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# taz.de -- Forensik statt Freiheit: Freigesprochen hinter Gittern
> Die Stalkerin Meike S. wurde nach einem langen Prozess in die Psychiatrie
> eingewiesen. Mitverantwortlich sollen Verteidigung und Unterstützer sein.
Bild: Francisco de Goya späte Kreidezeichnung – ein Plädoyer für eine mens…
Meike S. hat nun zwar ihren Freispruch in der Tasche, nach Hause darf sie
aber trotzdem nicht. Die 48-jährige Bremerin hatte ihren Ex-Partner trotz
Kontaktverbot mit SMS und Anrufen belästigt und bedroht. Auch sein Auto hat
sie schwer beschädigt. Schuldunfähig sei sie, urteilte das Landgericht
vergangene Woche und folgt damit dem bestellten Gutachten. Dass S. trotzdem
weiterhin in der Forensik am Klinikum Bremen-Ost einsitzen wird, liegt am
gleichen Papier: Die Gutachterin attestiert S. eine „Manie mit
psychotischen Symptomen“ und geht davon aus, dass S. gegenüber ihrem
ehemaligen Partner „erheblichen Straftaten“ verüben könne.
Dass sein Urteil nun auch rechtskräftig wird, daran übt Thorsten Prange,
Vorsitzender Richter am Landgericht, Zweifel. Eine Revision ist möglich und
da die Verteidigung, wie Prange in seiner Urteilsbegründung ausführt, mit
außergewöhnlich harten Bandagen gekämpft habe, rechne er mit der
Anfechtung. Die Verteidigung hatte etwa Bedenken gegenüber dem Gutachten,
das an entscheidenden Stellen nur ausführe, was „nicht auszuschließen“ se…
[1][Auch waren die Gerichte lange fälschlicherweise von einer Vorstrafe
ausgegangen.]
Das Verfahren habe zu lange gedauert, sagt Prange, darin gebe er der
Verteidigung recht. Nur seien die Anwälte daran selbst schuld, weil sie
eine unnachgiebige „Alles-oder-Nichts-Strategie“ verfolgt und das Verfahren
mit ihren Befangenheitsanträgen in die Länge gezogen hätten. Hätte sich S.
auf die Psychopharmaka eingelassen, so Prange, dann wäre sie nun vermutlich
auf Bewährung draußen. Doch S. will keine Medikamente und keine Klinik
mehr. Weil ihr die Krankheitseinsicht fehle, behauptet Prange – weil die
Klinik Menschen nur ruhigstelle, heißt es hingegen von der
Psychiatriekritischen Gruppe.
Diese AktivistInnen hatten sich in das Verfahren eingemischt, den Fall
öffentlich gemacht und S. auch privat unterstützt. Als sie vorübergehend
aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, hat ihr die Gruppe eine Wohnung
besorgt. „Sicher gut gemeint“, sagt Prange, aber zeitweise sei ihm das „w…
fundamentaler Feldzug gegen Maßregelvollzug und die Forensik“ vorgekommen –
auf dem Rücken der Beklagten. Richter und Gutachterin sagen nun, dass
gerade diese Unterstützung S. geschadet habe. Eine wahnhafte Ablehnung der
Psychiatrie und ihr Misstrauen gegen die Justiz seien dadurch verstärkt
worden.
Mit ihren Zweifeln ist die Angeklagte derzeit jedoch nicht allein: Gerade
als das Verfahren sich dem Ende neigte, entbrannte in Bremen eine
politische Debatte über die Zustände am Klinikum-Ost. Abgeordnete quer
durch die Bürgerschaftsfraktionen und selbst die Gesundheitssenatorin
hatten die Klinik scharf kritisiert, weil dort systematische Fixierungen
vorgenommen und Therapien jenseits der Medikation oft nicht angeboten
werden. Das Krankenhaus lenkte ein, klagte über seinen Personalmangel und
tauschte vergangene Woche sogar die Chefetage aus.
## Gefährlicher Automatismus
Meike S. vertraut der Klinik nicht. Dabei müsse so eine Einweisung ja auch
gar nicht lange andauern, sagt Prange. Die Forensik sei kein finsteres
Loch, „in dem Menschen vergessen werden“. Prange verweist auf 150–180
PatientInnen und über 1.000 Anhörungen durch die Kammer. Die Positionen
scheinen unvereinbar: Gerade in dem, was der Richter als Ausweis von
Expertise und Verantwortungsbewusstsein anführt, sehen die
PsychiatriekritikerInnen als einen gefährlichen Automatismus. Eben darum
begleiteten sie solche Prozesse. Für Meike S. standen sie mit Transparenten
vor der Tür, führten drinnen Protokoll und wollten moralische Unterstützung
leisten. Zwischendurch wurden sie sogar als ZeugInnen gehört. Dass sie mit
ihrer Grundsatzkritik nach eigener Einschätzung keinen Einfluss auf den
Prozessausgang nehmen konnten, beschäftigt die AktivistInnen auch nach
Ende des Verfahrens.
Dass sie schuld sein sollen an der Verschlechterung von S.s Zustand,
verärgert die Gruppe. Ob sie künftig nochmal versuchen, vor Gericht Gehör
zu finden, steht dennoch auf dem Prüfstand. Man habe sie missverstanden und
zum Nachteil von S. „umgedeutet“, sagen sie – „fast als Spitzel benutzt…
Und was aus einer Aussage gemacht werde, liege eben nicht in ihrer Hand.
26 Mar 2017
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## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
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