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# taz.de -- Wirtschaftsprognosen zu Griechenland: Tausendmal verrechnet
> Seit Jahren fantasiert die EU-Kommission von sonnigen Aussichten für die
> griechische Wirtschaft. Stets sind die Prognosen falsch.
Bild: Keine sonnigen Aussichten in Athen – besonders nicht für Rentner
Berlin taz | Im Jahr 2020 feiert Griechenland ein zweifelhaftes Jubiläum:
Zehn Jahre ist es dann pleite. So lange leihen private Banken und Fonds dem
Land kein Geld mehr. Und nachdem am Donnerstag das Parlament neue Kürzungen
bei den Renten für 2018 und 2019 beschloss – spätestens dann wurde klar,
dass Griechenland weiterhin unter der Kontrolle seiner „Gläubiger“ steht.
Schon der Begriff „Gläubiger“ besagt, dass man ein Land und seine Bewohner
wie eine insolvente Firma behandelt.
Allerdings hat Griechenland offenkundig sehr schlechte Insolvenzverwalter.
Die verkalkulieren sich nämlich, und das seit Jahren. Seit Beginn der
Schuldenkrise 2009/10 in Griechenland ist es das stets gleiche Spiel. Die
EU-Kommission erstellt im Verbund mit der Europäischen Zentralbank
Voraussagen zur ökonomischen Entwicklung in Griechenland. Mit den Zahlen
wird Politik gemacht: Sie sollen ausdrücken, dass die Austeritätspolitik
wirkt, dass das Tal durchschritten ist, weil es im nächsten Jahr bergauf
gehe.
Was bislang nicht passiert ist. Es spricht auch nichts dafür, dass sich
2017 oder 2018 daran etwas ändert. Im ersten Quartal 2017 schrumpfte die
Wirtschaft in Griechenland um 0,1 Prozent. „2017 wird das Wachstum nicht
kommen. Wir werden noch nicht einmal eine Eins vor dem Komma sehen“, sagt
Alexander Kritikos, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung,
der taz.
Die Geschichte dieser Prognosen erklärt auch, warum das Land ökonomisch
immer noch da verharrt, wo es ist: Seit 2010 bekommt das Land kein Geld
mehr auf den Finanzmärkten. Seitdem machen die EU-Kommission, die
Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds IWF sowie der
Europäische Stabilitätsmechanismus ESM und dessen Vorgängerorganisation dem
Land Auflagen, wie es zu sparen hat.
Und sie fingen gleich mit einem Prognosefehler an. Zwei Ökonomen des IWF
haben das, weitestgehend unbemerkt, im Jahr 2013 eingeräumt. In den Jahren
davor war die griechische Wirtschaft viel stärker eingebrochen als die
anderen in der EU. Grund: Der Staat musste mitten in der Krise auch noch
seine Ausgaben kürzen, was die Situation noch weiter verschlimmerte. Diesen
Effekt hatten die Gläubiger Griechenlands unterschätzt, schrieben die
IWF-Ökonomen 2013.
## In der Krise rechnet man anders
Sie hatten, wie üblich, damit gerechnet, dass das Bruttoinlandsprodukt
(BIP) des Landes für jeden Euro, den die Regierung weniger ausgibt, um
einen halben Euro sinkt. So rechnet man in normalen Zeiten, aber in der
Krise wirke das viel stärker. „Je aggressiver die geplanten fiskalischen
Konsolidierungsmaßnahmen, desto größer der Prognosefehler für das
BIP-Wachstum“, schreibt der Ansgar Belke, Professor für Makroökonomik an
der Universität Duisburg-Essen, der dazu forscht.
Das ist eine der dramatischen Wendungen der griechischen Tragödie: Weil
Ökonomen einen falschen Multiplikator in einer Prognose verwendeten, trugen
sie dazu bei, dass eine Volkswirtschaft noch stärker abstürzte, Menschen
ihre Jobs verloren, zusätzliche Lehrer entlassen wurden und Regierungen
stürzten.
Der IWF hat seine Prognosen angepasst. Trotzdem geht er noch regelmäßig von
zu hohen Wachstumsraten aus. In ihren Berichten verweist die Washingtoner
Institution darauf, dass die Griechen nicht schnell genug reformiert hätten
– und das Land politisch instabil sei. Seit Mai 2010 gab es elf Finanz- und
sieben Premierminister.
## Der Staatshaushalt als einzige Priorität
Auch Alexander Kritikos vom DIW verweist auf Ursachen, die im Land selbst
zu finden sind: Die immer noch extreme Bürokratie etwa, die Verwaltung sei
völlig überreguliert, das Steuersystem nicht verlässlich. Die Justiz
arbeite zu langsam. Gerichtsverfahren zu Durchsetzung von
Vertragsvereinbarungen dauerten bis zu zehn Jahre, was ein wesentliches
Investitionshemmnis darstelle. Diese Kritik geht aber auch an die
Gläubiger. „Es ist wichtig, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. Aber
das ist bisher die einzige Priorität“, sagt Kritikos.
Volkswirt Ansgar Belke sieht den Hauptgrund für die Wachstumseinbrüche
Griechenlands an stagnierenden Exporten. Auch das führe dazu, dass die
Auswirkungen der Sparpolitik viel größer seien als vorausgesagt –
grundsätzlich sei es aber richtig, dass Griechenland spare, schreibt Belke.
Nun sind Prognosen immer ungenau. In Griechenland entscheiden sie aber über
das Schicksal des Landes, in dem fast 50 Prozent der Menschen bis 25 keine
Arbeit haben, Tendenz immerhin fallend.
Das Land hat längst seine Unabhängigkeit verloren: Athen erwirtschaftet
zwar einen Haushaltsüberschuss, rechnet man die Zinsen für die Schulden
nicht ein. Aber es muss ständig alte Kredite mit neuen ablösen – die es nur
gegen Sparauflagen oder wie jetzt Steuererhöhungen gibt. Die Kredite hält
fast zur Hälfte der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, dazu kommen die
EZB und der IWF.
## Eine viel zu rosige Zukunft
Laufen die Kredite aus, werden sie durch neue von den gleichen
Institutionen ersetzt. Es fließt längst kein „frisches“ Geld an
Griechenland, auch wenn das in jeder Talkshow behauptet wird.
Der IWF hat längst eingesehen, dass das Land einen Schuldenerlass braucht,
weil es mit fast 180 Prozent seines BIP in der Kreide steht. Die
europäischen Gläubiger aber malen die ökonomische Zukunft des Landes –
siehe Vergangenheit – wie immer viel zu rosig. Deshalb ist aus Sicht der
Europäer kein Schuldenschnitt nötig.
„Man kann spekulieren, ob das aus politischen Gründen passiert, um nicht
vor den Wahlen – etwa in Deutschland – über die Schuldentragfähigkeit
diskutieren zu müssen“, sagt Kritikos.
Nächstes Jahr geht’s bergauf bei den Griechen. Garantiert.
19 May 2017
## AUTOREN
Ingo Arzt
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