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# taz.de -- Kommentar Familien im Wahlkampf: Was mit Kindern ist immer gut
> Wie die Parteien versuchen, eine Gruppe zu vereinnahmen, die stets
> Leidtragende der Realpolitik ist: alleinerziehende Mütter und Väter.
Bild: Die allermeisten Alleinerziehenden haben eine Leistungsprämie verdient
Die Politik streckt mal wieder ihre Finger nach den Alleinerziehenden aus.
Bekanntlich ist Wahlkampf, was mit Kindern macht sich da immer gut. Und die
Alleinerziehenden haben sowieso keine Kapazitäten frei, um sich gegen ihre
Vereinnahmung zu wehren. Mögen Elternthemen kurz nach dem Wahltag auch
wieder als Sozialquatsch auf der To-do-Liste nach unten rücken, bis dahin
sind sie pures Gold.
Doch es klafft eine deutliche Lücke zwischen familienpolitischen
Verheißungen und realer Politik, unter der die Alleinerziehenden am meisten
leiden. Die Versprechungen sind, das ist nicht neu, größer als die konkrete
Hilfe. Von guten Vorsätzen kann aber keine Miete bezahlt werden und keine
Klassenfahrt. Die Parteien hören dennoch nicht damit auf, verlockende
Angebote zu unterbreiten.
Die Grünen haben in ihr Wahlprogramm utopische 12 Milliarden Euro
Steuerentlastung für Familien und den „Kindergeldbonus“ für
Alleinerziehende und Hartz-IV-Familien geschrieben. Die SPD verspricht
ihnen, schon seit Längerem, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Und
die Linke plädierte letzte Woche im Bundestag für den „Umgangsmehrbedarf“,
also mehr Geld für getrennte Eltern. Aus der CDU/CSU-Fraktion erntete
Parteichefin Kipping während ihrer Rede den Zwischenruf, sie möge doch
„keinen Unsinn erzählen“. Rufer war der parlamentarische Geschäftsführer
der Fraktion.
Ebenjener Michael Grosse-Brömer war nur drei Tage zuvor von selbst auf
Alleinerziehende zu sprechen gekommen. Von Journalisten gefragt, was CDU
und CSU angesichts der grassierenden Begeisterung für Martin Schulz
inhaltlich zu bieten hätten, erklärte er, die Union werde sich jetzt mehr
um die Ein-Eltern-Familien kümmern. Da seien ja öfters „Defizite in der
Erziehungsarbeit“ festzustellen. Alleinerzogene Kinder hätten mitunter kein
Schulbrot dabei.
## Alleinerziehende wuppen es nicht
Man sitzt dabei und denkt: Ach bitte, nicht schon wieder! Denn es sind
Bemerkungen wie diese, die Interesse, gar Empathie für Alleinerziehende
simulieren. Eigentlich jedoch handelt es sich dabei um als Fürsorge
getarntes Misstrauen. Und noch eigentlicher um konservativen Agitprop.
Alleinerziehende, das sind nach Unions-Lesart die anderthalb Millionen
Frauen und 157.000 Männer, die es nicht packen. Die es trotz des vielen
Kindergelds und der sprudelnden Kita-Milliarden nicht auf die Reihe
kriegen, ihren Kindern ein gesundes Schulbrot zu schmieren. Deren Kinder
unerklärlicherweise weder beim Cello- noch im Nachhilfeunterricht und auch
nicht auf der Kursfahrt nach London anzutreffen sind. Und die deshalb unter
dem Verdacht sozialen Versagens stehen. Solche Leute müsste man besser
kontrollieren. Oder?
Tatsächlich ist es so, dass die allermeisten Alleinerziehenden eine
Leistungsprämie verdient hätten. Was Paare gemeinsam wuppen, erledigt hier
nur eineR. Geld ist oft knapp. Die Hälfte aller Alleinerziehenden bekommt
keine finanzielle Unterstützung durch das andere Elternteil. Es handelt
sich um säumige Väter, armgerechnete Mütter, untergetauchte Männer und
Frauen, die mehr leisten könnten und müssten als, wenn es gut läuft, einen
Dauerauftrag.
Die Realität ist, dass das Nichtzahlen von Unterhalt gesellschaftlich immer
noch als Kavaliersdelikt gilt. Als schärfste Waffe gegen nichtzahlende
Eltern wird jetzt ernsthaft der Führerscheinentzug diskutiert. Mangelnde
Fürsorge als eine Art Geschwindigkeitsübertretung – Absurderes kann man
sich kaum ausdenken.
Ab Juli, also kurz vor der Bundestagswahl, kommt nun das neue
Unterhaltsvorschussgesetz. Die lebensfremde Höchstbezugsdauer von sechs
Jahren wird fallen. Gut so. Was aber bleibt, ist der viel zu niedrige
Mindestsatz. Und der noch größere Skandal: Kinder aus Hartz-IV-Familien
haben gar nichts davon. Null. Nach der Wahl haben die Parteien eine weitere
Legislaturperiode Zeit, an deren Ende sie sich mit Sozialquatsch
profilieren können.
18 Mar 2017
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
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