| # taz.de -- Autor James Baldwin neu bewerten: Auf Twitter verdreht | |
| > Schriftsteller James Baldwin ist oft in falsches Licht gerückt worden. | |
| > Früher von der weißen Mehrheitsgesellschaft, heute durch Tweets. | |
| Bild: Der Schriftsteller James Baldwin im Jahr 1972 | |
| Spätestens seit Beginn [1][der Black-Lives-Matter-Proteste] ist der | |
| US-amerikanische Schriftsteller James Baldwin wieder präsent. Ins Deutsche | |
| werden seine Bücher seit 2018 neu übersetzt. Baldwin, der in seinen Romanen | |
| und Essays [2][Rassismus und Sexualität] behandelt, war in den 1960er und | |
| 1970er Jahren einer der prominenten Wortführer der schwarzen | |
| Bürgerrechtsbewegung. | |
| Doch wie wurde aus dem mittellosen, queeren Schwarzen aus Harlem die Ikone | |
| James Baldwin? Das fragt sich der Literaturkritiker und | |
| Gender-Studies-Professor Robert Reid-Pharr. Reid-Pharr arbeitet an einer | |
| neuen Biografie über den 1987 gestorbenen Schriftsteller. Er glaubt, dass | |
| Baldwin schon zu Lebzeiten nicht richtig rezipiert wurde. | |
| Eindrücklichstes Beispiel ist die 1963 erschienene Titelgeschichte im Time | |
| Magazine, aus der Reid-Pharr in einem Online-Vortrag der American Academy | |
| in Berlin am Dienstag zitiert. „Er ist eine nervöse, aufbrausende, fast | |
| zerbrechliche Figur, voller Ängste und Sorgen. Er ist verweichlicht in | |
| seinem Auftreten, trinkt beträchtlich, raucht unablässig und verliert sein | |
| Publikum oft mit seinen überzogenen Argumenten.“ Trotzdem sei kein anderer | |
| Autor damals besser in der Lage gewesen, die Lebensrealität der Schwarzen | |
| darzustellen. Reid-Pharr habe die Feindseligkeit des Journalisten gegenüber | |
| Baldwin überrascht und sieht dahinter Methode. | |
| Immer wieder wurde der Autor auch als Mittler zwischen den „races“ | |
| dargestellt, der Weißen die Möglichkeit eröffne, ihre schwarzen | |
| Mitbürger:innen zu verstehen. Dabei ist Baldwin in seinen Texten alles | |
| andere als versöhnlich. „Und das ist das Verbrechen, das ich meinem Land | |
| und meinen Landsleuten anlaste und das weder ich noch die Zeit noch die | |
| Geschichte ihnen jemals vergeben wird –, dass sie hunderttausendfach Leben | |
| zerstört haben und immer noch zerstören und nichts davon wissen und nichts | |
| davon wissen wollen“, schreibt Baldwin etwa in „Mein Kerker bebte“, einem | |
| Brief an seinen Neffen. | |
| ## Ein Film, der grandios misslingt | |
| Auch in den Filmen, die zuletzt über Baldwin erschienen, zeigt sich der | |
| Schriftsteller pessimistisch. In „I Am Not Your Negro“ (2017), für den | |
| Regisseur Raoul Peck Archivmaterial aus vier Jahrzehnten zusammengetragen | |
| hat, trauert Baldwin um seine getöteten schwarzen Freunde. An eine Welt, in | |
| der Schwarze und Weiße in Frieden zusammenleben, glaubt er nicht. | |
| Eindrücklicher zeigt sich Baldwins Haltung noch in „Meeting the Man: James | |
| Baldwin in Paris“, einem erst im letzten Jahr wiederentdeckten | |
| Dokumentarfilm von 1970. | |
| Bemerkenswert ist der Film vor allem, weil er so grandios misslingt. | |
| Baldwin widersetzt sich der Erzählung, die die weißen Filmemacher über ihn | |
| stülpen wollen, und hält ihnen ihre Ignoranz vor. „Ihr kommt nicht umhin, | |
| das Gefühl zu haben, dass ihr etwas für mich tun könnt, dass ihr mich | |
| retten könnt. Ich kann keinen Augenblick eurer Erlösung mehr ertragen! | |
| Dabei könnte ich euch erlösen, denn ich weiß etwas über euch. Ihr wisst | |
| nichts über mich“, schleudert er den Filmemachern in Gegenwart von anderen | |
| Schwarzen in Paris entgegen. | |
| Die Entscheidung Baldwins, im Jahr 1948 nach Paris zu ziehen, habe auch | |
| persönliche Gründe gehabt, sagt Reid-Pharr. In einem bislang | |
| unveröffentlichten Interview habe Baldwin erzählt, er sei nach Paris | |
| gekommen, um sich über seine Sexualität klar zu werden. In „Giovannis | |
| Zimmer“, das er in Europa schrieb, sorgt sich der Protagonist nicht darum, | |
| Sex mit einem Mann zu haben, sondern wie andere Menschen ihn deswegen | |
| anschauen. Über seine Wirkung nach außen habe auch Baldwin sich viele | |
| Gedanken gemacht, meint Reid-Pharr. | |
| Die Ikonisierung Baldwins scheint also vor allem über Brüche funktioniert | |
| zu haben; Baldwin als brillanter, sexuell orientierungsloser, eloquenter, | |
| kettenrauchender Sprecher seiner Generation. Reid-Pharr will mit seinem | |
| Buch Baldwins Rolle in der Gesellschaft neu bewerten. | |
| Denn die Missinterpretation Baldwins gehe heute auf andere Art weiter. | |
| Aufgrund seiner neuerlichen Popularität fänden sich Zitate des | |
| Schriftstellers immer häufiger auf Twitter, meist aus dem Kontext gerissen. | |
| So würden seine Ideen selbst simplifiziert, sagt Reid-Pharr. „Dabei dachte | |
| Baldwin sehr kompliziert.“ 280 Zeichen würden ihm einfach nicht gerecht. | |
| 4 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Black-Lives-Matter/!t5320244 | |
| [2] /Frueher-Roman-von-James-Baldwin/!5498691 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
| ## TAGS | |
| Afroamerikaner | |
| Literatur | |
| Queer | |
| Spike Lee | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Spielfilm | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Spike Lees neuer Film „BlacKkKlansman“: Schwarzer Polizist unterwandert KKK | |
| In seiner Komödie „BlacKkKlansman“ schleust Spike Lee einen schwarzen | |
| Polizisten beim Ku Klux Klan ein. Es gab ihn wirklich, diesen Ron | |
| Stallworth. | |
| Früher Roman von James Baldwin: Eine Kindheit in New York | |
| Das Frühwerk „Von dieser Welt“ des Schriftstellers James Baldwin ist das | |
| Comingout eines Einzelgängers und eine Abrechnung mit der schwarzen Kirche. | |
| Biopic „Der junge Karl Marx“: Jede Menge Leidenschaft | |
| Der Regisseur Raoul Preck fokussiert in seinem Film stark auf die | |
| persönliche Ebene des frühen Kommunisten. So macht er das Private | |
| politisch. |