# taz.de -- Garry Dishers Roman „Hitze“: Meistereinbrecher, Meistererzähler | |
> Der Mythos des Gentlemanverbrechers lebt! Und zwar an der australischen | |
> Gold Coast in Garry Dishers Roman „Hitze“. | |
Bild: Keine hübsche Psychopathin im Minirock, aber auch nett anzusehen: Koalas… | |
Er ist ein cooler Typ, Wyatt der Meistereinbrecher, den Garry Disher | |
erfunden hat. Schon acht Romane hat Wyatt hinter sich und ist noch immer | |
auf freiem Fuß. Und er hat großes Glück, dass seine Abenteuer auf Deutsch | |
beim kleinen Berliner Verlag Pulp Master erscheinen. Denn an Coolness und | |
Stil können die Übersetzungen von Ango Laina und Angelika Müller ihrem | |
kriminellen Helden auf jeden Fall das Wasser reichen. Das ist gerade im | |
Krimisegment leider nicht selbstverständlich. | |
In Wyatts Berufsfeld wiederum ist es nicht selbstverständlich, sich auf | |
seine Geschäftspartner verlassen zu können. Durch einen geplatzten Deal | |
gezwungen, sich eine Weile aus seiner Homebase Sydney zurückzuziehen, nimmt | |
Wyatt einen Auftrag an der Gold Coast an, dem Badeparadies Australiens. | |
Es scheint das reinste Gentleman-Verbrechen zu sein: Eine junge Frau | |
beauftragt ihn, ein Gemälde zu stehlen, das ihren jüdischen Vorfahren einst | |
von den Nazis weggenommen worden sei. Der jetzige Besitzer leugnet, es zu | |
haben, doch auf heimlich aufgenommenen Fotos ist das Gemälde deutlich an | |
der Wohnzimmerwand zu erkennen. | |
So klar der Auftrag, so schwierig die Interessenlagen dahinter. Denn Wyatts | |
Kontakt zu seiner Auftraggeberin wurde hergestellt durch einen Mittelsmann, | |
einen einflussreichen Geschäftsmann mit dunkler Seite, der sich selbst | |
nicht die Finger schmutzig macht, aber eine Nichte hat, die als Maklerin | |
arbeitet und auf diese Weise leicht herausfindet, wo etwas zu holen ist. | |
## Heimliche Affäre mit dem amerikanischen Anwalt | |
Diese junge Frau, eine giftige, zarte Schönheit namens Leah Quarrell hält | |
sich ihrerseits einen kriminellen Ex-Polizisten als Mann fürs Grobe, den | |
sie mit kleinen sexuellen Aufmerksamkeiten gefügig macht, während sie | |
selbst in einer heimlichen Affäre mit dem amerikanischen Anwalt von Wyatts | |
Auftraggeberin aufgeht, der seinerseits offiziell längst abgereist ist und | |
natürlich seine eigene Agenda verfolgt. Als wäre die Lage nicht komplex | |
genug, wird Wyatt eingeholt von den Folgen des geplatzten Deals vom Anfang. | |
Die Moral, kurz gefasst, lautete: Verbrechen lohnt sich nicht, es sei denn, | |
man bleibt dabei anständig – und vorsichtig. Denn während der Großteil des | |
Romanpersonals Opfer der eigenen Gier, Dummheit oder noch Schlimmerem wird, | |
kommt Wyatt nicht nur davon, sondern löst auch noch bravourös das Geheimnis | |
des verschwundenen Gemäldes. Denn natürlich ist das Bild, als er in die | |
Villa einsteigt, nicht nur schon vorher gestohlen worden; sondern als es | |
sich wieder findet, stimmt etwas anderes damit nicht. | |
## Screwball-Komödie | |
„Hitze“ ist ein kleines Meisterwerk an Handlungsorganisation. Es hat etwas | |
von einer klassischen Screwball-Komödie, wie Disher die Erzählfäden zum | |
Ende hin immer mehr verzwirbelt und dazu überraschend Personen aus dem | |
Nichts in die Handlung wirft wie Kaninchen aus dem Hut eines Zauberers. | |
Wäre dieser Roman ein Film, möchte man sich spontan Cary Grant als Wyatt | |
vorstellen. | |
Die anscheinend etwas kulturlose australische Gold Coast könnte man sich | |
gut als Gegenpol zur Côte d’Azur in Hitchcocks „Über den Dächern von Niz… | |
vorstellen. Nur die Figur der hübschen und skrupellosen weiblichen | |
Psychopathin im Minirock hätte es bei Hitchcock so wohl nicht gegeben. | |
Ebenso wenig die Ex-Soldatin, die mit einer einfachen Armbewegung ein | |
Genick brechen kann. Diese Art der Darstellung von wehrhafter Weiblichkeit | |
ist eindeutig eine neuere Errungenschaft im internationalen Kriminalroman. | |
Katharina Granzin | |
13 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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