# taz.de -- Kommentar Referendum in der Türkei: Europa muss jetzt reagieren | |
> Erdoğan hat es tatsächlich geschafft, die Republik Türkei zu beerdigen. | |
> Ihn jetzt noch aufzuhalten, ist nahezu unmöglich. Was also tun? | |
Bild: Sie haben „Evet“ zur islamischen Führerdiktatur gesagt und jubeln je… | |
Als vor gut zehn Jahren Ideologen der AKP erstmals davon sprachen, dass die | |
1923 gegründete säkulare türkische Republik nichts anderes sei als ein | |
Betriebsunfall der Geschichte, der möglichst bald korrigiert werden müsse, | |
schüttelten viele noch den Kopf angesichts solch irrer Phantasien einiger | |
islamischer Fanatiker. | |
Gestern Nacht ist diese Vision Realität geworden. Recep Tayyip Erdoğan, der | |
Islamist aus den Slums vom Goldenen Horn, hat es nach 15 Jahren extremer | |
politischer Kämpfe tatsächlich geschafft, die säkulare, nach Westen | |
ausgerichtete Republik Mustafa Kemal Atatürks zu beerdigen. | |
Noch wollen viele das nicht wahrhaben. Das Ergebnis war extrem knapp und | |
noch dazu wahrscheinlich manipuliert. Bis auf die Ausnahme von Bursa haben | |
alle großen Städte des Landes dagegen gestimmt. Die urbanen, gebildeten, | |
weltoffenen Menschen der Türkei wollen ihre parlamentarische Demokratie | |
nicht gegen eine islamische nahöstliche Führerdiktatur eintauschen. | |
Noch hofft die Opposition auf ihre Einsprüche bei der Wahlbehörde, noch | |
kündigen zivilgesellschaftliche Sprecher der Nein-Bewegung an, weiter | |
Widerstand leisten zu wollen, sogar jetzt erst recht. Doch die Hoffnung, | |
dem von Erdoğan geschaffenen Repressionsapparat jetzt noch wirkungsvoll | |
entgegen treten zu können, ist doch etwas vermessen. | |
## Die letzte Chance verpasst | |
Erdoğan hat in den letzten 15 Jahren bewiesen, dass er mit größerem | |
Widerstand fertig geworden ist. Er hat dem einst allmächtigen Militär das | |
Rückgrat gebrochen, die säkulare Führungsschicht der Türkei Schritt für | |
Schritt ausgebootet und durch eigene Anhänger ersetzt. Nach einem | |
angeblichen Putschversuch hat er dann die einstigen Mitkämpfer gegen die | |
säkulare Republik, die Gülen-Bewegung, ebenfalls entmachtet und ihre | |
führenden Leute einsperren lassen. | |
Die Volksabstimmung vom Ostersonntag, so unfrei und unfair sie auch war, | |
war dennoch wohl die vorläufig letzte Chance, die Alleinherrschaft des | |
Recep Tayyip Erdoğan noch infrage zu stellen. Jetzt folgt die Umsetzung des | |
Systemwechsels bis hin zur Wahl des Präsidenten auf Grundlage der neuen | |
Vollmachten 2019. | |
Deutschland und Europa werden auf die neue Türkei reagieren müssen. Erdoğan | |
wird den EU-Beitrittsprozess durch die Wiedereinführung der Todesstrafe in | |
naher Zukunft beenden. Das wichtigste ist jetzt, den Kontakt zu den 50 | |
Prozent der türkischen Bevölkerung, die für die Demokratie und den | |
Anschluss an den Westen gestimmt haben, dennoch nicht abreißen zu lassen. | |
Europa muss jede Gelegenheit nutzen, zivilgesellschaftliche Initiativen zu | |
unterstützen, auch wenn Erdoğan versuchen wird, dies zu verhindern. | |
Und, so merkwürdig sich das im Moment auch anhören mag: Europa sollte den | |
Visazwang für türkische Bürger so schnell wie möglich aufheben. Denn nur so | |
kann die türkische Zivilgesellschaft den Kontakt zu Europa | |
aufrechterhalten, auf den sie so dringend angewiesen ist. | |
17 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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