| # taz.de -- Clubsound von Nídia Minaj: Musik dekolonisieren | |
| > Musik wird oft ethnisiert, die Herkunft der KünstlerInnen zum Teil des | |
| > Marketings. Bisweilen gelingt es Einzelnen, sich der Zuordnung zu | |
| > verweigern. | |
| Bild: Nídia Minaj liefert einen der aufregendsten Neuentwürfe zeitgenössisch… | |
| Pop steht seit je für eine Welt ohne Grenzen, wird aber zugleich immer noch | |
| zwanghaft geografisch verortet. Das gilt vor allem für Musikphänomene, | |
| deren kultureller Ursprung vermeintlich außerhalb der Festung Europa liegt. | |
| Was darin resultiert, das Fremde nicht zu umarmen, sondern es von sich | |
| fernzuhalten, nicht wirklich zu integrieren – und stattdessen in eine | |
| Parallelgesellschaft zu verbannen. | |
| In einer solchen wuchs auch die 20-jährige portugiesische | |
| Clubmusikproduzentin Nídia Minaj auf. Vale de Amoreira ist ein sozial | |
| benachteiligter Vorort Lissabons und Hochburg von Kuduro und Batida, also | |
| elektronischen Musikstilen, die vor einigen Jahren aus den ehemaligen | |
| Kolonien wie Angola in die postmigrantischen Communitys Portugals | |
| diffundierten und bis heute den zentralen Soundtrack der Straßen | |
| darstellen. | |
| Von den hippen Musikmagazinen bis zu den traditionellen Feuilletons werden | |
| Autoren und Autorinnen nicht müde, Nídia Minajs Wurzeln (Kap Verde und | |
| Guinea-Bissau) zu betonen, als sei das im Jahr 2017 noch der Rede wert und | |
| als gebe es nicht schon genügend Spinner, die das Identitäre mit Herkunft | |
| und nicht mit dem Lebensmittelpunkt verbinden. | |
| Andererseits, es grüßt die deprimierende Dialektik der Dinge, wäre die | |
| Musik ohne jene Romantisierung des post-migrantischen Ghettolebens | |
| womöglich ungehört geblieben. Und das wäre eine Katastrophe gewesen. Nídias | |
| Minajs neues Album „Nídia é Má, Nídia é Fudida“, erschienen beim Lissa… | |
| Label Principe Discos ist einer der aufregendsten Neuentwürfe | |
| zeitgenössischer Clubmusik jenseits der geraden Techno-Bassdrum. | |
| ## Radikal ästhetisch | |
| Bevor dieser Text aber in die Falle tappt, die er zu umgehen versucht, um | |
| die Musik nicht in Herkunftskategorien zu ersticken, soll der Versuch eines | |
| „Sonic Delinking“ unternommen werden. Jener vom Hildesheimer | |
| Kulturwissenschaftler Johannes Ismaiel-Wendt geprägte Begriff möchte nichts | |
| weniger, als das Hören dekolonisieren. Musik ist heutzutage ohnehin immer | |
| hybrid. | |
| Nídias Musik ist nicht nur das, sondern auch radikal synthetisch. Sie ist | |
| nicht nur frei von anthropomorphen Unzulänglichkeiten, sondern auch von | |
| Lokalisierungen: Ob das mit trashigen Fanfaren, wummerndem Bass und | |
| angedeutetem 6/8-Beat daherkommende Intro, in dem eine Frauenstimme immer | |
| wieder die Worte „muhler profissional“ singt. Ob das rhythmisch schön | |
| verwirrende „Puro Tarraxo“ mit seinen überdrehten Vocalsamples oder das | |
| geisterhafte Stück „Sinistro“: Statt ausformulierten Songs basieren die von | |
| Kuduro, Footwork und Dub beeinflussten Tracks auf fragilen | |
| Rhythmusgebilden, die Kopf und Beine zugleich herausfordern, wobei Hall und | |
| Echo ein Gefühl der Orientierungslosigkeit evozieren. | |
| Dass die 20-Jährige, die ihr Handwerk mit YouTube-Videos erlernte, im | |
| Homestudio mit Laptop als Schaltzentrale komponiert, verschweigt die Musik | |
| nicht. Es ist vielmehr eine Affirmation an das Digitale. Eine von | |
| New-Age-Wärme und Nostalgie befreite Coolness, ein freundlicher | |
| Mittelfinger in Richtung der materialistischen Analog-Renaissance. | |
| Die Zerstörung des Authentischen erfolgt nicht nur auf klanglicher, sondern | |
| auch struktureller Ebene. Fast alle 14 Tracks dauern nur rund zweieinhalb | |
| Minuten. Die unmittelbaren, von nerdigem Eigenblutdoping befreiten Skizzen | |
| sind vor allem auch eines: direkt. Apropos: Der Albumtitel heißt übersetzt: | |
| „Nídia ist schlecht, Nídia ist gefickt“ – eine schöne Unverblümtheit,… | |
| der „Street“ vermeintlich näher ist als die angesagten Clubs dieser Welt, | |
| in denen Nídia Minaj auflegt. Das aber ist kein Widerspruch. Sondern eine | |
| Einladung, wirklich alle auf der Tanzfläche zu vereinen – und zwar in einem | |
| Raum jenseits kultureller Repräsentation. | |
| Nídia Minaj: „Nídia é Má, Nídia é Fudida“ (Principé Discos) | |
| 22 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Rhensius | |
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