# taz.de -- Biopic „Der junge Karl Marx“: Jede Menge Leidenschaft | |
> Der Regisseur Raoul Preck fokussiert in seinem Film stark auf die | |
> persönliche Ebene des frühen Kommunisten. So macht er das Private | |
> politisch. | |
Bild: Weggefährten: Friedrich Engels (Stefan Konarske) und Karl Marx (August D… | |
Weil die Tag und Nacht schuftende Angestellte einer Baumwollspinnerei vor | |
Müdigkeit mit den Händen unter die Maschinen gerät, werden ihr drei Finger | |
abgetrennt. Den so lebensnotwendigen wie schlecht bezahlten Job hat sie | |
damit verloren. Ihre Kollegin lehnt sich offen gegen die sklavenähnlichen | |
Verhältnisse in den englischen Fabriken des 19. Jahrhunderts kurz vor der | |
industriellen Revolution auf, was dem Sohn des Fabrikbesitzers gefällt: | |
Friedrich Engels beginnt eine Affäre mit der irischen Arbeiterin Mary | |
Burns, die bis zu ihrem Tod bestehen wird, danach heiratet er ihre jüngere | |
Schwester. | |
Der junge Karl Marx dagegen ist mit einer von Westphalen verheiratet – mit | |
der politisch hochmotivierten Jenny zieht er nach einem finanziell | |
erfolglosen und politisch machtlosen Dasein als Zeitungsredakteur in Bonn | |
ins Pariser Exil, wo seine erste Tochter geboren wird. Und führt dort mit | |
Jenny in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts eine leidenschaftliche und | |
von Gemeinschaftlichkeit und relativer Gleichberechtigung geprägte Ehe. | |
Nun sind Marx’ und Engels’ amouröse Verwicklungen wahrlich nicht das Erste, | |
was einem zu ihnen einfällt. Aber sie sind ebenso wichtig wie die | |
Philosophien, die die Theoretiker und Protagonisten des Kommunismus zur | |
Arbeiterbewegung entwickelten. Raoul Pecks Entschluss, sein Biopic über | |
Marx’ Zwanziger zwischen Pariser Exil und dem Verfassen des | |
„Kommunistischen Manifests“ stark auf persönlicher Ebene samt Liebe, Suff | |
und Vaterschaft anzusiedeln, ist darum verständlich: So macht er das | |
Private politisch – ohne viel Federlesens. | |
Den Nebenwiderspruch aus feministischer Sicht stellt Peck in einer | |
einzigen, fast versteckten Szene dar, in der Marx (August Diehl) mit seiner | |
Frau Jenny (Vicky Krieps) einer Rede des französischen Anarchisten | |
Pierre-Joseph Proudhon (Olivier Gourmet), der den Satz „Eigentum ist | |
Diebstahl“ kennzeichnete, lauscht: Nach dem Vortrag werden die Männer | |
miteinander bekannt gemacht und zum Gedankenaustausch geladen. Und nach | |
einem kurzen Seitenblick lässt der Deutsche seine geliebte Frau, mit der er | |
im Privaten jede Idee, jeden Einfall diskutiert, wie selbstverständlich | |
stehen – um die relevanten Dinge unter Männern zu besprechen. | |
Pecks Film, dessen Protagonisten von Diehl mit einnehmender Präsenz und von | |
dem Engels-Darsteller Stefan Konarske mit sensibler Zerrissenheit zwischen | |
Bourgeois-Herkunft und Proletarier-Sympathisantentum gegeben werden, ist | |
weniger theoretisch als seine Ideen. Er versucht stattdessen, die Taten, | |
Eindrücke, Ungerechtigkeiten darzustellen, aus denen jene berühmten Worte | |
und Thesen zur sozialen Gerechtigkeit resultierten; und die Atmosphäre, in | |
der Marx, Engels und ihre ZeitgenossInnen die Ungerechtigkeiten des Systems | |
(er)lebten, greifbar zu machen – insofern ist er auf unterhaltsame Art | |
didaktisch. | |
Und trotz der inszenatorischen Entscheidung, den Film formal | |
konventionell-historisch zu halten, vielleicht um es sich mit keiner der | |
möglichen Zielgruppen zu verscherzen, ist jede Menge Leidenschaft zu | |
spüren: Der haitianische Regisseur Peck – dessen fast zeitgleich | |
entstandene, oscarnominierte Dokumentation „I Am Not Your Negro“ ebenfalls | |
vom umfassenden Interesse an politischen Themen kündet – möchte nicht nur | |
mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen verstehen. | |
Sein Ausschnitt aus Marx’ und Engels’ Leben, der mit der Gründung des | |
Bundes der Kommunisten endet, ist ein ernsthafter Versuch, diese für jede | |
gerechte Gesellschaft grundlegenden Thesen erneut oder überhaupt wieder im | |
Bewusstsein der späteren Generationen zu verankern. Dass er dabei | |
weitgehend auf Kitsch oder Popkulturisierung der historischen Figuren | |
verzichtet hat, ist angenehm: Einen Film so gradlinig zu erzählen, ohne | |
einer Ikonisierung der Bilder oder Parolen auf den Leim zu gehen, macht die | |
fortwährende Relevanz der Thesen umso deutlicher. Ein Blick auf die | |
momentanen Verhältnisse in der Welt kann dies nur unterstreichen. | |
1 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Spielfilm | |
Karl Marx | |
August Diehl | |
Kommunismus | |
Kapitalismus | |
Afroamerikaner | |
Karl Marx | |
Karl Marx | |
Karl Marx | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Autor James Baldwin neu bewerten: Auf Twitter verdreht | |
Schriftsteller James Baldwin ist oft in falsches Licht gerückt worden. | |
Früher von der weißen Mehrheitsgesellschaft, heute durch Tweets. | |
150 Jahre „Das Kapital“ von Karl Marx: „Gleichmacherei ist ihm ein Horror… | |
Eines der Hauptwerke von Karl Marx erschien vor 150 Jahren. Der Historiker | |
Gerd Koenen über Kommunismus, die Bolschewiki und das, was von Marx | |
übrigblieb. | |
Mathilde Franziska Anneke wird 200: Von einer, die aufbrach | |
Mathilde Franziska Anneke kämpfte gegen Sklaverei und für Frauenrechte. Sie | |
war so radikal wie Marx. Beide werden 200. Ihn kennt man, sie nicht. | |
Raoul Peck über die Arbeit an zwei Filmen: „Alles basiert auf der Realität�… | |
In Deutschland spürte er die gläserne Decke. Raoul Peck über seine Wut auf | |
die Wirklichkeit und die Helden seiner neuen Filme: Marx und James Baldwin. | |
Debatte Linkssein: Der Geist der Utopie steckt immer drin | |
Es gibt vier Formen des Linksseins. Das Ideal wäre eine Verschmelzung | |
davon. Man darf jedenfalls keine Angst vor dem Pathos haben. |