| # taz.de -- Kolumne Globetrotter: Daumen hoch | |
| > Der Funaná ist ein Tanz von den Kapverden und war lange verboten. Jetzt | |
| > wird er wieder getanzt in den Straßen von Praia. | |
| Bild: Djocy Santos, eine kapverdische Musikerin auf der Atlantic Music Expo | |
| „Was war für dich das stärkste Bild?“, will P. immer von mir wissen, wenn | |
| wir aus dem Kino kommen. Seine Frage fällt mir ein, als ich vor ein paar | |
| Wochen mit dem Taxi durch die Anhöhen von Praia, der Hauptstadt der | |
| Kapverden, fahre. | |
| Die Landschaft, die am Fenster vorbeizieht, wirkt surreal: Viele der | |
| Betonhäuser am Straßenrand sehen verwaist aus, der Boden wirkt ausgedörrt. | |
| Dennoch leben hier Menschen. Als die Portugiesen Mitte des 15. Jahrhunderts | |
| das Archipel vor der Küste Senegals besiedelten, sollen die Kapverden noch | |
| unbewohnt gewesen sein. | |
| Mein Taxi fährt bis zu einem Hang, an dessen Spitze sich das Haus des | |
| ehemaligen Kulturministers Mário Lúcio befindet, mit dem eine libanesische | |
| Journalistin und ich verabredet sind. Wir sollen über die Musikmesse | |
| „Atlantic Music Expo“ berichten, die seit 2013 Akteure der Musikbranche von | |
| beiden Seiten des Atlantiks versammelt. Mário Lúcio, Gründer der Messe und | |
| selber Musiker, wird im Anschluss beim „Kriol Jazz Festival“ auftreten. | |
| ## Streunende Hunde und freilaufende Hühner | |
| Ich staune, als wir hinter dem Tor zu Lúcios Anwesen von einer Schar jener | |
| Hunde in Empfang genommen werden, die ich bis dahin nur einsam streunend an | |
| den Straßenrändern gesehen hatte. Im Garten erwarten uns zudem freilaufende | |
| Hühner und Enten. „Das Zusammenleben mit Tieren ist leichter als mit | |
| Bäumen“, begrüßt uns Mário Lúcio. | |
| Mit seinem Sohn entschied er, Käfige um die Pflanzen zu bauen – anstatt um | |
| die Tiere, die sie fraßen. „Pflanzen macht es hoffentlich nichts aus, | |
| eingesperrt zu sein. Sie bewegen sich ja nicht.“ Auf globale Ebene | |
| übersetzt hieße das: Schützt die Bäume! Und auch andere große Debatten | |
| nehmen keine Auszeit: Erderwärmung, Krieg im Nahen Osten oder der Schatten | |
| einer neuen Diktatur in Brasilien: Das sind alles Themen, die die | |
| Künstler*innen hier zutiefst besorgen. | |
| Umso dezidierter feiert man eine Woche lang zusammen die heilende Kraft der | |
| Musik – selbst als vier bewaffnete Soldaten eines Mittags vor mir im | |
| Marschschritt einen Zebrastreifen überqueren, denke ich eher an die Beatles | |
| als an Kriminalität. | |
| ## Funaná ist ein revolutionäres Genre | |
| Es geht schließlich um Musik: Seine letzte Platte, „Funanight“, widmete | |
| Mário Lúcio dem Funaná, einem kapverdischen Musik- und Tanzstil, der ab | |
| seiner Entstehung in den 1960ern bis zur Unabhängigkeit des Landes 1975 auf | |
| öffentlichen Plätzen verboten war. „Ich wollte verstehen, warum der Funaná | |
| als libertäres und revolutionäres Genre betrachtet wurde“, so Lúcio. | |
| Seine Recherchen führten ihn nach Europa, Lateinamerika, aufs afrikanische | |
| Festland, denn die Identität der Kapverden ist mit allen drei Kontinenten | |
| verbunden. Als portugiesische Kolonisten afrikanische Sklaven auf die | |
| Kapverden verschleppten, wurden die Kulturen mit Gewalt vermengt. | |
| Lúcio weiß: „Wir Kapverdier müssen uns unserer Geschichte und kreolischen | |
| Identität stellen, um existieren zu können.“ Sein afrikanischer Ursprung | |
| war ihm lange nicht klar, erzählt er. Erst als Student auf Kuba kam er mit | |
| Autoren in Berührung, „die nicht wie Spanier schrieben“. Zeitgleich | |
| begegnete ihm eine perkussive Musik, die man auf den Kapverden nur noch auf | |
| dem Land hören konnte. | |
| ## Frei sein | |
| Dennoch war genau diese Musik, wie er spürte, ein Teil seiner selbst. „Man | |
| weiß nicht, warum man lebt. Aber man weiß, dass man lebendig ist. | |
| Eigentlich haben wir keine andere Wahl, als uns selbst zu mögen, frei zu | |
| sein, uns zu verbessern und die anderen zu akzeptieren.“ Ich höre ihm | |
| fasziniert zu, in seinem Garten, umzingelt von Straßenkötern und Bäumen. | |
| Ein paar Tage später, auf dem Rückweg zum Flughafen, schaue ich aus dem | |
| Taxifenster, wobei mein Blick den eines Jungen kreuzt, der bei einer | |
| Bushaltestelle steht. Als wolle er fragen, ob bei mir alles okay ist, hebt | |
| er den Daumen nach oben. Bestätigend wiederhole ich die Geste: Alles okay! | |
| 15 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Elise Graton | |
| ## TAGS | |
| Geschlechtergerechtigkeit | |
| Clubmusik | |
| Portugal | |
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