| # taz.de -- Neuer Roman von Siri Hustvedt: Schreiben mit dem Dolch in der Hand | |
| > Porträt der Künstlerin als junge Frau: „Damals“ ist ein vielschichtiger | |
| > Roman über eine aufstrebende Nachwuchsautorin in New York. | |
| Bild: Wie fühlte sich die junge Autorin? Zeichnung von Siri Hustvedt aus ihrem… | |
| Zeichnen kann sie also auch noch. Die Illustrationen in Siri Hustvedts | |
| neuem Roman stammen sämtlich von ihr selbst, auch die hübsche | |
| Cover-Vignette, auf der eine nackte junge Frau zu sehen ist, die mit weit | |
| ausgebreiteten Armen in den Himmel von New York abzuheben scheint. In der | |
| rechten Hand hält sie einen Dolch. Dieser spielt eine gewisse Rolle im | |
| Roman, doch erst beim Betrachten der Zeichnung fällt so recht auf, dass er | |
| unter anderem ein Phallussymbol ist. Seine steil nach oben gerichtete | |
| Klinge, und auch das ist sicher kein Zufall, nimmt die Form des im | |
| Hintergrund aufragenden Empire State Building auf. | |
| „Damals“ ist eine Reise in die Vergangenheit. In die Jugend einer | |
| Erzählerin mit den Initialen S. H., die, ausgehend vom Fund eines alten | |
| Notizbuchs, ihr erstes Jahr in New York literarisch rekonstruiert. Die | |
| Handlung spielt 1978/79, und die Protagonistin ist 23, dann 24 Jahre alt. | |
| Diese Ich-Erzählerin – die natürlich nicht identisch ist mit der Autorin, | |
| aber aus deren Leben schöpft oder geschöpft wurde – kommt im Roman in | |
| mehrfacher Ausführung vor: als alternde Schriftstellerin von 64 Jahren, die | |
| in ihrem Haus in Brooklyn sitzt und schreibt. | |
| Als junge Ambitionierte, die in einem schäbigen kleinen Apartment wohnt, | |
| ausgiebig Tagebuch führt und damit einen eigenen kleinen Roman über ihr | |
| Leben in New York verfasst. Und als Autorin eines Detektivromans, an dem | |
| die 23-Jährige während ihres ersten Jahres in New York herumschreibt. | |
| ## Spitzname Minnesota | |
| So konstruiert dieses Drei-Ebenen-Opus erst einmal klingen mag, so | |
| unangestrengt ist es geschrieben und lässt es sich lesen. Die glänzende | |
| Stilistin, die Siri Hustvedt ist, sowie das Übersetzerduo Uli Aumüller und | |
| Grete Osterwald – die einen überzeugenden Beweis dafür liefern, dass | |
| gemeinsames Übersetzen sehr wohl möglich ist – sorgen dafür. Das Einzige, | |
| was mitunter etwas wortreich gerät, sind die Passagen aus dem | |
| Detektivroman. Aber das, könnte man einwenden, müsse so sein, da die junge | |
| Autorin ja noch übe. | |
| Im Tagebuch der S. H., die von ihren Freunden „Minnesota“ genannt wird – | |
| denn da kommt sie her –, entwickeln sich zusätzlich noch zwei Geschichten | |
| nebeneinanderher. Die eine ist ein Ausschnitt aus einem ganz normalen | |
| Entwicklungsroman und handelt vom Leben eines jungen Ichs, das | |
| Schriftstellerin werden möchte, nach New York zieht, sich in der fremden | |
| Stadt Freundinnen, Freunde und Liebhaber sucht, zwischendurch aus | |
| Geldmangel an Hunger leidet, aber durch einen Job als Ghostwriterin für | |
| eine Dame der upper class vor drohendem Elend gerettet wird. Diese Story | |
| wird von der älteren Erzählerin mit vierzig Jahren Abstand ergänzt und | |
| kommentiert. | |
| Die andere Geschichte spielt sich hinter der Wand des schäbigen Apartments | |
| ab, in dem die junge Autorin haust. Nebenan wohnt Lucy Brite, eine Frau | |
| mittleren Alters, die allnächtlich eine ebenso tieftraurige wie | |
| ruhestörende Klagelitanei anstimmt. Telefonate mysteriösen Inhalts kommen | |
| hinzu: Da geht es um ein Mädchen, das aus dem Fenster gefallen ist, und | |
| einen möglicherweise gewalttätigen Mann? Und um einen verkrüppelten | |
| Gärtner? Oder hat Minnesota sich verhört? | |
| Besessen vom Wunsch, Lucys ganze Geschichte zu erfahren, lässt sie sich von | |
| zu Hause ein altes Stethoskop schicken, damit sie besser an der Wand | |
| horchen kann. Durch einen dramatischen Vorfall kommt sie schließlich ihrer | |
| Nachbarin und deren geheimnisvollen Freundinnen tatsächlich näher … | |
| Das Resultat der kunstvollen Verquickung dieser Teilerzählungen samt ihrer | |
| retrospektiven Kommentierung ist eine Art Erzählkaleidoskop, ein Mosaik aus | |
| vielen verschiedenen Elementen, aus denen sich bei jeder neuen Drehung ein | |
| etwas anderes Muster formt. Alle zusammen ergeben ein schillerndes, | |
| lebendiges Bild des Lebens im New York der späten siebziger Jahre – oder | |
| zumindest einen kleinen Ausschnitt davon. Kreative, Intellektuelle, Reiche, | |
| Arme, Verschrobene und Verrückte bevölkern das Buch. Die meisten sind | |
| Frauen; Männer spielen Nebenrollen, wenngleich manchmal wichtige. | |
| ## Begegnungen mit Männern | |
| Die Erzählerin – die alternde sowieso, aber auch die junge lernt dazu – | |
| seziert ihre zwischengeschlechtlichen Begegnungen. Warum glaubt ein Mann, | |
| der eben noch sympathisch schien, das Recht zu haben, seine Frau vor | |
| anderen Menschen zu maßregeln? Warum wartet sie selbst, die Erzählerin, | |
| nach einer Party auf einen Mann, von dem sie eigentlich gar nicht nach | |
| Hause gebracht werden will? Warum ruft es solche Aggression in ihm hervor, | |
| als sie seine sexuellen Avancen zurückweist? | |
| Die herablassende Sicht der Männer, denen sie begegnet, auf Frauen, auf sie | |
| selbst, ist ein immer mehr an Bedeutung gewinnendes Motiv. Minnesotas | |
| wachsender Zorn, gepaart mit einem Gefühl der Bedrohung, manifestiert sich | |
| schließlich in einem Dolch – wir kennen ihn von der Coverzeichnung –, den | |
| eine Freundin ihr schenkt. Sie nennt ihn „die Gräfin“, nach der | |
| Dada-Künstlerin Elsa von Freytag-Loringhoven, die sehr wahrscheinlich | |
| diejenige war, die im Jahr 1917 ein Pissoir als Kunstwerk deklarierte und | |
| unter Pseudonym für eine Ausstellung einreichte. Den späteren Weltruhm für | |
| diese frühe Konzeptkunst erntete jedoch nicht sie selbst, sondern Marcel | |
| Duchamp. | |
| Diese wichtige genderthematische Unterströmung bildet letztlich aber nur | |
| eine Ebene des vielschichtigen Romans. Vor allem anderen ist dieses Buch | |
| ein beziehungsreiches Spiel mit Fiktion und Realität und eine anregende | |
| Reflexion über das Geschichtenerzählen an sich. Und eine bedingungslose | |
| Liebeserklärung an New York mit seinen unendlichen narrativen | |
| Möglichkeiten. | |
| 28 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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