# taz.de -- Hamburgs Oberbaudirektor über seinen Abgang: „Irgendwann loslass… | |
> Nach 18 Jahren ist für Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter nun Schluss. | |
> Ein Interview die Macht von Investoren und die heilende Wirkung von | |
> Städtebau. | |
Bild: 18 Jahre Hamburgs höchster technischer Beamter: Oberbaudirektor Jörn Wa… | |
taz: Herr Walter, Hamburgs Oberbaudirektoren werden für jeweils neun Jahre | |
berufen. Sie waren sogar 18 Jahre im Amt. Böse Zungen behaupten, Sie wären | |
für diese Zeit der König der Stadt. | |
Jörn Walter: Das halte ich für ein Gerücht. | |
Ist das Gestalten heute leichter oder schwerer als bei Ihrem Amtsantritt | |
1999? | |
Die Zivilgesellschaft mischt sich heute stärker ein, sodass wir neben der | |
Verwaltung, der Politik und den Bauherren noch die Bürgerinnen und Bürger | |
haben, die sich engagieren. Die Kräfte, die auf ein Bauvorhaben einwirken, | |
auch durch die Behördenzersplitterung, haben deutlich zugenommen. | |
In vielen Fällen haben sich BürgerInnen als GegnerInnen gegen Bauvorhaben | |
positioniert, etwa in der Recht-auf-Stadt-Bewegung. Haben Sie das als | |
Bereicherung empfunden oder als Belastung? | |
Es ist in jedem Fall zeitaufwändiger geworden. Inhaltlich hat das durchaus | |
zu positiven Ergebnissen beigetragen, denken Sie an die Esso-Häuser auf der | |
Reeperbahn, aber auch an die Mitte Altona auf dem ehemaligen | |
Bahnhofsgelände oder die Messe-Erweiterung. Wenn man ein solches Ergebnis | |
erzielt, ist es viel belastbarer. Es gibt natürlich auch strittige Fälle, | |
in denen man nicht immer alle Meinungen zu einer gemeinsamen Lösung führen | |
kann. Das gilt insbesondere für Themen, die eigentlich mit | |
gesellschaftlichen oder technologischen Grundhaltungen zu tun haben. | |
Was wäre so ein Konflikt? | |
Die Frage der gerechten Stadt ist eine, die zwar einerseits mit bestimmten | |
Bauvorhaben zu tun hat, sie berührt andererseits auch die gesellschaftliche | |
Frage, wie die Einkommen verteilt werden und die sozialen Systeme | |
organisiert sind. Das sind zwei Ebenen und die eine können Sie auf der | |
Ebene des einzelnen Bauvorhabens nicht lösen. | |
Warum hören Sie auf? | |
Man muss irgendwann loslassen können. Ich bin jetzt seit 18 Jahren in | |
diesem Amt tätig und viele Projekte sind weitgehend abgeschlossen, | |
insbesondere die Hafencity ist bis auf ein paar Hochbauwettbewerbe zu Ende | |
geplant. Jetzt nochmal neun Jahre anzutreten, geht auch aus Altersgründen | |
nicht. | |
Sie haben also von sich aus aufgehört? | |
Ja. Und ich wollte das auch immer selbst entscheiden können. | |
Was ist eigentlich die Aufgabe des Oberbaudirektors? | |
Er ist der höchste technische Beamte Hamburgs, der eine übergreifende | |
Koordinierungsfunktion hat. Die hat sich im Laufe der Zeit immer gewandelt. | |
Sie betrifft alle Vorhaben zur Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von | |
gesamtstädtischer Bedeutung. | |
Das heißt, jeder, der etwas bauen möchte, muss erst mal bei Ihnen | |
vorsprechen? | |
Das heißt es nicht. Die Bauanträge gehen bei den Bezirken ein. Die müssen | |
bei allen Bauvorhaben, die von gesamtstädtischer Bedeutung sind, meine | |
Stellungnahme einholen. Wenn es Differenzen gibt, kann der Senat für eine | |
Entscheidung angerufen werden. Ich habe davon selten Gebrauch gemacht. | |
Als Oberbaudirektor sind Sie auch dafür verantwortlich, welcher Raum den | |
verschiedenen sozialen Milieus zugeordnet wird. | |
Stadtentwicklung und Städtebau weisen nicht bestimmten Gruppen bestimmte | |
Grundstücke zu. Das räumlich-physische System, mit dem ich mich vorrangig | |
auseinandersetze, kann bestimmte Entwicklungen begünstigen oder erschweren, | |
aber nicht die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen | |
ersetzen. Es gibt zwar direkte Eingriffsmöglichkeiten, wie beispielsweise | |
Art und Umfang im Sozialwohnungsbau, aber den Irrtum, dass wir die Welt mit | |
dem Städtebau heilen können, teile ich nicht. Ich glaube aber, dass das | |
räumlich-physische System Entwicklungen begünstigen oder behindern kann. | |
Warum gibt es in Nienstedten, im reichsten Stadtteil Hamburgs, keine | |
einzige Sozialwohnung? | |
Im Moment haben wir dort kaum Grundstücke, aber wenn wir ein geeignetes | |
Grundstück hätten, würde es dort auch Sozialwohnungen geben. Natürlich | |
begünstigt eine politische Festlegung, wie wir sie mit der Drittel-Regelung | |
bei allen Neubauten ab 20 Wohnungen haben, die soziale Mischung. | |
Hat die Macht der Investoren zugenommen? | |
Der Einfluss der Bauherren war immer sehr groß. In der Gründerzeit waren es | |
private Terraingesellschaften, die ganze Stadtteile erschlossen haben. Die | |
Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die erste Zeit, in der staatlicher | |
Einfluss vergleichsweise stark war, wenn wir das absolutistische Zeitalter | |
einmal außer Acht lassen. Das hat sich seit der Wirtschaftskrise in den | |
1970ern wieder etwas geändert. Ich erlebe immer, dass Bauherrn überzogene | |
Erwartungen haben und mir ihre Zwänge darlegen. Manchmal hat man dann das | |
Gefühl, alles sei viel schlimmer geworden. Das Bauen war aber immer stark | |
von denen beeinflusst, die investiert haben. Weil das Bauen andererseits | |
eine öffentliche Angelegenheit ist und auch die betrifft, die sich das | |
anschauen müssen, bedarf es einer staatlichen Regulierung. | |
Und da kommen Sie ins Spiel? | |
Ja. Es bedarf am Ende eines Einvernehmens zwischen denen, die bauen, und | |
der Gesellschaft. Die Kunst ist, das zu einem Ausgleich zu bringen, dass am | |
Ende ein schönes und nützliches Haus entsteht. Das ist meine Kernaufgabe. | |
Dabei geht es um Kommunikation und Vermittlung, und darum, zu entscheiden. | |
Sie haben diverse Senate miterlebt. Welche Auswirkungen hatte es auf Ihr | |
Amt, ob Schwarz-Schill oder Rot-Grün am Drücker war? | |
Fördere ich den sozialen Wohnungsbau oder nicht – so etwas ist eine | |
Richtungsentscheidung, die damit zu tun hat, wer politische Schwerpunkte | |
setzt. Aber das konkrete Bauen, ist ein Haus schön oder hässlich, ist nicht | |
so sehr eine parteipolitische Frage. Und auch die großen Themen – | |
Hafencity, Sprung über die Elbe, Mitte Altona – waren in Hamburg nicht | |
grundsätzlich parteipolitisch umstritten. Umstritten und diskutiert waren | |
Fragen wie der Drittelmix aus Sozial-, Miet- und Eigentumswohnungen oder | |
die Erschließung durch eine U- oder Stadtbahn. | |
Als Sie antraten, wollte Rot-Grün den Flächenverbrauch auf 114 Hektar pro | |
Jahr senken. Im Durchschnitt der vergangenen 15 Jahre lag er bei 196 | |
Hektar. Haben Sie versagt? | |
Der Flächenverbrauch ist überwiegend Verkehrsmaßnahmen und ganz großen | |
industriellen Entwicklungen geschuldet. Die allergrößte galt Airbus. Es ist | |
nicht so sehr der Wohnungsbau gewesen. Wenn das gegenwärtige Wachstum so | |
weitergeht, reichen unsere Flächen nicht aus, um die Bevölkerung | |
unterzubringen, weswegen wir jetzt Gebiete aktivieren müssen, die seit | |
ewigen Zeiten im Flächennutzungsplan zur Bebauung vorgesehen sind. Im Sinne | |
des Natur- und Landschaftsschutzes plädiere ich an vielen Stellen für die | |
Nachverdichtung. Das ist für Hamburg die deutlich bessere Entwicklung, als | |
in den Außenbereichen zu bauen. | |
Müsste der Senat in einem zentrumsnahen Villenviertel wie Othmarschen | |
fünfstöckige Blockrandbebauung planen? | |
So etwas kann man natürlich planen, aber es hat ein bisschen was mit der | |
Hybris zu tun, die wir aus der Nachkriegszeit kennen: Wir reißen eine Welt | |
ab und bauen eine neue hin. Das entspricht nicht meiner Vorstellung von | |
Stadtentwicklung. Aber wir sollten sukzessive auch in solchen Gebieten über | |
Nachverdichtung reden. | |
Naturschutzverbände wehren sich aber gegen die Bebauung von | |
Landschaftsachsen. | |
Die Naturschutzverbände ja, die Bewohnerinnen und Bewohner in Othmarschen – | |
um bei Ihrem Beispiel zu bleiben – und in vielen anderen Stadtteilen sehen | |
das differenzierter. Das Geschäft der Stadtplanung ist das des | |
Interessenausgleichs. Sehen Sie sich eher als Moderator oder als | |
Entscheider? | |
Ein Oberbaudirektor muss Meinungen haben! Wir müssen Lösungen entwickeln | |
und wir müssen Mehrheiten organisieren. Man setzt sich aber nicht immer | |
durch und muss dann schauen, wo man vielleicht eine falsche Meinung hat. | |
Deshalb diskutiert man als Oberbaudirektor ja mit vielen Menschen aus der | |
Politik und der Bevölkerung. Und am Ende muss es auch gut aussehen und die | |
Stadt muss einen Zusammenhang bilden. | |
Aber das ist nicht objektiv … | |
… und es ist auch völlig falsch, diesen Anspruch zu haben. Es gibt viel | |
gute Kunst. Dennoch gefällt mir das eine besser als das andere, da gibt es | |
ein subjektives Moment. | |
Waren Sie damals auch für die Gummi-Enten von Jeff Koons auf dem | |
Spielbudenplatz? | |
Koons wäre eine Attraktion gewesen. Die Leute wären dorthin gepilgert. Die | |
Reeperbahn und der Spielbudenplatz sind ein sehr besonderer Ort – da hätte | |
man auch etwas machen können, was aus dem Rahmen fällt. Es gehört an diesen | |
Ort, dass da ein paar schräge Dinge stattfinden. Ich fand den Widerstand – | |
auch aus Fachkreisen – überzogen. | |
Sie haben die Entwicklung der Hafencity fast von Anfang an begleitet. Wie | |
zufrieden sind Sie damit? | |
Sie hat sich in vielen Teilen positiver entwickelt, als man das zu Beginn | |
erwarten konnte. Je mehr sie wächst, desto mehr wird erkennbar: Es ist | |
tatsächlich Stadt, was da entsteht und es sind nicht nur Häuser, die | |
nebeneinander stehen. Das unterscheidet die Hafencity sehr stark von vielen | |
internationalen Entwicklungen dieser Art und ist sicher auch der Grund, | |
warum sie international auf so viel Interesse und Anerkennung stößt. Keiner | |
hat so ein hohes Maß an Mischung von Nutzungen hinbekommen und keiner, ein | |
durchschnittlich so hohes architektonisches Niveau wie wir hier. | |
Es schwärmen ja nicht so viele Leute davon. Die Lokalpresse mault, dass es | |
dort kalt und leblos sei und zählt die Geschäfte, die geschlossen haben. | |
Das sind Probleme, die man mit jeder Neubauentwicklung hat. Die Hafencity | |
braucht, wie jede große Stadtentwicklungsmaßnahme, Zeit, um sich | |
einzuspielen. Das war in den Gründerzeitquartieren nicht anders. Ich kann | |
nur die physische Struktur so flexibel gestalten, dass sie auch in Zukunft | |
unterschiedliche Leute anzieht. Da bin ich sehr zuversichtlich. Denn die | |
physische Struktur der Gebäude erlaubt Umnutzungen. | |
Was tun Sie als Nächstes? | |
Ich werde ein bisschen Lehre machen, auch außerhalb Hamburgs das eine oder | |
andere Preisgericht. Ich habe nicht vor, in der Privatwirtschaft einen | |
Vollzeitjob anzutreten, sondern will mich eher ehrenamtlich einbringen. | |
2 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
Gernot Knödler | |
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