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# taz.de -- Leonie Swanns neues Krimi-Imitat: Unpassende Bemerkungen vom Vogel
> Ein plappernder Papagei und ein zerzauster Anthropologe mit
> Händewaschzwang jagen in „Gray“ auf den Dächern von Cambridge Mörder.
Bild: Kurioses Cambridge
Sie ist Expertin der Tierperspektive, die Frau mit dem doppelten Tiernamen.
Seit Leonie Swann (ein Pseudonym, hinter dem sie sorgfältig ihre
menschliche Identität verbirgt) „Glennkill“, den ersten Schafskrimi der
Literaturgeschichte, vorlegte, ist das so eine Art Markenzeichen. Das
allerdings in „Dunkelsprung“ (kein Krimi, Goldmann Verlag 2014) schon
deutlich aufgeweicht wurde, da es sicher allzu eindimensional gewesen wäre,
einen ganzen Roman nur aus Sicht eines Flohs zu erzählen.
„Gray“ wiederum ist ganz und gar aus Menschenperspektive geschrieben,
obwohl es sich beim Titelhelden um einen Vogel handelt – einen
afrikanischen Graupapagei mit einem erstaunlich breiten Repertoire an
menschlichen Lautäußerungen, der nicht nur sprechen kann, sondern auch bei
allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten Lady Gagas „Bad Romance“ zum
Besten gibt. Die Sicht auf das Tier ist damit, verglichen mit den
Schafsdetektiven aus „Glennkill“, sozusagen realistischer geworden; denn
obgleich Grays Kommunikationsverhalten Züge von Intelligenz trägt und der
Papagei mitunter fast wie eine Person agiert, wird durch die menschliche
Erzählperspektive klar, dass dieses Vogelhirn trotz allem sehr beschränkt
ist.
Augustus Huff, seines Zeichens Anthropologie-Dozent am King’s College in
Cambridge, fällt der Papagei mehr oder weniger zufällig zu, nachdem dessen
Besitzer Elliott, ein Student von Augustus, sich beim Klettern auf den
Collegedächern zu Tode gestürzt hat. Doch Huff, ein Neurotiker vor dem
Herrn, zu dessen Ticks außer einem Händewaschzwang auch ein ausgeprägter
Ordnungsdrang gehört, hat das deutliche Gefühl, als sei mit dem Tod des
schnöseligen Elliott irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung. Um die Welt
wieder geradezurücken, beginnt er nach einem Mörder zu suchen, stets mit
dem Papagei auf der Schulter.
Das alles ist so skurril und freundlich, wie es klingt; aber Anhänger der
hartgekochteren Varianten von Kriminalliteratur werden eh Besseres zu tun
haben, als Papageienkrimis zu lesen: „Gray“ ist keine Kost für traditionell
orientierte Genre-Nerds. Eher nutzt Leonie Swann das Genre geschickt,
vielleicht gar ein wenig karikierend, für ihre Zwecke aus, als dass sie es
wirklich bedient.
## Alles andere als British
Einerseits atmet hier alles eine Aura des sehr Britischen: das an sich
schon kuriose Cambridge, in dessen altehrwürdiger Collegewelt mit ihren
gotischen Gebäuden die Bräuche von anno dazumal mit den Menschen von heute
kollidieren. Der akademische Freak Augustus Huff mit seinen
Sheldon-Cooper-Macken. Und das bunte Panoptikum von Menschen und anderen
Verdächtigen, von dem er gleichsam umzingelt ist.
Aber die Krimihandlung verläuft andererseits, wenn man als Maßstab den
altehrwürdigen Agatha-Christie-Style anlegt, alles andere als British.
Nicht die überraschende Aufklärung des Verbrechens ist hier nämlich das
eigentliche Ziel, sondern der Weg dorthin. Und der verläuft im freien
Zickzack. Denn Augustus Huff mag ein brillanter Kopf sein; seine crime
solving skills aber rangieren eher im unteren Bereich. Ein ums andere Mal
entgehen ihm wichtige Hinweise, die man sich als krimischlaue Leserin
längst gemerkt hat; und würden sich nicht ständig verdächtige und
halbverdächtige Personen die Mühe machen, Augustus in seiner Klause
aufzusuchen, würde er nur ziellos nachts auf den Collegedächern
herumklettern, ohne zu wissen, wonach er eigentlich suchen sollte.
Andererseits bedeutet es enormen Stress, urplötzlich zum offiziellen
temporären Halter eines hypersensiblen Federviehs zu werden, das nicht
allein bleiben kann, in Gesellschaft aber stets unpassende Bemerkungen zu
machen pflegt. Kurz und gut: in puncto thrillermäßiger Suspense würde man
vielleicht nur so zweieinhalb Punkte auf einer Skala von fünf vergeben.
Das wird aber mehr als aufgewogen durch das Lesevergnügen, das diese
wunderbare literarische Spielerei und Krimi-Imitation aus anderen Quellen
reichlich gewährt.
2 Jun 2017
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
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