# taz.de -- Nachtleben auf den Kapverden: Die swingenden Inseln | |
> Vor der Insel São Vincente gammeln die Tanker. Aber nachts kehrt Leben | |
> ein in Clubs und Restaurants: Bands spielen die Morna oder die schnellere | |
> Coladeira. | |
Bild: Die „Batukaderas Delta Cultura“ | |
Barfuß. Natürlich ist die Königin barfuß. So wie sie die Bühnen der Welt | |
betritt und mit ihren Füßen küsst, thront sie auf einem niedrigen, | |
zweisitzigen Sofa. In Mindelo steht das neue weiße Haus Cesaria Evoras. Die | |
Grande Dame der kapverdischen Musik, hält Hof. Um sie herum tanzt eine | |
devote Entourage aus Bediensteten, Journalisten und einheimischen | |
Bittstellern. Goldberingt fingert sie nach einer Marlboroschachtel, die in | |
ihrer Leopardenschürze steckt, zieht eine Zigarette heraus und raucht. | |
Gelegentlich lächelt sie, aber ihre Augen lächeln nicht mit. Sie sitzt | |
breitbeinig und leicht gebeugt. Mit ihrem bunt bedruckten weiten Kleid und | |
ihrem Kopftuch wirkt sie wie eine Eingeweihte, die Priesterin irgendeines | |
kreolischen Kults. | |
Schließlich geleitet sie ihre Gäste in ihre gute Stube, einen | |
Evora-Souvenirshop, dessen Wände mit gerahmten goldenen Schallplatten | |
gepflastert sind. Ihre Agentin übersetzt Evoras Kreolisch. An der Wand | |
tickt eine Elvis-Uhr. Evora holt eine Kristallkaraffe und serviert | |
eigenhändig einen Grogue, landestypischen bräunlichen Zuckerrohrschnaps. | |
Evora selbst rührt ihn nicht an. Früher, heißt es, war in jedem | |
Plattenvertrag der Whisky inklusive. Heute raucht sie nur noch wie ein | |
Schlot, doch das tut ihrer seelenvollen Stimme mit dem schwingenden, | |
dunklen Timbre keinen Abbruch. Im Gegenteil. Evora singt die Morna, wie | |
keine andere, vermischt die aus dem portugiesischen Fado stammenden | |
Elemente mit brasilianischen, kubanischen oder westafrikanischen Klängen. | |
„Die Morna“, sagt sie, „ist unsere Religion und unsere Therapie, sie erl�… | |
unsere Traurigkeit.“ Evora hatte kein leichtes Leben. Sie, ihren Blues und | |
ihre Würde entdeckte die Welt erst, als ein französischer Musikproduzent | |
der damals 47-jährigen Barsängerin zum internationalen Durchbruch verhalf. | |
Bis dahin blieb die Diva, die heute, mit fast siebzig Jahren, reisebereit | |
inmitten ihrer Koffer schläft, im kapverdischen Mindelo. | |
Evoras Stadt schmiegt sich umgeben von kargen Bergen in einen Talkessel und | |
klettert allmählich die Hänge hinauf. Die koloniale Architektur, die | |
großzügig angelegten Avenues und der selbstbewusste, modelhafte Gang der | |
Kreolinnen erzählen von ihrer alten Blüte. Früher war der natürliche Hafen | |
der Insel São Vincente ein idealer Zwischenstopp für Dampfschiffe, heute | |
gammeln hier neben einer Yachtflotte die Tanker. Doch der Geist der | |
Seeleute, die hier auf ihrem Weg zwischen Europa und Amerika Grogue, Gesang | |
und kreolische Giselles fanden, hat die Insel nicht ganz verlassen. Heute | |
noch pocht das Nachtleben im Rhythmus einer anderen Zeit. In traditionellen | |
Clubs und in kleinen Restaurants spielen Bands die Morna oder ihre | |
schnellere Variante, die heitere, vom karibischen Zouk und dem | |
brasilianischen Samba gefärbte Coladeira. | |
Die jungen Mindeloer sind portugiesischer als ihre Inselnachbarn, doch vor | |
allem sind sie brasilianischer. Brasilien war schon immer näher als Europa. | |
Heute laufen brasilianische Soaps auf allen TV-Kanälen. Die Kreolin, die im | |
Café Lisboa bedient, trägt große Ohrringe und ein Shirt mit der | |
Nationalflagge Brasiliens. Vielleicht ist sie auch später dabei, wenn die | |
Mindeloer Teenies und Twens beim Sonnenuntergang auf einem der Praças | |
geschmeidig zu brasilianischen Capoeiraklängen tanzen. Brasilien ist „in“ | |
in Mindelo, es ist der große Bruder der kleinen Insel São Vincente. | |
Heute winden sich die Mindeloer, wenn es um ihre afrikanischen Ursprünge | |
geht. Sie sind mehr Samba und Zouk als Sodade. „Batuko? Das ist | |
schrecklich, das ist afrikanisch, das ist keine Musik!“, ruft José, der | |
Mindeloer Touristenführer, und unterstreicht ganzkörperlich seine Abscheu | |
vor der afrikanischsten der kapverdischen Musikformen. Der Batuko, der von | |
der größeren Insel Santiago stammt, ist näher am Puls der afrikanischen | |
Vergangenheit der Inseln, die einmal als Umschlagplatz des | |
transatlantischen Sklavenhandels dienten. | |
Hier, zwischen Pranger und Kirche, war die schwarze Musik verboten, also | |
trommelten die Frauen auf Tüchern, die sie zwischen ihre Schenkel klemmten. | |
Für den Touristenführer mit der roten Baseballcap, der von seiner | |
afrikanischen Herkunft nichts wissen will, ist die Nachbarinsel Santiago | |
etwa so fern wie der Mond. Vielleicht auch, weil die Mindeloer den neuen | |
Hauptstädtern die Firmenzuzüge und Arbeitsplätze neiden und weil sie das | |
dort gesprochene Kreol, das Badio, kaum verstehen. | |
Doch die Kapverdianer feiern ihre Versöhnung. Ein paarmal im Jahr packen | |
sie ihre Siebensachen und ziehen dahin, wo die Musik spielt, immer am | |
Strand. Bei den großen Musikfestivals der Inseln kommt die Nation zusammen | |
und feiert. Alle kommen: Alte und Mamas, Kiffer und Kiddies. Wer | |
zusammenbricht, schläft am Strand. Aber wer bricht schon zusammen, wenn die | |
Inseln swingen? Spätestens am Morgen, wenn die Sounds der Nacht verklungen | |
sind, baden alle im Rhythmus des Meeres. Zwischen Brasilien, Europa und | |
Afrika. | |
Für einen langen Moment wissen sie dann vielleicht, was ihre Inseln | |
eigentlich zusammenhält. Der Premierminister der Kapverden jedenfalls muss | |
es geahnt haben, als er der Königin des Morna einen Diplomatenpass verlieh. | |
Cesaria Evora ist die wahre Botschafterin der Inselkette im Atlantik, denn | |
die Botschaft der Inseln ist ihre Musik. | |
27 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Heike Gatzmaga | |
## TAGS | |
Portugal | |
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