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# taz.de -- Sean Spicers Entgleisung: Wer ist hier der Hitler?
> Soll der Gegner dämonisiert werden, muss ein Hitler-Vergleich her. Doch
> meist entspringt die Haltung dahinter der weiß-männlichen Filterblase.
Bild: Geht eigentlich nie: der Hitler-Vergleich
Wenn gar nichts mehr geht, geht immer noch Hitler: Das ist eine der ersten
Lektionen, die angehenden Kolleginnen und Kollegen an den diversen
Rudolf-Augstein-Gedächtnis-Journalistenschulen dieses Landes auf ihren
unsicheren Berufsweg mitgegeben wird. So tot konnte der Massenmörder gar
nicht sein, dass der Spiegel-Übervater nicht doch noch regelmäßig die
Nation mit neuen, sensationellen Enthüllungen rund um den –
selbstverständlich schröcklichen, aber vor allem: geheimnisvollen – Führer
versorgte.
Apropos Enthüllungen: Der Stern und alle die von ihm gelernt haben,
schaffen es noch heute, jedes beliebige Thema mit einem vollkommen nichts
zur Sache beitragenden weiblichen Nacktfoto zu bebildern. Und „Hitler,“
„nackt“, „Penis“, „Gas“ sind schließlich zu beliebig kombinierbaren
Reizworten des kommerziellen online-Journalismus geworden, auf die der
gemeine User praktisch automatisch abklickt.
Zu folgern ist aus dieser lockeren Aufzählung jedenfalls dies: Wer einen
Hitler-Vergleich ablässt, will damit Teile des menschlichen Apparates
ansprechen, die jenseits des wachen Verstandes und der guten Sitten liegen.
Und dazu passt wohl, dass der Pressesprecher des Weißen Hauses, Sean
Spicer, in seiner Jugend als Sean Sphincter (Schließmuskel) verspottet,
sein ganzes Berufsleben lang nichts anderes getan hat, als Politik zu
verkaufen.
Unter einem Präsidenten Trump ist das gewiss besonders herausfordernd, und
so verstieg sich Spicer am vergangenen Dienstag bei einer Presse-Konferenz
[1][zu der Aussage, sogar jemand, der so „verabscheuungswürdig“ gewesen sei
wie Hitler, sei „nicht so tief gesunken, chemische Waffen zu verwenden“].
## Für Spicer und Co gehören Juden und Mexikaner nicht dazu
Noch während des Presse-Briefings geriet Spicer in die Defensive und sagte,
dass Hitler seine Opfer in „Holocaust Center“ geschickt und dort ermordet
habe. Die Los Angeles Times schrieb dazu, „Holocaust centers“ sei kein
Code-Wort für Neonazis – also keine versteckte Anspielung auf die Leugnung
des Holocaust: [2][„Es ist einfach ein Satz, der dir aus dem Mund kommt,
wenn du keine Ahnung von dem hast, worüber du redest.“]
Und doch dürfe man den Pressesprecher nicht einfach so davonkommen lassen,
heißt es in der LA Times weiter. Der Kernpunkt von Spicers nachgebesserter
Aussage sei nämlich: „Assad gassed his own people, Hitler gassed the Jews.“
Und das passe genau in die weiße, männliche Filterblase, in der die ganze
Trump-Truppe stecke: Dass nämlich Juden, aber auch Muslime, Mexikaner,
Migranten, überhaupt alle Nichtweißen und letztlich auch alle Frauen eben
nicht „own people“ seien.
Der deutsche Kontext ist nicht sympathischer: Hier dienen Hitlervergleich
und Hitlerbeschwörung wahlweise der absoluten Verbösung des politischen
Gegners, worauf dann die rituelle Entschuldigung folgt; oder der
verständnisheischenden Exkulpation des verführten kleinen Volksgenossen bzw
des SS-Monsters: Hitler sei ja so wahnsinnig magisch, charismatisch,
drogenabhängig etc. gewesen, wie eben nun neueste Fakten belegten: Da
konnte man ja gar nicht anders als mittun.
Wem all das Vergleichen mal wieder nicht guttut, sind die Syrer. Sie
stecken weiter in einem Gemetzel fest, das noch Jahrzehnte so weitergehen
kann, mit [3][Massakern Assads] hier, russischen Krankenhausbombardierungen
dort und zwischendurch ein paar von US-Zerstörern abgefeuerten Tomahawks.
Um Hitler und seine Verbrecherbande zu besiegen, musste sich die ganze Welt
vereinen, bei Syrien scheint die Weltgemeinschaft fest vereint nur im
Willen, das Land weiter ausbluten zu lassen: Man könnte es den Syrern
schwerlich verübeln, wenn sie dafür einen Nazivergleich heranziehen würden.
12 Apr 2017
## LINKS
[1] /Erneuter-Ausfall-des-Trump-Sprechers/!5400893
[2] http://www.latimes.com/opinion/op-ed/la-oe-berlatsky-spicer-sessions-holoca…
[3] /Giftgasangriff-in-Syrien/!5395860
## AUTOREN
Ambros Waibel
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