| # taz.de -- Bundesgericht hebt Zwangseinweisung auf: Weggesperrt ins Ungewisse | |
| > Meike S. sitzt aufgrund einer Zwangseinweisungen seit 20 Monaten in der | |
| > Forensik des Klinikums Bremen-Ost. Jetzt hob der Bundesgerichtshof das | |
| > letzte Urteil auf. | |
| Bild: Abschreckend: Beobachtungsraum in einer forensischen Psychiatrie. | |
| Seit 20 Monaten ist Meike S. nun schon zwangsweise in der Forensik des | |
| Klinikums Bremen-Ost untergebracht. [1][Dabei urteilte bereits im | |
| vergangenen September das Bundesverfassungsgericht] nach einer | |
| Verfassungsbeschwerde durch S.'s Anwalt Sven Sommerfeldt, es fehle die | |
| „gebotenen Begründungstiefe“ für die gerichtlich angeordnete Unterbringung | |
| der Frau. | |
| Jetzt hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) beschlossen: [2][Das Urteil des | |
| Landgerichts Bremen vom 23. März 2017], nach dem S. in der geschlossenen | |
| Psychiatrie verbleiben musste, ist aufgehoben: Der Fall, so der | |
| BGH-Beschluss, muss neu verhandelt werden. Ob S. nun frei kommt, steht | |
| dennoch in den Sternen. | |
| [3][Meike S. ist eine Stalkerin]. Sie traktierte 2013 das Auto ihres | |
| ehemaligen Lebensgefährten mit einem Hammer, sie soll auf seine Mailbox | |
| gesprochen haben: „Wenn ich dich auf deinem Motorrad sehe, stecke ich einen | |
| Stock in die Speichen.“ Sie soll gedroht haben, sein „Haus in Brand zu | |
| setzen“ und die Familie seiner Schwester „aufschlitzen“ zu wollen. Nichts | |
| von dem setzte sie in die Tat um, es blieb bei Drohungen. Aber: Eine | |
| Brandstiftung sei „nicht auszuschließen“, schrieb eine Psychiaterin in | |
| einem Gutachten über S., das im Rahmen der Verhandlung wegen des | |
| zerdepperten Autos erstellt wurde. Sie attestierte S. eine „Manie mit | |
| psychotischen Symptomen“. | |
| Nach all dem, was die Gutachterin schreibe, sei es „sehr wahrscheinlich“, | |
| dass die Angeklagte in „wahnhafter Verkennung der Beziehung“ schwere | |
| Straftaten begehe, begründete das Amtsgericht Bremen-Blumenthal dann seine | |
| Entscheidung, S. in die Psychiatrie einzuweisen. Zumal sie, wie der | |
| zuständige Amtsrichter behauptete, strafrechtlich „bereits erheblich in | |
| Erscheinung getreten“ sei, unter anderem mit „Gewaltdelikten“. | |
| Das allerdings war schlichtweg gelogen, wurde aber im Laufe des Verfahrens | |
| sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch vom Landgericht und | |
| Oberlandesgericht ungeprüft weiter behauptet. Als „Flüchtigkeitsfehler“ | |
| bezeichnete später das Landgericht diese Falschbehauptung der Bremer | |
| Justiz. Und schloss sich, genauso wie das Oberlandesgericht, dem | |
| Blumenthaler Urteil an: Meike S. gehört weggesperrt. | |
| Doch um jemanden in einem psychiatrischen Krankenhaus zwangsweise | |
| unterzubringen, muss mindestens eine „verminderte Schuldfähigkeit“ | |
| vorliegen und es müssen „erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten“ sein, | |
| aufgrund derer der Täter „für die Allgemeinheit gefährlich“ ist, heißt … | |
| in Paragraf 63 des Strafgesetzbuches, worauf sich der BGH bezieht. Punkt | |
| eins wurde S. zugesprochen: Sie wurde im März vergangenen Jahres vom | |
| Landgericht Bremen für schuldunfähig erklärt und freigesprochen wegen des | |
| zerdepperten Autos und diverser Belästigungen gegenüber ihrem Ex-Partner – | |
| aber die anderen Bedingungen waren nicht erfüllt. Zu spekulieren, dass | |
| jemand eventuell zum Brandstifter werden könnte, reicht laut § 63 nicht für | |
| eine Einweisung. | |
| Für das Landgericht Bremen hingegen reichte es schon: Der vorsitzende | |
| Richter Thorsten Prange meinte sowohl beurteilen zu können, dass S. ohne | |
| ärztliche Behandlung eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle als auch, | |
| dass sie vermutlich eine Bewährungsstrafe bekommen und damit ihre Freiheit | |
| wiedererlangt hätte, wenn sie ihre Psychopharmaka vorschriftsmäßig | |
| eingenommen hätte. Doch das verweigerte S.: Sie wollte keine Psychiatrie | |
| und keine Medikamente mehr. | |
| Ihr Anwalt Sven Sommerfeldt ging in Revision und legte | |
| Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, die | |
| Freiheit einer Person dürfe „nur aus besonders gewichtigen Gründen und | |
| unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden“ – und die | |
| seien hier nicht ersichtlich. Die Bremer Gerichte hätten „mildere Mittel“ | |
| prüfen müssen, also etwa Wohnsitzauflagen. Sowohl das Land- als auch das | |
| Oberlandesgericht hätten die Frau in ihren Grundrechten verletzt. | |
| Und nun die Entscheidung des BGH: „Das sagt ganz klar, dass die | |
| Schlussfolgerungen, die aus den Einzeltaten von Meike S. gezogen wurden, | |
| falsch waren: nämlich, dass sie gefährlich ist“, sagt Sommerfeldt. Nun muss | |
| der Fall ganz neu verhandelt werden, von einer anderen Strafkammer des | |
| Bremer Landgerichts. Das bedeutet allerdings auch, dass ihr Freispruch | |
| aufgehoben ist: „Sie kann also diesmal durchaus verurteilt werden, aber da | |
| sie nicht vorbestraft ist, rechne ich nicht mit einer Haft-, sondern unter | |
| Umständen mit einer Geldstrafe“, sagt Sommerfeld. Dass erneut nach § 63 | |
| entschieden wird, hält er für höchst unwahrscheinlich: „Dafür hat nicht n… | |
| das Verfassungsgericht, sondern jetzt auch der BGH in seinem Beschluss sehr | |
| deutlich gesagt, was dafür vorliegen muss.“ | |
| Noch nützt Meike S. das allerdings wenig, denn der BGH kann zwar ein Urteil | |
| aufheben, nicht aber ihre Freilassung bewirken. Die hat Sommerfeldt jetzt | |
| beim Landgericht Bremen beantragt. Er hofft, dass Meike S. so schnell wie | |
| möglich rauskommt: „Aber es kann durchaus sein, dass das Landgericht sagt: | |
| Nö, der BGH hat keine Ahnung, wir bleiben bei unserer Einschätzung“, sagt | |
| Sommerfeldt. Und das könnte bedeuten, dass S. eingesperrt bleibt, bis im | |
| Rahmen eines neuen Verfahren etwas anderes beschlossen wird. | |
| 17 Jan 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schnase | |
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