# taz.de -- Musik der Kapverden: Der einzige Reichtum | |
> Musik als Branding-Instrument ist eine gute Idee für ein armes Land: Ein | |
> Streifzug über die Atlantic Music Expo (AME) auf den Kapverden. | |
Bild: Die Sängerin Fattú Djakité liefert betörende Vokals, wie der Gesang e… | |
Erst sträubt er sich, dann muss der Staatsmann auf die Tanzfläche. Marcelo | |
Rebelo de Sousa, der amtierende portugiesische Präsident, ist zunächst | |
etwas steif, dann wiegt er sich lächelnd in den Armen der anmutigen Lura. | |
Die Sängerin wiederum ist mit Abraão Vicente verheiratet, dem | |
Kulturminister der Kapverden. Die Inselgruppe im Atlantik ist eben ein | |
kleines Land, rund eine halbe Million Menschen leben auf den zehn kleinen | |
Archipelen. | |
Es war Vicentes Vorgänger Marío Lúcio Sousa, der hier auf der Insel | |
Santiago 2013 die Musikmesse Atlantic Music Expo (AME) etablierte – als | |
Möglichkeit des Austauschs zwischen Europa, Afrika und Amerika. Musik als | |
Branding-Instrument ist keine schlechte Idee für ein Land, das keinerlei | |
natürliche Reichtümer besitzt, dessen Musik seit der Morna-Diva Cesária | |
Évora aber in der ganzen Welt bekannt ist. | |
Zur Eröffnung der 5. AME-Ausgabe sind am 10. April mehrere tausend Menschen | |
ins Zentrum der im Kolonialstil erbauten Hauptstadt Praia gekommen, | |
darunter auffallend viele Jugendliche. Die meisten haben sich für den | |
Anlass herausgeputzt, einige Halbstarke machen auf dicke Hose, sind dann | |
aber genauso freundlich wie alle anderen, wenn man sie anspricht. Betont | |
lässig und langsam bewegen sich die Menschen, und das Kriolu, das sie | |
sprechen, hat eine liebliche Melodie. | |
## Umschlagplatz des Sklavenhandels | |
Am Abend steht mit Bulimundo eine legendäre Band auf der Bühne. Im Jahr | |
1978 gegründet, hat sie die Musik der Kapverden revolutioniert, indem sie | |
den traditionellen Funaná vom Land in die Stadt gebracht hat. Dass der | |
portugiesische Präsident dem Bulimundo-Konzert beiwohnt, hat auch eine | |
pikante Note. Den portugiesischen Kolonialherren galt der frenetische, | |
ursprünglich unverstärkt nur mit einem Akkordeon und einem Eisenstab als | |
Perkussioninstrument gespielte Funaná als zu rebellisch, zu obszön. „Ohne | |
die Unabhängigkeit von 1975 wäre der Funaná weiter unterdrückt worden“, i… | |
sich der Bulimundo-Gitarrist Manuel de Candinho sicher. | |
Im 16. Jahrhundert entwickelten sich die 500 Kilometer vor der Küste | |
Senegals gelegenen Kapverden zum Umschlagplatz des Sklavenhandels. Das ist | |
auch ein Grund für die Vielfalt der kapverdischen Musik. Sklavenhändler | |
verschleppten Menschen verschiedenster westafrikanischer Ethnien erst | |
hierher – und diese brachten auch ihre musikalischen Traditionen mit. | |
Dazu kamen die Instrumente und Melodien der Portugiesen, und daraus | |
entstand eine eigentümliche kreolische Kultur. Das sieht man auch an den | |
vielfältigen Physiognomien, an allen nur denkbaren Farbschattierungen der | |
Menschen auf den Straßen Praias. | |
## Ältere Damen trommeln auf Kissen | |
„Wir sind ein armes Land“, sagt José da Silva, der einst Manager von | |
Cesária Évora war. Musik sei der einzige Reichtum der extrem ariden | |
Kapverden. Doppelt so viele Kapverdianer wie auf den Eilanden leben darum | |
in der Diaspora. „Ihre Überweisungen sind die bei Weitem wichtigste | |
Einnahmequelle der Kapverden.“ | |
Da Silva organisiert heute das direkt im Anschluss an die AME laufende | |
Kriol Jazz Festival. Der Musik kann man in Praia auch abseits der Festivals | |
nicht entgehen – ob im städtischen Kulturhaus, wo eine Batuque-Gruppe | |
älterer Damen mit Händen auf Kissen trommelt und Call-&-Response-Gesänge | |
anstimmt; ob bei Funaná-Sessions vor Kneipen, Darbietungen wehmütiger | |
Mornas (eine weitere Stilrichtung), in Restaurants oder bei Fahrten mit | |
Minibussen und Taxen. Immer sind schnulzige Coladeiras zu hören, | |
Kizomba-Hits oder der neuste Trend: Momentan regiert Kotxi Pó, schneller, | |
billig produzierter Electro-Funaná, der in Endlosschleifen läuft. | |
Hans Reuschl ist von der Musikalität der Kapverdianer begeistert: „Es ist | |
eine Begeisterung für Musik zu spüren, wie ich sie selten irgendwo auf der | |
Welt gesehen habe.“ Reuschl, der seit 25 Jahren afrikanische Musik sammelt, | |
betreibt als DJ Nomad mit dem House-Pionier Dirk Leyers seit Längerem das | |
Projekt Africaine 808. Mit elektronischem Equipment und verstärkt von zwei | |
Perkussionisten bei Live-Auftritten rekontextualisiert das Duo afrikanische | |
Rhythmen für europäische Clubs. Nun sind die beiden Musiker auch nach Praia | |
gekommen. | |
## Abgesandte der deutschen Club-Szene | |
Bei dem vom Berliner Label Piranha entwickelten deutsch-lusophonen Projekt | |
„LusAfro“, das hauptsächlich von der Kulturstiftung des Bundes finanziert | |
wird, sind sie eingeladen, um zusammen mit Musikern aus den | |
portugiesischsprachigen Ländern Afrikas – darunter aus den Kapverden, | |
Guinea-Bissau, Angola und Mosambik –, zu komponieren. „Musik aus den | |
englisch- und französischsprachigen Ländern Afrikas ist viel bekannter als | |
die aus dem lusophonen Afrika. Dabei ist sie auch sehr vielfältig“, erklärt | |
Christine Semba von Piranha. | |
Die Teilnehmer aus Deutschland kommen überwiegend aus der Club-Szene. | |
Daniel Haaksman etwa, der in Berlin das Label Man Recordings betreibt und | |
einer der Kuratoren ist. Er hat über den Baile Funk aus Rio de Janeiro zur | |
zeitgenössischen Musik des lusophonen Afrikas gefunden. | |
Für ihn als DJ sei es „eine Befreiung“ zu sehen, dass „außerhalb der al… | |
Zentren des Pop tatsächlich noch neue Sachen passieren“. Zur Lusafro-Crew | |
gehören weitere illustre Gäste wie Sasha Perera – die ehemalige Sängerin | |
von Jahcoozi ist eine Ikone des Berliner Undergrounds. Aus der | |
afrikanischen Diaspora in Lissabon stammt dagegen Kalaf Epalanga, der mit | |
Buraka Som Sistema Grenzen niedergerissen hat. Das nach einem schlecht | |
beleumdeten Migrantenviertel in Lissabon benannte Soundsystem hat es mit | |
seinen Kuduro-Produktionen bis an die Spitze der europäischen Charts | |
geschafft. | |
## Musiker stehen Schlange | |
Auch DJ Marfox, Mitgründer des Lissaboner Label- und DJ-Kollektivs | |
Príncipe, dessen Familie aus São Tomé und Príncipe kommt, sagt, es sei | |
ihnen darum gegangen, die Kultur der Peripherie ins Stadtzentrum zu | |
bringen. Von kapverdischer Seite eingeladen sind derweil einige der | |
bekanntesten Rapper des Landes – darunter Batchart und Hélio Batalha – und | |
Nachwuchssängerinnen wie Ceuzany und Fattú Djakité, die sich den | |
kreolischen Traditionen ihrer Heimat verpflichtet fühlen. | |
In dem kleinen Studio stehen Musiker und Sänger bald Schlange, um Tracks | |
einzuspielen – es bleibt schließlich nur wenig Zeit. Parallel läuft das | |
Festival AME weiter. Man muss auf eigene Faust losziehen, um die andere | |
Seite Praias zu sehen. Etwa wie die jungen, stets gut gekleideten Rapper | |
und ihre Freunde, die am Stadtrand leben, in einem Viertel ohne Strom und | |
fließend Wasser. | |
Musikhistorisch spannend ist der Auftritt von Os Tubarões. Die Gruppe, die | |
den Funaná um Pop-Einflüsse von außen erweitert hat, gilt als beste | |
kapverdische Band aller Zeiten, ist aber ähnlich wie Bulimundo inzwischen | |
eine Altherren-Kombo. | |
## Kontroversen rund ums Business | |
Kontroverser als die Konzerte sind die Debatten, die nach Roundtables und | |
Workshops geführt werden. Dabei geht es oft ums Business. Denn der | |
afrikanische Musikmarkt ist extrem dynamisch. Komplexe westafrikanische | |
Rhythmen finden zunehmend Einzug in Charts-Produktionen, und Major-Labels | |
nehmen afrikanische Popstars wie Wizkid unter Vertrag. | |
Immer wieder drehen sich die Gespräche auch um Fragen von kultureller | |
Identität in der globalisierten Welt. Er habe noch nie mit Musikern aus | |
allen portugiesischsprachigen Ländern Afrikas gemeinsam an einem Tisch | |
gesessen, um sich über ihre Kultur auszutauschen, sagt Kalaf. DJ Marfox | |
wiederum sieht in der weitgehend ausgebliebenen Aufarbeitung der | |
portugiesischen Kolonialgeschichte einen Grund dafür, dass die lusophonen | |
Länder Afrikas bisher kaum miteinander vernetzt sind. „Über die Verbrechen | |
der Befreiungskriege, die zur Unabhängigkeit der Kolonien in Afrika | |
führten, wird in Portugal bis heute kaum gesprochen.“ | |
Ein schöner Kommentar zur Frage unserer aktuellen – auch musikalisch – | |
hybriden Identitäten ist der Künstlername von Sasha Perera: Perera | |
Elsewhere. Was soll eine Musikerin auch sagen, deren Familie Wurzeln in Sri | |
Lanka hat, die seit Langem in Berlin lebt, durch die ganze Welt tourt, | |
deren Label im kalifornischen Los Angeles ansässig ist und die ein | |
wundervolles mit Pidgin-Slang gespicktes Berlinerisch spricht? | |
## Elektrofrickler verwundern | |
Für Lusafro hat Perera einen sphärischen Track eingespielt, zu der die | |
Sängerin Fattú Djakité betörende Vocals liefert. Wie der Gesang einer | |
Meerjungfrau klinge das, finden die kapverdischen Musiker anerkennend. Auch | |
Fattú Djakité, die Ende des Monats nach Rio de Janeiro reist, um dort ihr | |
Debütalbum einzuspielen, gefällt die Kooperation. „Ich komme aus einer | |
armen Familie, und mithilfe der Musik kann ich sie unterstützen.“ | |
Über die experimentellen, gebrochenen Beats, die ihnen die deutschen | |
Lusafro-Elektronikfrickler vorlegen, sind die kapverdischen Musiker und | |
Rapper allerdings manchmal verwundert. Und auch das Publikum bei der AME | |
reagiert eher zurückhaltend auf Stile, die ihm nicht vertraut sind. Doch | |
dann die Überraschung: Gato Preto aus Düsseldorf. Das an Lusafro beteiligte | |
Afrofuturistik-Duo hat für seinen Auftritt senegalesische Trommler und | |
Tänzer engagiert – und bringt die Leute mit ihrem Global-Bass-Mix aus | |
Afrohouse und Kuduro schnell auf die Beine. | |
Man darf gespannt sein, wie das Publikum bei uns reagiert, wenn die | |
Lusafro-Kooperationen vom Projektpartner [1][WDR Cosmo] im Juli beim | |
Openair-Roadfestival „Odyssee“ und anschließend im Herbst bei „Big Up!�… | |
Berliner Club Gretchen präsentiert werden. | |
18 Apr 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www1.wdr.de/radio/cosmo/ | |
## AUTOREN | |
Ole Schulz | |
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