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# taz.de -- „Kopftuch-Urteil“ in Berlin: Neutralität neu ausgelegt
> Die nun vorgelegte Begründung des Arbeitsgerichts zum „Kopftuch-Urteil“
> vom Februar entschärft den Koalitionsstreit über das Gesetz.
Bild: Darf frau künftig das Kopftuch in der Schule tragen?
Im Februar sprach das Berliner Landesarbeitsgericht (LAG) einer
muslimischen Pädagogin eine Entschädigung von rund 8.500 Euro zu, weil der
Senat sie wegen ihres Kopftuchs nicht als Grundschullehrerin einstellen
wollte. Zwar bot das Land der Frau später einen Arbeitsvertrag als
Berufschullehrerin an. Dadurch werde die Diskriminierung aber nicht
beseitigt, erläuterte das LAG in der nun vorliegenden Begründung des
Urteils. Denn die Frau wolle an Grundschulen unterrichten und dürfe das
nicht, obwohl dort großer Bedarf an Lehrkräften bestehe.
Der Senat hatte sich bei der Ablehnung der Bewerberin auf das Berliner
Neutralitätsgesetz berufen, das seit 2005 Lehrkräften das sichtbare Tragen
religiöser Symbole verbietet. Das LAG hält das Gesetz nun aber insoweit für
„verfassungswidrig“. Zwar sei es ein legitimes Ziel, den „Schulfrieden“…
schützen.
Ein „pauschales“ Kopftuchverbot sei jedoch ein unverhältnismäßiges Mitte…
Es verletze die Religionsfreiheit der betroffenen muslimischen
Pädagoginnen. Das LAG berief sich dabei auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, das Anfang 2015 aus dem gleichen Grund das
Schulgesetz von Nordrhein-Westfalen beanstandet hatte.
Das LAG verzichtete aber darauf, das Berliner Neutralitätsgesetz dem
Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen, denn es könne auch so
„verfassungskonform“ ausgelegt werden. Künftig soll ein Kopftuchverbot nur
bei einer „konkreten Gefahr“ für den Schulfrieden erlaubt sein. Ansatzpunkt
für diese Auslegung ist eine Klausel in Paragraf 3 des
Neutralitätsgesetzes, wonach die Schulsenatorin Ausnahmen vom
Kopftuchverbot erlauben kann. Nach dem LAG-Urteil ist diese Ausnahme
künftig die Regel. Ein Kopftuch allein ist damit für Lehrerinnen kein
Einstellungshindernis mehr.
Gegen dieses Urteil kann Berlin noch Revision zum Bundesarbeitsgericht
einlegen. Die Erfolgsaussichten dürften wegen der klaren Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts aber gering sein. Derzeit prüft der Senat noch,
ob er das LAG-Urteil akzeptiert.
Das Urteil bietet wenig Nahrung für den im Februar aufgeflammten
Koalitionsstreit, ob nun das Neutralitätsgesetz geändert werden soll. Für
eine Änderung hatte sich Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eingesetzt.
Regierungschef Michael Müller (SPD) dagegen erklärte am Donnerstag erneut,
er wolle an dem Gesetz festhalten.
Dass dieses nun durch Richterrecht faktisch mit einem neuen Inhalt versehen
wurde, besteht für eine Änderung kein zwingender Grund. Für Polizistinnen
und Richterinnen gilt das Verbot allerdings weiterhin, das LAG-Urteil
erwähnt diese Berufsgruppen nicht. Es gibt in diesen Bereichen auch noch
keine Karlsruher Rechtsprechung.
Bei Lehrerinnen könnte die Schulverwaltung noch Kopftuchverbote auf Schul-
oder Bezirksebene verhängen. Das LAG hält dies für möglich, wenn es
„substanzielle“ Konflikte über „das richtige religiöse Verhalten“ in …
ganzen Schule oder im ganzen Bezirk gibt. Gedacht ist etwa an
Konfliktlagen, bei denen ältere Schüler oder Eltern auf das „Vorbild“ von
Kopftuch tragenden Lehrerinnen verweisen und damit Druck auf Mädchen
ausüben, die kein Kopftuch tragen. Das sei in Bezirken wie Kreuzberg,
Neukölln oder Wedding denkbar, es sei aber nicht ersichtlich, dass solche
Konfliktlagen in Frohnau, Dahlem, Grunewald oder Schmargendorf bestehen, so
das LAG-Urteil. Zumindest dort können Lehrerinnen künftig also mit Kopftuch
unterrichten.
5 May 2017
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Kopftuch
Arbeitsrecht
Neutralitätsgesetz
Kopftuch
Kopftuchverbot
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Religion
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