# taz.de -- Ermittlungsfehler im Fall Anis Amri: Der Skandal weitet sich aus | |
> Hätte die Polizei ihn doch festnehmen und den Anschlag verhindern können? | |
> Politiker aller Parteien fordern Aufklärung. | |
Bild: Hätte der Anschlag verhindert werden können? | |
Berlin taz | Es ist ein schwerer Gang für Andreas Geisel. Am | |
Donnerstagvormittag tritt der Innensenator ans Rednerpult im Berliner | |
Abgeordnetenhaus. „Wir können kein Interesse daran haben, dass irgendetwas | |
verschleiert wird“, sagt der SPD-Mann. Alle Vorwürfe würden rückhaltlos | |
aufgeklärt. „Wir reden hier nicht von einer Bagatelle.“ | |
Die Vorwürfe wiegen schwer. Hätte das Berliner Landeskriminalamt, für das | |
Geisel heute politisch verantwortlich ist, doch den Anschlag von Anis Amri | |
auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz verhindern können? | |
Hätte der Islamist doch im Vorfeld festgenommen werden können? Noch dazu: | |
Versuchten Polizisten ihr mögliches Versagen im Nachgang zu vertuschen? | |
Am Mittwoch hatte [1][Geisel selbst diese Vorwürfe publik gemacht]. Bruno | |
Jost, der Berliner Sonderermittler für den Fall Amri, war im digitalen | |
Polizeilichen Informationssystem auf einen LKA-Eintrag gestoßen, in dem | |
Amri der gewerbs- und bandenmäßige Handel mit Drogen vorgeworfen wird. Das | |
war neu: In der bisher bekannten Auswertung einer Telefonüberwachung Amris | |
hieß es, dieser sei nur im „Kleinsthandel“ aufgefallen. Ein Haftbefehl wä… | |
nicht möglich gewesen. So aber hätte eine Inhaftierung doch beantragt | |
werden können. | |
Mit beiden Einträgen vor sich bemerkte Jost nun, dass das Papier mit dem | |
„Kleinsthandel“ erst am 17. Januar geschrieben wurde, rückdatiert auf den | |
1. November 2016. Auch waren die Vorwürfe hier deutlich abgeschwächt. | |
Offenbar eine Fälschung. Um die verpasste Chance auf einen Haftbefehl zu | |
vertuschen? Geisel stellte darauf Strafanzeige wegen Strafvereitelung und | |
Urkundenfälschung – gegen das LKA. | |
## Kritik von der Polizei | |
Als der SPD-Mann im Abgeordnetenhaus spricht, erreicht der Skandal längst | |
den Bund. Von einem „unerhörten Verdacht“ spricht Innenminister Thomas de | |
Maizière (CDU). „Ich erwarte von allen Beteiligten im Land Berlin, dass das | |
jetzt sehr gründlich und sehr offen aufgeklärt wird.“ SPD-Fraktionschef | |
Thomas Oppermann sagt: „Das schlägt dem Fass den Boden aus.“ Die Vorwürfe | |
müssten restlos aufgeklärt werden. Für Grünen-Fraktionschefin Katrin | |
Göring-Eckardt ist ein Untersuchungsausschuss im Bundestag nun | |
unumgänglich. | |
Auch aus der Polizei selbst kommt Kritik. „Wenn sich das bewahrheitet, muss | |
es Konsequenzen haben – bis zur Spitze der Behördenleitung“, sagt Benjamin | |
Jendro, Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP). Das zielt auf | |
den Berliner Polizeichef Klaus Kandt. Dass LKA-Chef Christian Steiof | |
bereits, wie spekuliert, vor dem Aus steht, wies Geisels Sprecher zurück: | |
„Wir sind noch nicht in der Situation, in der wir über Köpfe entscheiden.“ | |
Konkret im Fokus stehen derzeit zwei Beamte der LKA-Abteilung Staatsschutz. | |
Der eine soll den ersten Vermerk verfasst haben, der andere den zweiten, | |
wohl gefälschten. Ermittelt wird auch, ob noch andere Personen involviert | |
waren. | |
Klar bleibt: Die Sicherheitsbehörden hatten Amri früh im Visier – und | |
verhinderten seinen Anschlag dennoch nicht. Schon im Februar 2016 wurde der | |
Tunesier in NRW als Gefährder registriert. Als er sich mehr in Berlin | |
bewegte, wurde er dort von März bis September 2016 überwacht. Lediglich als | |
„Kleindealer“ sei er dabei aufgefallen, hieß es im Anschluss. Die | |
Überwachung wurde eingestellt. Tatsächlich lockte die Dealerei die | |
Ermittler auf eine falsche Fährte. Amri habe kaum noch gebetet, nicht | |
gefastet und selbst Drogen konsumiert, stellte das LKA fest. So einer | |
begehe doch keinen islamistischen Anschlag, so die Einschätzung damals. | |
Wohl aber wurde weiter auf eine Abschiebung Amris und einen Haftbefehl | |
gedrängt. Alle Straftaten aber, die man Amri nachweisen konnte – besonders | |
schwerer Diebstahl, Körperverletzung, Verstoß gegen das | |
Betäubungsmittelgesetz, Urkundenfälschung, Leistungsbetrug – rechtfertigten | |
keinen Haftbefehl. So hieß es bisher. | |
GdP-Sprecher Jendro nennt es indes nicht zwingend, dass Amri für | |
gewerbsmäßigen Drogenhandel inhaftiert worden wäre. Die Gerichte würden | |
solchen Anträgen nicht zwangsläufig folgen. „Hunderte von Drogenhändlern | |
laufen mit offenen Haftbefehlen in Berlin herum.“ | |
18 May 2017 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
Konrad Litschko | |
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