mehr Zeit | |
für Antragsberatungen wollen. Die Jugendbrigade ist wieder vereint. Fast. | |
Die Jugendbrigade, anfangs eine Spottbezeichnung alter PDS-Kader, bestand | |
einst aus einem knappen Dutzend junger PDS-Genossen aus Sachsen, die um die | |
Jahrtausendwende die Partei aufmischten. Für sie gehörte zum Sozialismus | |
Freiheit, und zur Politik Spaß. Einst schworen sie sich, gemeinsam für ihre | |
Ideen zu kämpfen: Es sollte keine Geheimnisse geben, politische Manöver | |
wurden zusammen besprochen. Vertrauen hielt die Gruppe zusammen. | |
Die Jugendbrigade, das waren Falk Neubert, damals jugendpolitischer | |
Sprecher der sächsischen PDS, Stefan Hartmann, Wahlkämpfer für den | |
Leipziger Oberbürgermeisterkandidaten und die jungen Talente Heike Werner, | |
Caren Lay, Sebastian Scheel, Michael Leutert und Katja Kipping. Sie sind | |
jetzt Ende 30 bis Anfang 50 und gehören zum pragmatischen, zum | |
Reformerflügel der Linkspartei. Viele besetzen Schlüsselpositionen. | |
Sebastian Scheel ist Berliner Staatssekretär für Wohnen, Heike Werner | |
Sozialministerin in Thüringen. Hartmann ist stellvertretender sächsischer | |
Landesvorsitzender, Lay und Leutert Bundestagsabgeordnete. Und Katja | |
Kipping ist seit fünf Jahren Vorsitzende der Linkspartei. Ihr Aufstieg wäre | |
ohne die Jugendbrigade nicht möglich gewesen. | |
Heute machen die Gründungsmitglieder der Jugendbrigade nicht nur | |
miteinander Politik, sondern auch gegeneinander. Einer für alle, alle für | |
einen – dieser Schwur gilt nicht mehr. | |
„Wir grüßen uns heute kaum noch“, sagt Michael Leutert. „Die Katja Kipp… | |
von heute hat nichts mehr gemein mit der Katja, die ich mal kannte.“ | |
Michael Leutert, blaue Augen und kantiges Kinn, ist Bundestagsabgeordneter. | |
Er hütet heute seine Tochter und ist mit Spielzeugschaufel und Eimer zum | |
Gespräch an einem Sandkasten in Berlin-Wilmersdorf gekommen. | |
Glückliche Jugendjahre | |
Die Geschichte der Jugendbrigade ist mehr als nur die Geschichte eines | |
erfolgreichen Netzwerkes. Netzwerke basieren auf gegenseitigem Nutzen. Aber | |
die Jugendbrigade – das waren Freunde. Und so erzählt ihre Geschichte etwas | |
über Freundschaft und Vertrauen in der Politik. Beides muss man pflegen, | |
beides kann kaputt gehen. | |
Katja Kipping sitzt im Speisewagen des Zuges nach Dresden. Ihren | |
silberfarbenen Blouson hat sie anbehalten. Sie bestellt ein Kännchen Kaffee | |
und ein Prager Omelett, „ohne Schinken, bitte.“ In Dresden wird sie die | |
Lesung einer Parteifreundin moderieren, auch sie war mal in der | |
Jugendbrigade. Für Kipping ist die Fahrt nach Dresden auch eine Heimkehr in | |
die Geburtsstadt und die politische Heimat. | |
Dresden Anfang der 90er Jahre. Katja Kipping ergeht es wie vielen | |
Jugendlichen, die in der DDR noch Jungpioniere waren und in der | |
Bundesrepublik erwachsen wurden. Plötzlich war da ganz viel Raum zum | |
Ausprobieren. | |
Die Wendezeit, erzählt Kipping, sei für sie eine glückliche Zeit gewesen: | |
„Weil ich erlebt habe, wie schnell sich Dinge verändern können.“ Anders a… | |
vielen ihrer ostdeutschen Wähler ist ihr ein ostalgisches Schwelgen in | |
DDR-Erinnerungen fremd. Ihr Teenieidole waren nicht Gojko Mitic oder Täve | |
Schur, sondern Milli Vanilli. | |
Erst Bildungsstreik, dann die PDS | |
1993, mit 15 Jahren, ist Katja Kipping parteipolitisch völlig offen. | |
Montags geht sie in die Schützengasse zur Grünen Liga, donnerstags trifft | |
man sie im Jugendzentrum Roter Baum. Im Pfingstlager in Löbau, das sie mit | |
Mitgliedern des Jugendzentrums besucht, läuft sie Falk Neubert über den | |
Weg, jugendpolitischer Sprecher der sächsischen PDS. „Sie dachte und redete | |
viel klarer als andere in ihrem Alter“, erinnert sich Neubert an die | |
Schülersprecherin Katja Kipping. | |
1997 schreibt sich Kipping an der TU Dresden für Anglistik, Slawistik und | |
Jura ein. Als sie ihre Einführungsveranstaltungen besucht, streiken die | |
Studenten für bessere Bildung. Und Kipping streikt statt zu studieren. Doch | |
schon in den Weihnachtsferien verpufft die Bildungsrevolution. Kipping ruft | |
Falk Neubert an. Sie will nachhaltig etwas verändern. 1998 tritt sie in die | |
PDS ein. | |
Ein Jahr später ist in Sachsen Landtagswahl. Die PDS, deren Wähler langsam | |
vergreisen, plant einen eigenen Jugendwahlkampf. Michael Leutert | |
organisiert ihn, der mit seinen 24 Jahren schon seit sieben Jahren Genosse | |
ist und in seiner Heimatstadt Mittweida einen Jugendverein betreibt, dem | |
die Nazis regelmäßig die Fenster einschlagen. Die jungen Wilden der | |
sächsischen PDS setzen durch, dass vier Kandidaten unter 30 Jahren auf | |
aussichtsreiche Listenplätze kommen – ein Putsch gegen die Alten. | |
Drei Plätze sind bereits gesetzt: Michael Leutert, Falk Neubert und die | |
Leipziger Studentenaktivistin Heike Werner. Nun wird noch eine Frau | |
gesucht. Neubert schlägt Kipping vor. | |
Wahlkampf mit VW-Bussen | |
In einem Café in der Nähe des Zwingers treffen sich Leutert, Neubert und | |
Kipping im Januar 1999. „Sie war anders, mit ihren roten Haaren und den | |
Tüchern im Haar. Sie war locker, sie wollte leben, sie wollte tanzen“, sagt | |
Michael Leutert. Er ist beeindruckt von der Frau mit dem Hippie-Touch, die | |
das alternative Dresden-Neustadt und nicht die barocke Altstadt verkörpert. | |
Kipping und Leutert werden ein Paar. Und Kipping U-30 Kandidatin auf der | |
Landesliste der PDS. | |
Mit zwei VW-Bussen voller Graffiti und einem roten Robur-Bus aus | |
DDR-Beständen ziehen die Wahlkämpfer durch Sachsen, trinken abends Bier und | |
übernachten in Schlafsäcken in den Geschäftsstellen der PDS. | |
Es sind krasse Zeiten: Die verfallenen Innenstädte werden mit | |
Soli-Milliarden herausgeputzt, doch viele Wohnungen bleiben leer und | |
Lehrstellen sind knapp. Wer eine Zukunft sucht, geht in den Westen. | |
Neonazis richten national befreite Zonen ein. | |
Wenn die Wahlkämpfer in den Städten und Dörfern haltmachen, drehen sie die | |
Musik auf und tanzen auf dem Dach des Robur-Busses. „Schachmatt – durch die | |
Dame im Spiel. Schachmatt – weil sie mir so gefiel“, singt Roland Kaiser. | |
Keiner weiß mehr so richtig, wie es der Schlager zur inoffiziellen | |
Wahlkampfhymne geschafft hat. Aber er passt irgendwie. Das Jahr 1999 ist | |
das Jahr, in dem die Parteikarriere der blutjungen PDS-Hoffnung Katja | |
Kipping Fahrt aufnimmt. | |
„Katja hat sich extrem eingebracht. Sie war ehrgeizig, im positiven Sinne, | |
sie wollte Dinge bewegen“, erzählt Falk Neubert, heute sächsischer | |
Landtagsabgeordneter, am Telefon. Auch andere aus der Jugendbrigade | |
beschreiben sie als umtriebig und fleißig. Als eine, die um vier Uhr | |
morgens aufsteht, um mit dem Zug nach Westdeutschland zu fahren und dort | |
vor gerade einmal 20 Leuten zum Grundeinkommen zu referieren. „Sie war | |
schon immer klar und gut organisiert. Sie wusste, was sie wollte“, erzählt | |
Heike Werner, die thüringische Sozialministerin. Sie ruft zwischen zwei | |
Terminen aus dem Auto an. | |
Bei der Landtagswahl im September 1999 holt die PDS 22 Prozent und wird die | |
mit Abstand stärkste Oppositionspartei. Katja Kipping, Falk Neubert und | |
Heike Werner ziehen in den Landtag ein. Michael Leutert verpasst den Einzug | |
knapp. Er wird später stellvertretender Landesparteivorsitzender der PDS. | |
Die Landtagsneulinge gründen den Arbeitskreis „Jugend und Zukunft“. Ältere | |
PDS-Kader taufen ihn bald spöttisch Jugendbrigade. Jetzt haben die Jungen | |
Wilden der sächsischen PDS einen Namen. Sie treffen sich in der Wohnküche | |
der WG, die Kipping und Leutert in der Dresdner Bürgerstraße bezogen haben. | |
Aber die Mitglieder teilen viel mehr als nur die Arbeit: Sie wohnen | |
zusammen, sie fahren zusammen in den Urlaub, einige haben Affären | |
untereinander. | |
Hinter den blau gestrichenen Fenstern in der Bürgerstraße geht es damals – | |
mit Tagesordnung und Rednerliste – um das Bedingungslose Grundeinkommen, | |
das Herzensthema der Gruppe, oder darum, wie man junge Leute an die Partei | |
bindet. Sie wollen die Partei öffnen und fordern eine Jugendquote auf | |
Wahllisten und in Vorständen, jeder Kreisverband soll einen Teil seines | |
Budgets für die Jugendarbeit reservieren. Auf dem Landesparteitag 1999 in | |
Schneeberg lehnt die PDS die Forderungen rundweg ab. Aber heute gibt es bei | |
der sächsischen Linkspartei einen Jugendkoordinator und einen eigenen Fonds | |
für Jugendarbeit. Und nach den Sitzungen ist Party. Schon damals. „Wir | |
haben den Laden damals aufgemischt – inhaltlich und vom Stil her“, sagt | |
Caren Lay, die 2000 als Mitarbeiterin zur sächsischen PDS-Fraktion und zur | |
Jugendbrigade stieß. Heute ist sie eine der engsten Vertrauten Kippings. | |
Die traditionell eingestellten PDSler nehmen die Junggenossen zunehmend als | |
Bedrohung wahr. Gegenseitig wird gespottet: Jugendbrigade gegen | |
„regierungsamtliche Verwaltungssozialisten“. | |
Vielleicht sind wir damals einen Tick zu arrogant aufgetreten“, meint | |
Kipping rückblickend. „Aber wir haben ja auch was bewegt.“ Sie sagen der | |
Piefigkeit der PDS den Kampf an. „Als ich eingetreten bin, herrschte dort | |
eine Atmosphäre, in der Kartoffelsalat und Bockwurst das Dominante waren“, | |
erzählt Kipping. Inzwischen herrsche ein anderer kultureller Geist. Es gibt | |
jetzt frisches Obst auf jeder Vorstandssitzung. | |
## 2002 ist ein Desaster | |
Andere Relikte halten sich bei der Linken hartnäckiger. Noch immer schafft | |
es die Partei nicht, ihre linientreue Solidarität mit Autokratien wie | |
Russland oder Venezuela kritisch zu hinterfragen. Auf dem Parteitag im Juni | |
findet ein Antrag, der die völkerrechtswidrige Annexion der Krim | |
verurteilt, keine Mehrheit, dafür beschwören die Genossen Solidarität mit | |
Venezuela, wo Präsident Maduro gerade Demonstranten niederschießen lässt. | |
Auch das Bedingungslose Grundeinkommen, Kippings Steckenpferd, wird von den | |
gewerkschaftsnahen Linken bis heute erfolgreich sabotiert. | |
Im Zug nach Dresden kommt Kippings Omelett – mit Schinken. „Ich wollte doch | |
ohne …“, sagt Kipping, lächelt sanft und schafft es, nett und nicht | |
nörgelig zu klingen. Der Kellner im Speisewagen nimmt den Teller zurück und | |
verspricht, ein neues zu bringen. | |
Die Bundestagswahl 2002 ist für die PDS ein Desaster. Mit gerade einmal 4 | |
Prozent verpasst die Partei den Einzug in den Bundestag und darf nur zwei | |
Abgeordnete auf Direktmandat entsenden. Petra Pau und Gesine Lötzsch müssen | |
auf Extrastühlen ganz hinten an der Wand sitzen. | |
Ein knappes Jahr später wird ein neuer Parteivorstand gewählt. Er soll die | |
Blamage aufarbeiten. Sachsen hat Anspruch auf einen Stellvertreterposten. | |
Die sächsische PDS schlägt Katja Kipping vor – die vorzeigbar, redegewandt | |
und jung ist. So viele Funktionäre mit diesen Attributen hat die PDS nun | |
auch wieder nicht. | |
Kipping bespricht die Sache bei einem Spaziergang an der Elbe mit ihrem | |
damaligen Partner Michael Leutert, der ebenfalls als Parteivize im Gespräch | |
war. „Mach das“, rät ihr Leutert. Und Kipping macht. Sie wird 2003 mit 25 | |
Jahren stellvertretende Parteivorsitzende der PDS. Der Spiegel nennt sie | |
„Jeanne d’Arc der Linken“. | |
Zwei Jahre später zieht sie in den Bundestag ein, 2007 wird sie | |
stellvertretende Parteivorsitzende der mit der WASG zur Linken vereinten | |
Partei. Ihre Karriere fügt sich wie eine Patience, die aufgeht. Um kein Amt | |
muss sie kämpfen, sie scheint überall gesetzt. | |
Bis zum Jahr 2012. | |
Die Linkspartei ist fünf Jahre nach Gründung grandios zerstritten, die | |
Alpha-Männchen der Partei Oskar Lafontaine und Gregor Gysi rettungslos | |
verfeindet. Auf dem Parteitag in Göttingen soll eine neue Doppelspitze | |
gewählt werden. Die ostdeutschen Reformer wollen Dietmar Bartsch ins Rennen | |
schicken. Doch zehn Tage vor dem Parteitag meldet Katja Kipping ihre | |
Kandidatur an und sabotiert damit indirekt Bartsch. Gemeinsam mit der | |
NRW-Vorsitzenden Katarina Schwabedissen will sie eine weibliche | |
Doppelspitze bilden. | |
Sie habe sich nicht mit der Rolle der bloßen Unterstützerin männlicher | |
Machtansprüche abfinden wollen, erläutert Kipping im Speisewagen ihre | |
damaligen Beweggründe. Für viele Reformer, auch für manche aus der | |
Jugendbrigade, kommt Kippings Zug einem Verrat gleich. | |
„Das Vertrauen ist flöten gegangen, als sie gegen Bartsch antrat“, sagt | |
Stefan Hartmann. Früher planten sie in der Jugendbrigade ihre Karrieren | |
gemeinsam – doch das Manöver auf dem Parteitag traf ihn unvorbereitet. Seit | |
dem Göttinger Parteitag zähle er sich nicht mehr zu Kippings Vertrauten, | |
sagt Hartmann: „Damals hat sich Katja andere Partner gesucht. Bedeutendere | |
als mich.“ Kipping orientierte sich damals weg von der Landespolitik und | |
suchte sich Netzwerke auf Bundesebene. | |
Hartmann sitzt in einem Café in der Nähe des Bundestags, direkt an der | |
Spree. Seine kleine Tochter , auf die er aufpasst, ist mit einem Eisbecher | |
beschäftigt. | |
War Katja Kipping schon immer machtbewusst? „Absolut“, sagt Hartmann und | |
nickt zu jeder Silbe. Er bezeichnet sie als kluge Machiavellistin. Aber er | |
nehme ihr das nicht übel. „Das ist nur schlimm, wenn man Politik als | |
Ponyhof begreift. Aber man kann nicht Parteichefin und Hippie zugleich | |
sein.“ Hartmann sieht sich immer noch als politischer Verbündeter von | |
Kipping. | |
Hat Katja Kipping ihre alten Parteifreunde vergessen, als sie an die Spitze | |
der Partei vorstieß? Oder hat sie Machtbewusstsein gezeigt, ohne das man | |
als Parteichefin einfach nicht auskommt? | |
## Die Machiavellistin | |
Auch aus dem Umfeld von Dietmar Bartsch heißt es, Kipping sei eine | |
Machiavellistin. Aber dort gibt es keinen freundlichen Unterton. Die | |
Abneigung gegen Kipping kommt fast ungefiltert. Bartsch und seine Truppe | |
hatten sie als Mädchen aus Sachsen 2012 unterschätzt – ein Fehler, für den | |
sie bis heute bezahlen. Denn Kipping ist für den heutigen | |
Fraktionsvorsitzenden Bartsch – mehr noch als Sahra Wagenknecht – die | |
Hauptkonkurrentin. Beide sind Reformer, beide kommen aus dem Osten und | |
konkurrieren in der quotensensiblen Linkspartei um die gleichen Posten. | |
2013 kommt es zum Bruch zwischen Kipping und ihrem alten Weggefährten | |
Michael Leutert. Die beiden zogen 2005 über die Landesliste Sachsen in den | |
Bundestag ein. Obwohl ihn Kipping schon 2004 zugunsten ihres jetzigen | |
Ehemannes und Vaters ihres Kindes verlassen hatte, blieben sie weiterhin | |
Freunde, arbeiteten Tür an Tür. | |
Kurz nach der Bundestagswahl im September treffen sich die 64 frisch | |
gewählten Abgeordneten zur Fraktionsklausur im Spreewald. Zusammen mit dem | |
damaligen Fraktionschef Gregor Gysi stellt die Abgeordnete und Parteichefin | |
Katja Kipping die Mitglieder des neuen Fraktionsvorstandes vor, die | |
gleichzeitig auch die Leiter der Arbeitskreise sein werden – und damit | |
einflussreiche Posten in der Fraktion besetzen. | |
Gysi und Kipping haben alles durchgeplant: Die Abgeordneten sollen den | |
neuen Vorstand im Gesamtpaket absegnen, ähnlich einer Einheitsliste zur | |
Volkskammerwahl. Leutert beschwert sich: Wieso das Personaltableau nicht | |
vorher mit allen besprochen worden sei, fragt er Kipping. Sie entgegnet: | |
„Gehörst du etwa dem Parteivorstand an?“ | |
Es war das Gegenteil der offenen und basisdemokratischen Politik, die | |
Kipping zu Jugendbrigadezeiten eingefordert hatte. So empfindet es Michael | |
Leutert. Im Zug nach Dresden, als sie über die Jugendbrigade spricht, | |
erwähnt Katja Kipping Leuterts Namen in zwei Stunden nicht einmal. Später, | |
auf Nachfrage, sagt sie über ihn: „Wir hatten eine schöne Zeit – politisch | |
und privat.“ | |
Weg vom „WG-Hinterzimmer-Klüngel“ | |
Wie weit hat sich Katja Kipping verändert, als sie von Dresden-Neustadt aus | |
ihre Karriere bis an die Spitze der Linkspartei antrat? Leutert sagt: | |
„Katja – die hatte früher manchmal so einen Zug um den Mund, wenn sie | |
angespannt war. So sieht man sie jetzt nur noch.“ | |
Andere aus der Jugendbrigade, die heute noch zu Kippings Freunden zählen, | |
meinen dagegen, dass Kipping sich wenig verändert hat. „Katja hat schon | |
immer ihr eigenes Ding gemacht, eine eigenständige Politik verfolgt und | |
sich strömungspolitisch nicht untergeordnet“, meint Caren Lay. „Sie brannte | |
für Inhalte und Projekte, wie Grundeinkommen und Umweltschutz, und deren | |
Durchsetzung, auch gegen Widerstände“, sagt Heike Werner. Selbst ihr | |
Kleidungsstil sei gleich geblieben: „Flatterblusen, Tücher und Schmuck.“ | |
Die Jugendbrigade der nuller Jahre gibt es nicht mehr. Sie lebt fort als | |
offenes Netzwerk, mit den Adressen von über 40 Genossinnen und Genossen. | |
Für Kipping ist das gut so. „Als wir mehr Verantwortung im Land wie im Bund | |
übernommen haben, mussten wir uns öffnen, gerade damit wir nicht zum reinen | |
WG-Hinterzimmer-Klüngel werden.“ Einigen Männern habe das vielleicht nicht | |
gefallen, da sie damit auch ihren Einfluss auf sie verloren hätten. | |
Auf dem Parteitag in Hannover sieht man eine entspannte Katja Kipping, die | |
zwischen den Reihen der Delegierten hindurchtänzelt, hier ein Küsschen | |
verteilt und da jemandem zuwinkt. Sie hat sich in den letzten Jahren | |
Verbündete quer über die Lager gesucht. Zu ihren Unterstützern zählen | |
Parteilinke wie die hessische Fraktionschefin Janine Wissler und Teile des | |
Reformerlagers wie die thüringische Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow. | |
Und gefragt, wem sie in ihrer Partei vertraut, nennt Kipping zuerst: | |
„Bernd.“ Bernd Riexinger, ihr Ko-Vorsitzender, der 2012 eigentlich als | |
Kippings Antipode vom linken Flügel aufgestellt wurde. Die beiden | |
Parteichefs, die sich gegenseitig ausbalancieren sollten, sind ein Team | |
geworden. | |
## Bloß nicht ins EU-Parlament | |
Mit 39 Jahren steht Kipping an der Spitze der derzeit stärksten | |
Oppositionspartei. Was kommt nun? Der Fraktionsvorsitz? Sie sei | |
Parteivorsitzende, antwortet sie, und möchte das bleiben. Die Fraktion sei | |
ein kleiner Kosmos, sehr machttaktisch organisiert. 2018 möchte sie noch | |
einmal als Parteivorsitzende antreten. | |
Und danach? Sie lächelt. „Eines wird nicht passieren: dass ich für Brüssel | |
kandidiere.“ Das EU-Parlament hat sie also definitiv ausgeschlossen. Nicht | |
aber einen Wechsel an die Fraktionsspitze. Es ist nur eine Frage der Zeit, | |
bis sie nach dem Amt greift, das derzeit noch Dietmar Bartsch zusammen mit | |
Sahra Wagenknecht besetzt. | |
Kipping hat gute Chancen. Sie ist jung, sie ist gut vernetzt. Die | |
Jugendbrigade braucht sie nicht mehr. | |
4 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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