# taz.de -- Wenn Anschläge zum Alltag gehören: … und nun zu weiteren Nachri… | |
> Auslandskorrespondent*innen erzählen von Orten, an denen der Terror zum | |
> Alltag gehört. | |
Bild: Eine Rauchwolke in Bagdad, kurz zuvor ist eine Autobombe explodiert (Arch… | |
## Drama für die Einschaltquote | |
Als ich auf BBC die Nachrichten über den Terroranschlag in London hörte, | |
wurde mir wieder klar, dass ich aus der sogenannten dritten Welt berichte. | |
Über Stunden zog sich die Berichterstattung, sofort war von | |
„Terroranschlag“ die Rede, dabei war nichts bestätigt. Dramatisierter | |
Journalismus. Sobald etwas in London, Brüssel, Paris oder Berlin passiert, | |
steht die Welt still und ist entsetzt. | |
Manchmal möchte ich die Kollegen aus dem sicheren Europa einladen: in den | |
Kongo beispielsweise. Nur einen einzigen Tag, um mal die Perspektive zu | |
wechseln. Vergangene Woche sind Kollegen von Reuters und RFI im Dschungel | |
über 12 Massengräber gestolpert: Schädel, Knochen – alle übel zugerichtet. | |
An nur einem Morgen berichten mir Kongolesen per E-Mail, Facebook, | |
WhatsApp: Der Vorsitzende des Friedensgerichts mit der Axt in Stücke | |
gehackt, 42 Polizisten enthauptet, mindestens 20 Tote durch Massaker von | |
Milizen, zwei UN-Ermittler seit 14 Tagen im Dschungel entführt. Doch ich | |
habe Probleme, auch nur eine einzige News in deutschen Medien | |
unterzubringen. Sie sind alle mit sich selbst beschäftigt. | |
Man soll und darf Leichen nicht gegeneinander aufrechnen. Doch stellen Sie | |
sich mal vor, das würde jeden Tag in Europa passieren – was wäre dann in | |
den Medien los? Journalisten würden die Öffentlichkeit mit Drama | |
terrorisieren, um die Einschaltquoten hochzujazzen. Dabei ist es genau das, | |
was die mutmaßlichen Terroristen wollen – und die Medienwelt arbeitet ihnen | |
brav zu. | |
So eine Livesendung aus dem Kongo, die würde keiner hören wollen. Dennoch | |
wäre es fair, wenn bei all dem Drama in Europa, jemand ab und zu den | |
Horrornachrichten aus dem Rest der Welt zuhört, um zu verstehen, dass | |
dieser Psychoterror, den wir uns in Europa medial selbst gestalten, in | |
anderen Teilen der Welt real und allgegenwärtig ist. Simone Schlindwein, | |
Kampala | |
*** | |
## Für immer Nachbarn | |
Es gibt im Arabischen ein Sprichwort das lautet: „Der Nachbar ist wichtiger | |
als die Wohnung.“ Will heißen: Wer sich demnächst eine Wohnung sucht, | |
sollte sich zuerst den Nachbarn und dann die Wohnung ansehen. Das ist wohl | |
ein guter Rat, aber geografisch kaum anwendbar. Europa kann der turbulenten | |
arabischen Nachbarschaft nicht den Mietvertrag in der Nachbarwohnung | |
aufkündigen. Damit ist Europa, ob es will oder nicht, mit der arabischen | |
Welt in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden. Ob an der Tankstelle, bei | |
Diskussion um Migration oder Fragen der Sicherheit. | |
Wenn im Prozess des langen turbulenten und blutigen Wandels, den die | |
arabische Welt gerade durchmacht, militante Bewegungen entstehen, dann | |
trifft das automatisch auch Europa. Das erleben wir gerade mit den | |
IS-Anschlägen. Jene die sich in Europa von der arabischen Welt abschotten | |
wollen, werden immer wieder von der Realität eingeholt. Auf dem | |
Weihnachtsmarkt in Berlin, auf den Brücken von London. | |
Man kann heute überall zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sein. In der | |
arabischen Welt hat man sich schon lange an Anschläge als Teil des Alltags | |
gewöhnt, die bestenfalls nur noch mediale Eintagsfliegen sind. Das wird | |
zwangsweise auch in Europa geschehen. | |
Und wenn die arabische Welt zum einem der größten Probleme Europas geworden | |
ist, dürfen wir nicht vergessen, dass Europa auch immer einen Teil der | |
Probleme der arabischen Welt ist. Wenn die Golfstaaten jedes Jahre für | |
viele Milliarden Waffen einkaufen, kommt ein Teil davon aus Europa. Das | |
gleiche Europa, das alle arabischen Autokraten im Namen der Stabilität | |
unterstützt hat und es noch bis heute tut. | |
Europa war in der arabischen Welt niemals außen vor, genauso wie die | |
arabische Welt mit all ihren Problemen auch in Europa immer präsent sein | |
wird. Karim El-Gawhary, Kairo | |
*** | |
## Drei Breitscheidplätze im Monat | |
Die Geschichte des Anschlags auf der Westminster Bridge, tweetete jemand, | |
sei die Geschichte jener Menschen, die an jenem Abend nicht mehr nach Hause | |
kamen. In Kabul kamen 2016, dem blutigsten Jahr seit Langem, 305 Menschen | |
nach Anschlägen nicht mehr heim. Das ist ein „Breitscheidplatz“ zwei bis | |
dreimal pro Monat, und zwar nur in der afghanischen Hauptstadt. Für die | |
Südprovinz Kandahar wurden von September 2015 bis Mai 2016 1.880 | |
„Zwischenfälle“ registriert, von Gefechten bis zu Selbstmordattentaten. Wie | |
viele Menschen danach nicht nach Hause kamen? Wohl um die tausend. | |
Aber im Gegensatz zu den Anschlägen in Paris, Nizza, Brüssel, Berlin oder | |
London tauchte hinterher niemand Brandenburger Tor oder Eiffelturm per | |
Lichteffekt in afghanisch Schwarz-Rot-Grün. Hashtag JeSuisKandahar? | |
Fehlanzeige. | |
Zugegeben: Solche Gesten der Solidarisierung macht keinen Afghanen wieder | |
lebendig. Doch die mangelnde Empathie ist ein Ausdruck der Verdrängung – | |
der Mitverantwortung unserer Regierenden für die Opfer zwischen London und | |
Kabul. Denn sie sind Resultat ihrer fehlgeschlagene | |
Afghanistan-Intervention, die al-Qaida zerschlug, aber in alle Winde | |
zerstreute und in den „Islamischen Staat“ mutieren ließ. Norwegen, das | |
einzige Land, das bisher seinen Afghanistaneinsatz öffentlich evaluierte, | |
hat diese Kausalkette zugegeben. | |
Ein Brandenburger Tor mit afghanischem Lichteffekt wäre also zumindest | |
deshalb gut, weil Kanzleramtsminister Peter Altmaier das aus seinem | |
Bürofenster sehen könnte – der Mann, der neulich behauptete, Millionen | |
Afghanen lebten in Normalität. Thomas Ruttig, Kabul | |
*** | |
## Kompromisse für Sicherheit | |
Jedes Mal ein kleines bisschen weniger schockierend sind die Meldungen über | |
neue Terroranschläge, wie jetzt in London. Sie kommen nicht mehr | |
überraschend. Bestürzung und Trauer machen Platz für die Frustration | |
darüber, dass kein Ende abzusehen ist. Es gibt kein gutes Gegenmittel gegen | |
diese von Menschenhand gemachte Pest. | |
Alltag mit Terror – in Israel gilt das seit Jahrzehnten. Die Gewalt ist | |
zermürbend und lässt die Menschen Kompromisse machen in Sachen Freiheit und | |
Gleichheit. Die Kontrollen von Taschen und Kofferraum sind so | |
selbstverständlich wie arabische Staatsbürger, die von Polizisten zur Seite | |
genommen werden und sich ausweisen müssen. Privatsphäre und Datenschutz | |
spielen immer weniger eine Rolle. Längst sind die sozialen Netzwerke | |
beliebter Tummelplatz des inländischen Nachrichtendienstes. Niemand | |
beschwert sich, solange das im Namen unserer Sicherheit geschieht. | |
Die Motive für den Terror in Israel sind andere als die der islamistischen | |
Attentäter, die in London, Berlin oder Nizza ihr Unwesen treiben. Hier geht | |
es um die Selbstbestimmung der Palästinenser, dort um einen nebulösen | |
Rundumschlag gegen die westlichen Werte, gegen Demokratie und Freiheit. | |
Die Attentate erschweren es, solidarisch zu sein mit dem Volk und seinem | |
berechtigten Wunsch auf Eigenstaatlichkeit. Nicht wegen des Terrors in | |
Israel, sondern trotz der Gewalt gilt es, für Palästina einzutreten, auch | |
mit der Perspektive darauf, dass es weiter Anschläge geben wird. Den | |
Islamisten ist mit einem Ende der Besatzung und der | |
Menschenrechtsverletzungen allerdings nicht beizukommen. Susanne Knaul, | |
Jerusalem | |
27 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
Karim El-Gawhary | |
Thomas Ruttig | |
Susanne Knaul | |
## TAGS | |
Terroranschlag | |
Kongo | |
Ägypten | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Israel | |
Afghanistankrieg | |
Al Qaida | |
Israel | |
Kanada | |
Israel | |
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt | |
Niger | |
Philippinen | |
Somalia | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Taliban-Angriff in Afghanistan: Rücktritt vor hohem US-Besuch | |
Ein schwerer Taliban-Angriff führt zum Rücktritt von Verteidigungsminister | |
und Generalstabschef. Nun fehlen dem Pentagonchef die Gesprächspartner. | |
Debatte Terrorismus und Al-Qaida: Kein Automatismus mehr | |
Al-Qaida ist über die Jahre zu einem Konglomerat regionaler Gruppen | |
geworden. Was heißt das für den Anti-Terror-Kampf des Westens? | |
Dialog zwischen Juden und Muslimen: Einfach ein bisschen leiser | |
Viele Juden und Muslime streiten über den islamischen Gebetsruf. Zwei | |
kleine Nachbargemeinden aber setzen einfach auf Rücksicht. | |
Kommentar Rechter Anschlag in Quebec: Den Hass nicht verharmlosen | |
Sind uns getötete Muslime in Quebec weniger wichtig als ermordete | |
Nachtschwärmer in Istanbul oder Paris? Hoffentlich nicht. | |
Terroranschlag mit Lkw in Jerusalem: Palästinenser tötet vier Israelis | |
Ein Palästinenser fährt laut Polizei „spontan“ mit einem Lkw in eine Grup… | |
von Soldaten an einem Ausflugsort in Jerusalem. Die Hamas ist begeistert. | |
Internationale Presse zu Berliner Anschlag: Die Belagerung der alten Welt | |
Die weltweite Berichterstattung zum Attentat auf dem Breitscheidplatz | |
reicht von Anteilnahme über Hysterie bis zu besonnener Übersichtlichkeit. | |
Ein Überblick. | |
Terroranschlag in Niger: Al-Qaida grüßt die Kanzlerin | |
Bei einem Anschlag in einem Flüchtlingslager in Niger kamen mindestens 22 | |
Sicherheitskräfte ums Leben – wenige Tage vor Merkels Besuch. | |
Nach Anschlag auf Philippinen: Duterte setzt auf das Militär | |
Über ein Dutzend Menschen sind bei einem Anschlag auf den Philippinen | |
getötet worden, mehr als 70 erlitten Verletzungen. Der Präsident kündigt | |
Sondereinsätze an. | |
Terroranschlag in Mogadischu: Mindestens zehn Tote | |
Die Dschihadisten der Al-Shabaab bekennen sich zu der Attacke vor einem | |
Hotel in Mogadischu. Unter den Verletzten soll auch ein Minister sein. |