| # taz.de -- EuGH-Urteil zum Kopftuch: Unverhüllt zur Arbeit | |
| > Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Firmen können | |
| > Mitarbeiterinnen im Kundenkontakt ein „neutrales“ Auftreten vorschreiben. | |
| Bild: Angst vor Umsatzeinbußen reicht nicht für ein Verbot | |
| Berlin taz | Kopftuchverbote in Privatunternehmen können mit EU-Recht | |
| vereinbar sein. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH). | |
| Kopftuchverbote können dann zulässig sein, wenn das Unternehmen klare | |
| Neutralitätsregeln für Mitarbeiter mit Kundenkontakt hat. Allerdings kann | |
| bei einem Unternehmen ohne Neutralitätsregeln kein Kunde verlangen, dass | |
| Mitarbeiterinnen auf ihr Kopftuch verzichten. | |
| Konkret ging es um Fälle aus Belgien und Frankreich. In Belgien arbeitete | |
| die Muslimin Samira Achbita als Rezeptionistin für das Unternehmen G4S, das | |
| Empfangs-Dienstleistungen für andere Unternehmen erbringt. G4S verlangte | |
| von Achbita, bei der Arbeit kein Kopftuch zu tragen und berief sich auf | |
| (zunächst ungeschriebene) interne Regeln, die ein neutrales Auftreten ohne | |
| politische und religiöse Zeichen fordern. Als Achbita sich weigerte, wurde | |
| sie entlassen. | |
| Im französischen Fall arbeitete die muslimische Softwaredesignerin Asma | |
| Bounaoui für das große IT-Beratungsunternehmen Micropole als | |
| Projektingenieurin. Sie wurde entlassen, als ein Kunde in Toulouse sich | |
| über das Kopftuch von Bougnaoui beschwerte und sie sich weigerte, bei der | |
| Arbeit auf das Tuch zu verzichten. | |
| Die nationalen Gerichte legten die Fälle dem EuGH vor, weil das jeweilige | |
| Antidiskriminierungsrecht auf einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2000 beruht. | |
| In einem Grundsatzurteil klärte der EuGH nun, unter welchen Bedingungen | |
| Kopftuchverbote in Privatunternehmen mit EU-Recht vereinbar sind. | |
| ## Allgemeinen Neutralitätsregelung | |
| So sei ein Kopftuchverbot grundsätzlich zulässig, wenn es auf einer | |
| allgemeinen Neutralitätsregelung des Unternehmens beruht. Wenn die | |
| Neutralitätsverpflichtung alle Religionen gleichermaßen betrifft, liege gar | |
| keine Diskriminierung einer Religion vor, so die Richter. | |
| Doch auch eine mittelbare Diskriminierung, die letztlich doch auf eine | |
| bestimmte Religion, etwa den Islam, abzielt, könne gerechtfertigt sein. So | |
| sei der Wunsch einer Firma, ihren Kunden „ein Bild der Neutralität zu | |
| vermitteln“, ein rechtmäßiges Ziel und von der „unternehmerischen Freihei… | |
| gedeckt. Solange die Regelung auf Mitarbeiter mit Kundenkontakt beschränkt | |
| ist und dabei konsequent angewandt wird, ist sie auch verhältnismäßig, so | |
| der EuGH. | |
| Wenn das Unternehmen keine generelle Neutralitätsregelung hat, ist ein | |
| Kopftuchverbot nur zulässig, wenn es auf beruflichen Anforderungen beruht. | |
| Die Programmierung von Software und die Beratung von Kunden ist aber auch | |
| mit Kopftuch möglich. Ein Kopftuchverbot kann jedenfalls nicht allein auf | |
| spezielle Kundenwünsche gestützt werden, so der EuGH. | |
| Die belgischen und französischen Gerichte müssen nun die konkreten Fälle | |
| entscheiden. Es liegt nahe, dass das Kopftuchverbot der belgischen | |
| Rezeptionistin zulässig war, weil es eine Neutralitätsregel des | |
| Unternehmens gab. Dagegen war die Kündigung der französischen | |
| Software-Designerin wohl unzulässig, weil sie nur auf einer | |
| Kundenbeschwerde beruhte. (Az.: C-188/15 u. a.) | |
| ## Religionsfreiheit des Grundgesetzes | |
| In Deutschland ist für Privatunternehmen bisher ein Urteil des | |
| Bundesarbeitsgerichts von 2002 maßgeblich. Danach durfte eine | |
| Parfümerie-Verkäuferin aus Schlüchtern (Hessen) nicht wegen ihres Kopftuchs | |
| entlassen werden. Nur wenn es zu „nicht hinnehmbaren Störungen“ kommt, wä… | |
| eine Kündigung möglich. | |
| Die von dem damaligen Arbeitgeber geltend gemachte bloße Angst vor | |
| Umsatzeinbußen genüge nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat das Urteil | |
| ein Jahr später bestätigt. Es ist denkbar, dass diese Linie in Deutschland | |
| weiterhin gilt, wenn sie auf die Religionsfreiheit des Grundgesetzes (und | |
| nicht auf EU-Antidiskriminierungsrecht) gestützt wird. | |
| 14 Mar 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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