| # taz.de -- Dialog zwischen Juden und Muslimen: Einfach ein bisschen leiser | |
| > Viele Juden und Muslime streiten über den islamischen Gebetsruf. Zwei | |
| > kleine Nachbargemeinden aber setzen einfach auf Rücksicht. | |
| Bild: Offenes Ohr für die andere Seite: Zwei Dörfer in Israel einigen sich ü… | |
| Jerusalem taz | Endlich mal ruhig schlafen sollen die Bürger Israels. Mehr | |
| wolle er gar nicht mit seinem Gesetzentwurf erreichen, argumentiert Motti | |
| Jogev, Abgeordneter der Siedlerpartei Das jüdische Heim. Jogev will Israels | |
| Muezzins verstummen lassen. Der Ruf durch die Lautsprecher fünf Mal am Tag | |
| sei Lärmbelästigung. Die arabisch-israelischen Politiker in der Knesset | |
| toben. | |
| Als schlicht überflüssig empfinden dagegen die Nachbargemeinden Beit Safafa | |
| und Gilo den Reformvorschlag. Im Dialog miteinander einigten sich Muslime | |
| und Juden friedlich und ganz ohne Zutun der Politiker. Ofer Ajubi, | |
| Verwaltungsdirektor von Gilo, rief in Beit Safafa an, als ihn der Ruf des | |
| Muezzins erneut um den Schlaf brachte. | |
| „Könnt Ihr das nicht unter euch regeln“, soll ihm ein Polizist geraten | |
| haben. „Und so haben wir es dann gemacht“, berichtet Mohammed Alajan, | |
| Gemeindevorsteher von Beit Safafa. Schon im Koran stehe geschrieben, dass | |
| Muslime ihre Nachbarn respektieren sollen. Trotzdem könne man nicht | |
| komplett auf den Muezzin verzichten, schließlich ginge es hier um den Ruf | |
| zum Gebet, und „der kommt von Gott“. Aber den Lautstärkeregler ein wenig | |
| runterdrehen? Darüber ließe sich reden. | |
| ## Andächtiges „Allahu akbar“ | |
| Seit 1962, als Beit Safafa Strom bekam, ruft der Muezzin die Muslime über | |
| Lautsprecher zum Gebet. Insgesamt fünf Moscheen gibt es in dem | |
| Stadtviertel. Taufik Alajan, ein Vetter des Gemeindechefs, steht am | |
| Mikrofon der Al-Rahman-Moschee und singt andächtig die Worte „Allahu akbar“ | |
| („Gott ist groß“). In seinem Ermessen liegt es, wie laut der Ruf über die | |
| Häuser schallt. „Es dauert nur drei Minuten“, sagt er und wundert sich üb… | |
| die Aufregung. | |
| Vor allem nachts sollen die Nachbarn in Gilo verschont werden. „Früher ging | |
| das um vier Uhr morgens schon los“, erinnert sich Ajubi, der bewusst | |
| behutsam gehandelt habe. „Sobald es um Religion geht, liegen die Nerven | |
| blank.“ Gerade deshalb lehne er eine gesetzliche Regelung strikt ab. | |
| Vorschriften und Strafen würden den Konflikt nur verschlimmern. Hier sei | |
| „eine Lösung auf lokaler Ebene“ angebracht, und „Mohammed hat verstanden, | |
| dass der Lärm nervt“. | |
| Gilo liegt in Ostjerusalem und ist aus palästinensischer Sicht eine | |
| Siedlung. Formal gehört es genau wie das muslimisch-christliche Beit Safafa | |
| zur Stadt Jerusalem. Anfangs erwog man im Rathaus, Messgeräte für die | |
| Dezibel an den Moscheen anzubringen. Der nun erreichte Kompromiss sieht | |
| hingegen kleinere Lautsprecher vor, die gezielt auf die Häuser der Muslime | |
| gerichtet werden. | |
| Der Staat unterstützt das Pilotprojekt, doch vorläufig reichen die | |
| öffentlichen Gelder für die Ausstattung von nur zwei Moscheen. Perfekt | |
| klappt es noch nicht mit der Rücksicht auf die jüdischen Nachbarn. | |
| Ausgerechnet am Jom Kippur, dem heiligen Versöhnungstag, an dem fromme | |
| Juden fasten und beten, habe der Muezzin in Beit Safafa „sechs Stunden | |
| hintereinander“ über die Lautsprecher gesungen. „Wir können die Lautstär… | |
| nicht kontrollieren“, sagt Ajubi, der auf die rasche Finanzierung der | |
| kleineren Lautsprecher drängt. Umgerechnet rund 10.000 Euro pro Moschee | |
| seien nötig, um das Problem zu lösen. | |
| ## Provokation an Jom Kippur | |
| Jogevs Gesetzreform würde den Staat ohne Zweifel billiger kommen. | |
| Landesweit gibt es rund 400 Moscheen, wobei nicht alle so dicht an von | |
| Juden bewohnten Häusern stehen, dass sie problematisch sind. In der Knesset | |
| zeichnet sich eine Mehrheit für die Gesetzesinitiative ab. Laut Version der | |
| Siedlerpartei, müssten die Lautsprecher der Muezzins komplett abgeschafft | |
| werden. Wahrscheinlich ist indes eine derzeit diskutierte mildere Fassung, | |
| die nur nachts den Einsatz von Lautsprechern verbietet. Bei einem Verstoß | |
| würden die Moscheen mit umgerechnet bis zu 2.500 Euro Bußgeld belangt | |
| werden können. | |
| Kritiker halten jedoch gerade die milde Version für diskriminierend, da sie | |
| die Sirenen ausschließt, die in ultraorthodoxen jüdischen Gemeinden am | |
| frühen Freitagabend den Beginn des Sabbat einläuten. | |
| 27 Mar 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Knaul | |
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